Klimaschutz: Sündenbock gefunden

Roboter Schramberg/Deutschland. Bild: Jeff Green/Rethink Robotics/CC BY 4.0

Die Energie- und Klimawochenschau: Die kommende Entlassungswelle, wachsende chinesischen Emissionen und das Auslaufmodell Kohlekraftwerk

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Deindustrialisierung? Ein beliebtes Argument der Bremser, Zweifler und sonstigen Freunde des Überkommenen lautet, es ginge um Deindustrialisierung, wenn dieser Tage Schüler, Wissenschaftler und andere, sich Sorgen machende Menschen auf der Straße eine Energie- und Verkehrswende einfordern.

Doch das Gegenteil ist der Fall. In den Braunkohletagebauen und angeschlossenen Kraftwerken arbeiten noch gut 20.000 Menschen. Insgesamt. In allen Revieren. In den Steinkohlekraftwerken sind es noch einmal 5.000 bis 6.000 Arbeitsplätze.

Natürlich induzieren die Industriearbeitsplätze immer auch weitere Beschäftigung. Für die Braunkohle werden daher 86.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze angegeben. Für die Windenergie war hingegen für 2016 von rund 160.000 direkten und indirekten Beschäftigten die Rede. Allerdings ist schwer nachzuvollziehen, wie weit die Zahlen vergleichbar sind, ob tatsächlich ähnliche Definitionen indirekter Beschäftigung zu Grunde gelegt wurden.

Drohende Entlassungswellen

Nimmt man noch die Solarenergie hinzu, wird an den Zahlen auf jeden Fall deutlich, dass die erneuerbaren Energieträger einen größeren Beschäftigungseffekt haben als die alte Kraftwerkswirtschaft. Und im Übrigen: Viele der alten Kohlekraftwerke müssten in den nächsten beiden Jahrzehnten ohnehin ersetzt werden. Würden an ihre Stelle moderne Anlagen treten, so würde sich allein schon dadurch die Zahl der Arbeitsplätze mehr als halbieren.

Und wie sieht es mit der Automobilindustrie aus, dem Herzen des deutschen Kapitalismus? Dort arbeiteten 2017 nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie bei Herstellen und Zulieferern 820.000 Personen. Die Produktion ist seit Anfang 2018 leicht rückläufig, unter anderem aufgrund des nachlassenden Exports, weshalb die Beschäftigtenzahlen inzwischen etwas niedriger liegen dürften.

Die große Entlassungswelle steht allerdings noch bevor. Schon 2016 hat sich VW zum Beispiel vorgenommen, in den nächsten Jahren weltweit 30.000 Arbeitsplätze abzubauen, 27.000 davon hierzulande. "Zukunftspakt" nennt der Konzern derlei Ankündigungen.

In den hiesigen Werken will das Unternehmen die Produktivität bis 2020 um beachtliche 25 Prozent steigern - um "die operative Umsatzrendite auf vier Prozent bis 2020 (zu) steigern". Die Arbeit soll verdichtet werden, um Mittel für neue Technologien locker zu machen, hieß es schon damals.

Neue Technologien heißen zweierlei: Zum einen Robotik und Digitalisierung, das heißt, eine neue Welle der Automatisierung in der Produktion. Dieser Tage wurde auf der Hannovermesse demonstriert, wie Maschinen mittels des neuen G5-Standards miteinander kommunizieren und so Fließbandproduktion erheblich flexibler gestalten können. Das macht viele menschliche Eingriffe, zum Beispiel zur Einrichtung von Produktionsprozessen, überflüssig.

Zum anderen die Umstellung auf Elektroautos. Deren Herstellung ist weniger arbeitsintensiv, unter anderem weil das Getriebe wegfällt. Die Rede ist von 70.000 Arbeitsplätzen, die bei gleichbleibenden Absatz wegfallen, wenn der E-Auto-Anteil auf 25 Prozent steigt. Unterm Strich werden in der Automobilindustrie in den nächsten Jahren also ohnehin weit über 100.000 Stellen gestrichen.

Doch man kann wohl sicher sein, dass es genug Politiker und Lobbyisten geben wird, die die Schuld daran den Bemühungen um Klimaschutz und saubere Luft in den Städten geben werden. Einer hat schon mal vorsorglich angefangen: Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, Jörg Hoffmann, warnt im Spiegel, man könne keinen Klimaschutz gegen Hunderttausende Beschäftigte durchsetzen.

Der Gewerkschafter ist alarmiert, weil die EU das Minderungsziel für den Verkehr ein wenig nach oben korrigiert hat. Viel zu wenig zwar, um wirklich ausreichend zu sein, aber allemal genug um den IG-Metall-Chef um in Wallung zu bringen. Statt um 30 Prozent sollen die CO2-Emissionen der Neuwagen bis 2030 nun um 37,5 Prozent abgesenkt werden.

Das werde bis zu 150.000 Arbeitsplätze allein in der Produktion kosten, so Hoffmann. Offenbar meint er damit die Umstellung auf Elektroantriebe. Dabei übersieht er allerdings, dass der Zug ohnehin in diese Richtung fährt. Für die Autoindustrie und insbesondere für VW ist Deutschland als Absatzmarkt längst zweitrangig. Die Musik spielt vielmehr in China, und dort sorgt die Regierung dafür, dass die Hersteller sich nach und nach vom Verbrennungsmotor verabschieden müssen.

Statt also wieder einmal überkommenen Strukturen und Technologien nachzuhängen sollten sich die hiesigen Gewerkschafter vielleicht lieber überlegen, wie sie mit der neuen Entwicklung umgehen. Sie könnten ja zum Beispiel auch, statt auf den Klimaschutz zu schimpfen, der in diesem Fall ohnehin nur einen Sündenbock darstellt, ja auch mal ein angemessenes Stück vom Kuchen verlangen, wenn ihnen schon der Mut fehlt, die ganze Bäckerei zu fordern.

Es ist schließlich kein Naturgesetz, dass der Produktivitätszuwachs die Rendite steigert. Genauso gut könnte die Arbeitswoche entsprechend verkürzt oder der Lohn gesteigert werden.

China: Schlimm, aber nicht ganz so schlimm

Wir hatten ja bereits berichtet, dass die globalen CO2-Emissionen auch 2018 wieder gestiegen sind. Genau betrachtet, geht es um die mit dem Energieverbrauch zusammenhängenden Emissionen. Im deutlich geringeren Umfang wird CO2 auch durch Entwaldung und durch einige Industrieprozesse, namentlich die Zementproduktion, freigesetzt.

Zum Anstieg trug unter anderem China bei, aber weniger als erwartet, wie Jan Ivar Korsbakken, Robbie Andrew und Glen Peters schreiben, die sich am norwegischen Center for International Climate Research (CICERO) mit der Erfassung der Treibhausgasemissionen in aller Welt befassen.

Demnach wuchsen die chinesischen Emissionen im vergangenen Jahr um 2,3 Prozent statt um 4,7 Prozent, wie noch im Herbst erwartet.

Das ergebe sich aus den jüngsten Angaben des Chinesischen Büro für Statistik. Allerdings sind die Angaben relativ unsicher. Die Autoren sehen mit den neuen Daten den Fehlerbereich zwischen -0,4 und +6,7 Prozent. Das heißt, dass bestenfalls die Emissionen leicht zurückgegangen sind, aber auch um bis zu 6,7 Prozent gewachsen sein könnten.

Chinesische CO2-Emissionen in Gigatonnen (Milliarden Tonnen) unterschieden nach den wichtigsten Quellen: Kohle, Erdöl und Erdgas sowie Zementproduktion. Auffällig ist der rasante Anstieg der Kohleverfeuerung, der nahezu zum Stillstand gekommen zu sein scheint, obwohl der Strombedarf zuletzt mit 7,7 Prozent schneller wuchs als die Wirtschaftsleistung. Grafik: carbonbrief

Wichtigste CO2-Quelle ist in China die Kohle, auf deren Konto über 70 Prozent der Energie bedingten Emissionen geht, schreiben die Autoren. Etwa die Hälfte der Kohle würde in Kraftwerken verbraucht. Der Rest wird in der Industrie und zum Heizen benötigt. Was Letzteres angeht, gibt es allerdings seit etwa zwei Jahren eine massive Kampagne, Kohle durch Erdgas zu ersetzen.

Die Autoren halten vor allem die Wachstumsprogramme, mit denen die chinesische Regierung der Wirtschaft seit 2015 Beine machte, für den Wiederanstieg der Treibhausgasemissionen im Land der Mitte verantwortlich. Durch günstige Kredite sei vor allem die Schwerindustrie und die Bauwirtschaft expandiert.

Vermutlich sei daher auch eine in den letzten Monaten einsetzende Abkühlung dafür verantwortlich, dass die Emissionen weniger stark anstiegen als erwartet. Für 2019 sei daher die entscheidende Frage für die Emissionen, ob die Regierung - trotz inzwischen problematisch hoher Verschuldungsraten des Fiskus wie auch der Unternehmen - erneut zum Mittel des billigen Geldes greift, um die lahmende Ökonomie anzukurbeln.

Und wenn, dann wird die Frage wohl auch sein, ob das Geld wieder mit der Gießkanne verteilt wird, oder ob vielleicht die besonders emissionsintensiven Branchen ausgeklammert werden.

Weniger Kraftwerke

Und zu guter Letzt die - halbwegs - gute Nachricht der Woche. Der Bau neuer Kohlekraftwerke ging 2018 weltweit im dritten Jahr in Folge zurück, hat eine letzte Woche veröffentlichte Studie von Greenpeace ergeben.

Demnach wurden 2018 ein Drittel weniger Kohlekraftwerke als noch ein Jahr zuvor in Betrieb genommen. Die Zahl der Baustarts für neue Anlagen ging sogar um 39 Prozent zurück. Auch die Zahl der Planungsverfahren und Genehmigungsprozesse ist rückläufig.

Das wirtschaftliche und politische Umfeld habe sich inzwischen erheblich verändert. 31 Länder, darunter Kanada, Großbritannien, Frankreich oder Italien, haben einen Kohleausstieg beschlossen. Viele Großbanken und Fonds haben erklärtermaßen ihre Investitionen in Kohleprojekte eingeschränkt.

31 Gigawatt (GW), das ist etwas mehr als die deutschen Braunkohlekapazitäten, seien 2018 abgeschaltet worden, berichten die Autoren. Davon wurden interessanter Weise 18 GW oder 45 Kraftwerksblöcke in den USA stillgelegt, obwohl sich die dortige Regierung sehr bemüht, Umweltauflagen abzuschaffen und der Kohleindustrie das Leben in jeder Hinsicht leicht zu machen.

In China und Indien sanken der Studie zur Folge Neuzulassungen auf ein historisches Tief. Beide Länder seien in den letzten zehn Jahren maßgeblich für die steigende Zahl neuer Kohlemeiler verantwortlich gewesen. Chinas staatseigene Finanzunternehmen blieben jedoch die entscheidenden Finanziers für immerhin ein Viertel der weltweit in Entwicklung befindlichen Kohleinfrastruktur. Das betrifft vor allem auch Projekte in anderen Ländern.

Auf das Konto der Kohlekraftwerke gingen 2018 über zehn Milliarden Tonnen CO2, das heißt mehr als ein Viertel der globalen Treibhausgas-Emissionen.

Die Wissenschaft ist eindeutig: Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der Kohle, wenn wir eine Chance haben wollen, die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern. (…) Statt den Kohleausstieg in Deutschland möglichst lange hinauszuzögern, muss die Bundesregierung ihn soweit beschleunigen, dass die Pariser Klimaziele eingehalten werden.

Greenpeace-Energieexperte Niklas Schinerl

Schon die CO2-Emissionen der bestehenden Kohlekraftwerke würden ausreichen, um die Erderwärmung auf deutlich über 1,5 Grad zu erhöhen. "Nur der rasche Einstieg in den deutschen Kohleausstieg kann einen Beitrag dazu leisten, die Klimakrise aufzuhalten", so Schinerl.

Die Bundesregierung müsse daher noch vor der Sommerpause ihr Klimaschutz- und Kohleausstiegsgesetz vorlegen. Auch müsse bis dahin Nordrhein-Westfalen die Abschaltung der ersten drei GW Braunkohle beschließen.