Klimawandel und Wintersport: Letzte Generation auf Skiern
Seit 30 Jahren wird am letzten Oktoberwochenende in Sölden der Ski-Saisonstart zelebriert. Warum keine Partystimmung aufkommt; und was dies für die Zukunft heißt.
Man hat sich etwas einfallen lassen im österreichischen Sölden, damit der Saisonbeginn "Emotionen weckt". Die Ski-Stars werden zur neuen Event-Location bei der Talstation der Giggijochbahn mit einer Oldtimer-Parade kutschiert – und bereits hier klingeln die ersten Alarmglöckchen in Bezug auf ungeschicktes Marketing. Das neue Event-Areal per Oldtimer zu feiern, ist eine "Mixed Message", denn schließlich stehen Oldtimer-Autos per se nicht für Zukunft.
Die Tiroler Passstraßen sollen aber im Sommertourismus für Vergnügungsfahrten von Automobilisten noch stärker beworben werden und an dieser Stelle sind die Widersprüche des hochalpinen Tourismus in Zeiten der Klimakatastrophe bereits voll entfaltet. Porsche verspricht, seine legendären Benzinkutschen bald mit E-Fuels betreiben zu können, kann aber weder angeben, ob die neuen Treibstoffe wirklich so umweltschonend sind, noch, wo sie überhaupt herkommen sollen.
Wegen dieser gewissen Unvereinbarkeiten herrscht in Österreich eine enorme Gereiztheit, die sich in verbalen Entgleisungen à la "Skifahren ist kein Verbrechen" äußern. Die Nerven liegen blank, weil ein Geschäftsmodell vor dem Aus steht, das ein ganz wesentlicher Baustein für den Reichtum Österreichs ist.
Wandel ist kaum möglich
Die Hoffnung, es würde ausreichen, sich nachts vor den Badezimmerspiegel zu stellen und mit geschlossenen Augen dreimal hintereinander das Wort "Nachhaltigkeit" zu sagen, und am nächsten Morgen sei alles wieder in Ordnung, hat sich nicht bewahrheitet. Ski- und Tourismusverbände spüren, dass alles, was sie tun, so eigentümlich doppeldeutig ist.
Das Fünf-Sterne-Hotel "Das Central" in Sölden baut sich zwei neue Stockwerke obendrauf, mit 69 zusätzlichen Betten und einem "Infinity"-Pool. Ungeschickter kann man das Bedürfnis nach unendlichem Wachstum nicht illustrieren.
Weil das Wirtschaften aber keine andere Richtung kennt, als "mehr", gerät die Einhaltung sämtlicher Klimaziele zur Farce. Die würden nämlich nur gelingen durch drastische Reduzierung und das spießt sich eben mit der Bereitstellung neuer Attraktionen.
Die Bedeutung des Wintertourismus für Österreich kann kaum überschätzt werden. In Sölden und Umgebung gibt es 2,2 Millionen Übernachtungen im Jahr. Niemand hat nur eine entfernte Ahnung, wie sich ähnliche Übernachtungszahlen mit "sanftem Tourismus" erreichen lassen könnten.
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Das Skifahren hat Österreich nachhaltig gewandelt. Wie schon Marshall McLuhan diagnostizierte, verändert die Industrialisierung Mensch, Land und Natur unumkehrbar. Nachdem der erste Sessellift in Sölden aufgestellt wurde, war es absurd geworden noch als Bergbauer zu leben.
Jahrzehntelang genoss das Land die Vorzüge der Technisierung. Die Plagen der Almwirtschaft waren vergessen, weil ein wesentlich ertragreicheres und angenehmeres Leben im Tourismus möglich wurde. Die Bergtäler Tirols, die von einem – vorsichtig formuliert – besonderen Menschenschlag bewohnt waren, wurden plötzlich weltoffen.
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Die Kinder heirateten nach Australien und die Dörfer wurden in einer Weise folkloristisch maskiert und herausgeputzt, wie sie früher nie gewesen waren, aber den Augen der Touristen schmeichelten.
Nur die Gletscher spielten eines Tages nicht mehr mit. Sie schrumpften und schrumpften. Und mit ihnen wurde der Winter immer kürzer. Heute hat der Rettenbachferner in 3.000 Meter Seehöhe, auf dem der Saisonauftakt des Ski-Zirkus zelebriert werden soll, derart an Substanz verloren, dass er nicht mehr zu retten ist. Acht Meter an Dicke und 30 Meter an Länge verlor die Gletscherzunge allein im Sommer 2023. Ein Sommer, der an manchen Oktobertagen in Österreich noch immer nicht zu Ende zu sein scheint.
Oliver Schwarz, der Geschäftsführer des Ötztal-Tourismus will gar nichts mehr beschönigen und meint: "Wir leisten Sterbehilfe". Retten wird man den Gletscher nicht können, aber mit höchst aufwendigen und energieintensiven Maßnahmen zumindest sein Sterben verzögern. Nachhaltig ist das selbstverständlich nicht.
Wirtschaft vs. Umwelt
Deshalb sind Umweltschutzverbände, Klimaaktivisten und auch die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler sehr unzufrieden mit dem frühen Saisonauftakt. Es werde auf "Biegen und Brechen" versucht, den viel zu frühen Start aufrechtzuerhalten. Der Ski-Verband müsse sich aber der neuen Realität stellen, dass der Winter eben kürzer geworden sei.
Das kann der Ski-Betrieb aber nicht. Wer den Saisonauftakt verschiebt, muss Rennen innerhalb der Saison ausfallen lassen – und die Athleten stöhnen ohnehin schon unter dem dichten Rennkalender und würden sich ihrerseits gerne weniger Rennen und Reisestrapazen wünschen. Nur, jedes Rennen weniger ist ein beträchtlicher Verlust an Einnahmen.
Handgreiflicher als beim Skisport werden die Konflikte zwischen Umweltschutz und Wirtschaft kaum. Der österreichische Ski-Verband hat sicherlich nicht ganz unrecht, wenn er nun beklagt, dass er viel Schelte für etwas bekommt, für das er ursprünglich nicht verantwortlich ist.
Niemand glaubt ernsthaft, dass der Skisport allein am Klimawandel schuld sei. Tatsächlich ist der Schaden, den der Ski-Betrieb auf Gletschern bewirkt, laut Forschung nicht einmal signifikant für deren Abschmelzen. Allerdings ist die Unfähigkeit des Skitourismus sich zu wandeln zugleich ebenso himmelschreiend.
In Sölden ist man einfach patzig, dass man kein Lob bekommt für die ganze Arbeit, die man in den Gletscher steckt. Das Entfernen des Gerölls, die Sprengungen, die Schneekanonen und all das, was es möglich gemacht hat, dass man überhaupt in einem Oktober mit teilweise sommerlichen Temperaturen Skifahren kann.
Somit hat das Land Österreich nun einen Lagerkampf, bei dem die "Ökos" die "Skilehrer" beschimpfen und umgekehrt. Für den überwiegenden Teil der Bevölkerung bietet dies eine "Lösung", die typisch ist für die österreichische Seele: Man hat jemanden gefunden, der schuld an dem ist, was man selbst tut.
Die Menschen gehen einfach gerne Skifahren und deshalb wird vielleicht auch bald in Wien eine Ski-Halle gebaut wie in Dubai. Das sei ja auch irgendwie so österreichische Kultur, das Skifahren. Zugleich weiß man, dass das falsch ist, weil es viel zu viele Ressourcen verbraucht, aber daran dies nicht zu erkennen, sei eben der Ski-Verband schuld.
In den aktuellen Kämpfen zeigt sich deutlich die gesellschaftliche Unfähigkeit zu einem ökologischen Umbau. Dank teilweise 28 Grad Celsius im Oktober und in Langenlebarn sogar über 30 Grad Anfang des Monats ist der Klimawandel in Österreich offenkundig geworden. Auch wissen alle, dass eine katastrophale Entwicklung nur gestoppt werden kann durch einen tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbau.
Der muss nicht nur Tourismus, sondern insbesondere Häuserbau und Verkehr umfassen. Alles müsste sich wandeln, und zwar schnell. Nur kann oder wagt kaum jemand zu sagen, wie dies genau aussehen könnte. Derweil hilft man lieber einem Gletscher beim Streben, damit zumindest eine Saison lang noch alles so ist, wie es früher einmal war.