Klimaziele und marode Stromnetze: Stehen uns mehr Stromausfälle bevor?
In einer Brandenburger Großstadt fällt der Strom aus – und das ist erst der Anfang? Wie Europas Klimaziele auf marode Stromnetze treffen und was das für uns bedeutet.
Moderne Gesellschaften sind auf die Versorgung mit Strom angewiesen. Fällt er aus, steht das Leben plötzlich still. Diese Erfahrung durften die Einwohner von Cottbus am Dienstag machen. Es war die Mittagszeit, als in mehreren Teilen der ostdeutschen Großstadt alles ausging.
Straßenbahnen blieben stehen, Ampeln fielen aus. Fernseher, Elektroherde und Kühlschränke taten ihren Dienst nicht mehr. Das mobile Internet war weg, Telefonieren war nur noch eingeschränkt möglich. Menschen blieben in Aufzügen stecken und mussten von der Feuerwehr gerettet werden. Einkaufen ging nicht mehr, weil in den Läden keine Kassen mehr funktionierten, und die elektrischen Türen ließen niemanden mehr hindurch.
Nach knapp drei Stunden war der Spuk für alle Betroffenen vorbei. In einer Mitteilung der Stadtwerke heißt es, "ca. 29.000 Hausanschlüsse" seien von der Störung in zwei Mittelspannungsnetzen betroffen gewesen. In der Lausitzer Rundschau hieß es später, die Ursache sei "ein gestörtes Schaltgerät in einem der Umspannwerke" gewesen, das schließlich eine Kettenreaktion ausgelöst habe.
Was die Menschen hier erlebten, war kein Blackout, unter dem die Bundesregierung einen großflächigen Stromausfall versteht. Es war ein "kurzer Stromausfall", der immer wieder auftreten könne.
Solche "kurzen Stromausfälle" könnten in Zukunft öfter auftreten. Denn in Europa altern die Stromnetze und nach Ansicht der europäischen Elektrizitätswirtschaft müssten "noch nie dagewesene Investitionen" zu ihrer Modernisierung aufgewandt werden. Das sei auch notwendig, um die europäischen Klimaziele zu erreichen, berichtet Reuters.
Nach den Plänen der Europäischen Union sollen bis zum Jahr 2030 mehrere Millionen Elektrofahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein. Zudem sollen elektrische Wärmepumpen Öl- und Gasheizungen ersetzen. Dafür müssen die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden.
"Wir wollen das gesamte Energiesystem im Rekordtempo umbauen und fossile Brennstoffe – Öl und Gas – durch Strom ersetzen", sagte der Chef des europäischen Branchenverbandes Eurelectric, Kristian Ruby, gegenüber Reuters. "Wir bauen also eine Menge neuer Erzeugungskapazitäten in das Netz ein, wir bauen Elektroautos und Wärmepumpen ein." Deshalb funktionieren Rezepte aus der Zeit von vor zehn Jahren in den nächsten zehn Jahren nicht mehr.
Eine steigende Nachfrage nach Strom trifft auf ein schwankendes Angebot, was für die Stabilität der Netze eine große Herausforderung ist. Knapp 40 Prozent der Stromverteilnetze in Europa sind demnach über 40 Jahre alt. Und die meisten von ihnen sind auf große zentrale Kraftwerke ausgelegt und müssten ertüchtigt werden, um die Vielzahl lokaler Solar- und Windkraftanlagen zu integrieren.
Eurelectric erklärte am Donnerstag, dass die Investitionen in die Stromnetze deutlich steigen müssten. Jedes Jahr müssten mindestens 84 Prozent mehr Geld aufgewandt werden als im Jahr 2021. Dann ließen sich die Stromnetze auch auf die kommenden Herausforderungen einstellen.
Die Europäische Kommission geht von einer Summe von 584 Milliarden Euro aus, die pro Jahr in die Stromnetze investiert werden müssten, um sie zukunftssicher zu machen. Das Geld soll aus privaten Quellen kommen oder über die Netztarife von den Verbrauchern aufgebracht werden.
Eurelectric fordert auch öffentliche Gelder für den Ausbau. Hier besteht allerdings eine Konkurrenzsituation zu anderen langfristigen Projekten der Energieinfrastruktur. Statt schon jetzt Unsummen in Wasserstoffprojekte zu investieren, solle das Geld in den Ausbau der Netze gesteckt werden.
Die EU-Länder verhandeln derzeit über Reformen des Strommarktes, die es den Netzbetreibern erleichtern und beschleunigen könnten, in die Modernisierung der Netze zu investieren. Allerdings haben die Regierungen seit Juni Schwierigkeiten, das Gesetz zu verabschieden, da es einen Streit über staatliche Beihilfen für Kraftwerke gibt.
Vor diesem Hintergrund werden sich die Menschen in Deutschland und Europa an den Gedanken gewöhnen müssen, dass "kurze Stromausfälle" jederzeit auftreten können. Cottbus dürfte kein Einzelfall bleiben. Wohlgemerkt: Einen Tag vor dem Stromausfall in Cottbus fiel auch der Strom in anderen Gegenden Südbrandenburgs aus.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.