Knigge, Illuminaten und Mitnick

Frischluft in allen Räumen: Vom Anfang und Ende der Verschwörungstheorien auf dem Chaos-Congress

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Beflügelt von regelmäßigen Belüftungspausen machen sich die Freaks aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs an die Entwicklung neuer Methoden der Sinnfindung. Die Illuminaten sind out, Kevin Mitnick mal wieder in.

Ganz neue Sitten halten Einzug beim 17. Chaos Chaos Communication Congress in Berlin (Berlin wird wieder zur Hauptstadt des Chaos): Die rührigen "Chaosengel" sorgen dieses Jahr nicht nur dafür, dass das Kabelwirrwarr im Hackcenter nicht zu groß wird. Sie bewachen auch strikt die Eingänge zu den Workshop-Räumen und weisen Vortrags-Hopper oder zu spät Gekommene unerbittlich darauf hin, dass "der Raum voll ist" und man nur hinein könne, wenn ein anderer Congressbesucher ihn verlasse. Allzu chaotische Zustände wie in den letzten beiden Jahren, wo viele der Lauschenden es sich während Vorträgen auf dem Boden bequem machten, sollen dieses Jahr anscheinend vermieden werden.

Vollkommen ungewohnt ist auch die überall zur Schau gestellte Frischluft-Euphorie, die mit der größeren Zahl an Häcksen in diesem Jahr im Haus am Köllnischen Park eingekehrt ist. Im Häcksencenter sind generell alle Fenster gekippt, durch die offene Tür pfeift der Wind wie in einem richtigen Hexenhäuschen. Verirrt sich ein Hacker mit glühender Zigarette in die Gefilde der Damen, wird er von "mama" höflich, aber bestimmt, aufgefordert: "Rauchen bitte draußen".

Selbst im Allerheiligsten der Freaks, in der unteren Etage des Hackcenter, herrscht dieses Jahr Rauchverbot. Mehrere Häcksen wachen über die Einhaltung strikter Belüftungspausen, während denen dank ausgeklügelter Logistik Luftbewegungen in Gang kommen sollen. Doch dazwischen bemühen sich die Jolt-Cola schlürfenden und lauwarme Pizza, Flips und Prinzenrolle genießenden Hackerjungs redlich, den "Pumakäfig" wieder mit allerlei Düften anzufüllen.

Die obligatorische Internet-Panne füllt die Vortragsräume

Alles beim Alten blieb es fast den ganzen ersten Tag über beim Problem mit dem Netzzugang. Wie schon im vergangenen Jahr war es ein reines Glücksspiel, mal eine Website aus der großen, weiten Datenwelt zu erreichen. "AT&T hat wieder verkackt", ärgerte sich ein Teilnehmer über den Provider, bei dem die Congressleitung eigentlich eine 34 Megabit-Leitung bestellt hatte. Nur die Hacker, die ihre Laptops dank ausleihbarer Netzkarten in das erstmals verfügbare drahtlose Congressnetz einführten, konnten sich über Verbindungen ins Internet mit rund 1 Megabit pro Sekunde freuen. Die restlichen Freaks tummelten sich derweil auf den reich beladenen internen FTP-Servern, erprobten die neuesten Linux-Versionen oder tauchten in 3D-Spielewelten ein.

Gut besucht waren wegen der Internet-Panne die Vorträge. Traditionell leben die Chaos-Congresse "von der Freude am Gerät und dem Schaudern am Rücken angesichts der Vorstellung, was mit der Technik eigentlich alles machbar ist", wusste der Bielefelder Netzkünstler und Hacker padeluun zu berichten. Geändert habe sich daran in den letzten Jahren nur die Tatsache, dass "der Schauder heute Normalität geworden ist." Padeluun muss es wissen, richtet er doch zusammen mit vielen Helfern die deutsche Big-Brother-Verleihung (Big-Brother-Preis in Deutschland, Nachlese zum "Big Brother Award") aus, bei der die größten Datenschutz-Sünder ausgezeichnet werden.

Wohliges Gruseln löst angesichts der Globalisierung sowie der Trivialisierung der Überwachung bei den Hackern nur noch der Gedanke an die Weltverschwörung aus. Die Trilogie von Robert Anton Wilson über die Illuminaten gehört nach wie vor zur Standardlektüre jedes Hackers, der sich über die Bedeutung der Zahl 23 aufklären und mitreden will. Andreas Walde lockte daher mit seinem Vortrag über Verschwörungstheorien die Massen in die Aula - und zerstörte mit seinen Ausführungen das geordnete Weltbild so mancher Hacker.

Von guten Sitten zum Illuminaten-Orden

Der alte Mann mit dem weißen Bart, der sich - mit Anzug und Weste bekleidet - von den Sweatshirt tragenden Hackern in meist zartem Alter deutlich abhob, erzählte gleichsam die Vorgeschichte zu Wilsons "Illuminatus", die das Romanwerk und den Gedanken an die große Weltverschwörung deutlich relativiert. Laut Walde ist die zentrale Figur darin Adolf von Knigge. Dass der Freiherr just für die Aufstellung von Tischsitten bekannt wurde, ist für Walde eine Ironie der Geschichte. Übertragen auf die jüngste Vergangenheit könnte eine vergleichbare Interpretation beispielsweise bedeuten, dass Ulrike Meinhof als Katzenliebhaberin in das Gedenken der Nachwelt eingeht. Schließlich habe Knigge in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Mitglied mehrerer "terroristischer" Vereinigungen wie der Jakobiner gegolten. Außerdem sei er Anhänger der "Fideli A-mor" gewesen, eines Orden der "Getreuen des Nicht-Todes".

Knigges größtes Bestreben sei es gewesen, berichtete Walde, Menschen, die nicht höfisch waren, "Höflichkeit" zu vermitteln. Der Freiherr stand also in der Tradition der Aufklärung. Doch da Knigge vermutlich auch "der größte Psychologe Deutschlands" gewesen sei, wie Walde glaubt, hätte er erkannt, dass die Leute sich eigentlich nur für Mystik, Klatsch und Verschwörung richtig interessierten. Daher sei sein Interesse an der Freimaurerei und dem Ordens- bzw. Sektenwesen gekommen, das er bis ins Detail studiert habe.

Eine große Überraschung sei es für Knigge daher gewesen, als er von einem mysteriösen "Herrn Constanzo" eines Tages mit dem ihm trotz seiner Forschung unbekannt gebliebenen Orden der Illuminaten vertraut gemacht wurde. Aber Knigge glaubte dem geheimnisvollen Herrn, der von einer größtmöglichen "Abschirmung" des Geheimordens sprach. "Und dann beging Knigge den Fehler seines Lebens", machte es Walde noch einmal ganz spannend: Er übergab seine gesamten, fast 2000 Seiten umfassenden Erkenntnisse über das Ordenswesen an den Herrn Constanzo, der im Auftrag des Ingolstädter Theologie- und Rechtsprofessors Adam Weishaupt unterwegs war. Diesem lieferte Knigge, der fest an die Illuminaten glaubte, in den Folgejahren Hunderte von Adressen potenzieller Mitglieder des laut Walde von Weishaupt nur erfundenen Ordens, so dass aus der Fiktion des Professors schließlich Wirklichkeit wurde. Zumindest für eine kurze Zeit, denn den Historikern zufolge hat der Illuminatenorden seinen von Walde geouteten Ideengeber Knigge nur 30 Jahre überlebt.

Die Rehabilitierung der Paranoia und die Auferstehung des Mitnick-Mythos

Wie viele der versammelten Hacker habe er jahrelang an die Große Verschwörungstheorie geglaubt, gestand Walde seinem Publikum: "Es war die schönste Zeit meines Lebens", erinnert sich der Hobbyforscher, "denn damals machte noch Alles Sinn." Doch seit er die Zusammenhänge der Gründung des Illuminaten-Ordens sowie die Schemata hinter zahlreichen Verschwörungstheorien erkannt habe, sei er "geheilt". Doch alle Hoffnung auf die von paranoiden Hackern geliebte Ordnung des Weltgeschehens wollte Walde den Congressbesuchern doch nicht nehmen: In einer bis in die Nacht hinein dauernden Diskussionsrunde in einem separaten Raum verhalf der Verschwörungsexperte dem "daneben stehenden Erkenntnisfluss", wie die wörtliche Übersetzung von Paranoia lautet, dann doch wieder zu ihrem begrenzten Daseinsrecht.

In den Schlafsack oder zurück an die Bildschirme schickte die Hacker ganz in diesem Sinne Emmanuel Goldstein, der Kopf des amerikanischen Szenemagazins 2600 und der dahinter stehenden Bewegung. Als Betthupferl zeigte er den von 2600 gedrehten Film "Freedom Downtime", der in zwei Stunden die Aufklärungskampagne der Hackerorganisation über das wahre Wesen des US-Starhackers Kevin Mitnick ausbreitet.

Natürlich findet sich auch darin eine kleine Verschwörungstheorie, die wie immer einen wahren Kern haben mag: Dem Film zufolge erfolgte die Einkerkerung und spätere Verurteilung des sich inzwischen wieder auf freiem Fuß befindlichen Hackers aufgrund einer gezielten Verleumdungskampagne gegen Mitnick, die vom New-York-Times-Autoren John Markoff sowie dem FBI vorangetrieben wurde (Der Yuppie-Hacker - eine neue Chimäre im Cyberspace).