Knüppel aus dem Sack

Der Raum für kritischen Journalismus wird in Russland immer enger

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Dem unabhängigen russischen Radiosender Echo Moskwy droht wie zuvor dem Fernsehsender NTW die Übernahme durch den mächtigen Energiekonzern Gasprom..

Im April erst empörte sich die internationale Medienwelt als Gasprom-Media, die hundertprozentige Tochter des halbstaatlichen russischen Erdgasriesen Gasprom, den Fernsehsender NTW in einer rechtlich äußerst fragwürdigen Blitzaktion übernahm und das Management auswechselte. Fast gleichzeitig hat Gasprom-Media auch die Zeitung Segodnja eingestellt und das Wochenmagazin Itogi mit neuer Führung auf Kurs gebracht. Wie auch die beiden Zeitungen gehörte NTW zu Media-Most, dem größten unabhängigen russischen Medienkonglomerat, das der frühere Oligarch Wladimir Gussinskij aufgebaut hatte.

Jetzt ist der Radiosender Echo Moskwy an der Reihe, die letzte Perle aus dem Gussinskij-Imperium. Schon während der Übernahme von NTW prophezeite Chefredakteur Alexej Wenediktow, dass sein Sender das nächste Objekt der Begierde von Gasprom-Media sein werde. Schon damals stand fest, dass Media-Most seinen enormen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen werden könne und sein Vermögen als Sicherheit für Kredite eingesetzt war. Wenediktow hat sich nicht getäuscht, auch wenn der Übernahmeprozess weniger spektakulär verläuft und im Ausland weitgehend unbeachtet blieb.

Die Ereignisse: Am 24. Juni kommt es bei der Wahl eines neuen Direktorenrats für Echo Moskwy zu einer Auseinandersetzung zwischen den Vertretern von Gasprom-Media und der Führung des Senders. Am 2. Juli legt die Staatsanwaltschaft im Zuge des Konkursverfahrens gegen Media-Most ein 14-prozentiges Aktienpaket auf Eis, das Wladimir Gussinskij der Belegschaft geschenkt hatte, um ihre Unabhängigkeit zu stärken. Dies geschieht gerade noch rechtzeitig, bevor der Schenkungsvertrag in Kraft treten kann. Zwei Tage später bestätigt ein Moskauer Gericht, dass Gasprom-Media von jedem Media-Most-Unternehmen weitere 25 Prozent der Anteile erhalten soll. Damit ist Gasprom-Media mit 52 Prozent unversehens Mehrheitseigentümer bei Echo Moskwy. Um die aufgebrachte Öffentlichkeit zu beschwichtigen, kündigt Gasprom-Media zwar an, 9,5 Prozent seiner Aktien an die Radio-Mitarbeiter zu verkaufen. Doch die sind aus Erfahrung misstrauisch: 17 Mitarbeiter des Radios kündigten unverzüglich ihren Job, aus Protest gegen die "Nationalisierung des einzigen privaten Radiosenders Russlands".

Alexej Wenediktow

Während der Feilschen um Aktien weitergeht und die Übernahme von Echo Moskwy vorerst besiegelt ist, meldete die Nachrichtenagentur Interfax am 10. Juli völlig überraschend, dass Ex-Vizepremier Boris Nemzow, Duma-Sprecher der Union Rechter Kräfte (SPS), mit Gasprom-Media-Chef Alfred Koch über die Übernahme eines Aktienpakets verhandle, mit dem er die Unabhängigkeit des Radios garantieren wolle. Kurz darauf verlautet aus dem Hause Gasprom-Media, dass noch weitere Aktien verkauft werden sollen - an ausländische Investoren und Nemzows Pressesekretärin dementiert, dass es Verhandlungen zwischen Nemzow und Koch gebe. Wie das Internet-Magazin moskau.ru am Montag meldete soll jetzt Ex-Wirtschaftsminister Jewgenij Jassin ein Aktienpaket von 9,5 Prozent erhalten. Er ist seit 1999 für Echo Moskwy tätig und hat dort auch eine eigene Sendung. Ob es dabei bleibt, und was das genau für den Sender bedeutet, wird sich erst noch zeigen.

Die Aktionen um Echo Moskwy verlaufen ähnlich wie bei NTW. Alles ist merkwürdig undurchsichtig - keiner weiß beispielsweise wirklich wie hoch Media-Most verschuldet ist -, es werden Aktienpakete hin und her geschoben, es gibt widersprüchliche Aussagen der Beteiligten in den Medien, dann kommen ausländische Investoren ins Spiel und meistens sind es die staatlichen Behörden die Tatsachen schaffen.

Klar ist jedoch, wer hinter Gasprom-Media steht: der mächtige Erdgasriese Gasprom. Ein Konzern, der ein Viertel der weltweiten Gasvorkommen kontrolliert und für acht Prozent des russischen Bruttosozialproduktes sowie 20 Prozent aller Steuereinnahmen Moskaus aufkommt. Wer hier der Boss ist, ist einer der mächtigsten Männer Russlands. Dies ist derzeit Alexej Miller, ein alter Freund Putins, dem Rem Wjachirew, der seit 1992 auf dem Gasprom-Thron herrschte, Ende Mai völlig überraschend seinen Platz frei machen musste.

Der Staat hat einen Knüppel in der Hand, mit dem er nur einmal zuschlägt, dafür aber auf den Kopf. Wir haben diesen Knüppel bislang noch nicht benutzt ... aber wenn wir wütend werden, werden wir nicht zögern den Knüppel einzusetzen. Es ist unzulässig, den Staat zu erpressen,

lautete Putins Anwort, als er vergangenen Dezember gefragt wurde, wie das Verhältnis des Staates gegenüber den Oligarchen sei.

Wie im Fall von NTW scheint auch jetzt der Knüppel munter auszuteilen. Mit der Übernahme von Echo Moskwy ist der Media-Most-Konzern und damit ein wichtiger staatsunabhängiger Medienkonzern zerschlagen. Bleibt noch das Medienreich von Gussinskij-Konkurrent Boris Beresowskij (z. B. die Zeitungen Kommersant, Nesawisimaja Gaseta, Ogonyok). Doch der hat im Kampf gegen den Kreml erste Schwächen gezeigt: Beresowskij kontrollierte den Staatssender ORT mittels eines 49-Prozent-Aktien-Pakets, nennt sich wie Gussinskij politisch verfolgt, und ist wie dieser ins Ausland abgewandert - wohl wissend, dass gegen ihn die eine oder andere offene Strafsache auf dem Schreibtisch des Generalstaatsanwaltes liegt. Er hatte sich im vergangenen Herbst bereits zu einem Schritt entschlossen, der als Gnadengesuch an den Kreml verstanden werden konnte: Den Verkauf seiner Anteile am Fernsehsender ORT.

Echo Moskwy ist nicht irgendein Dudelradio. Der Sender mit der Lizenznummer 1, war auch tatsächlich die erste Radiostation auf russischem Boden, die 1990 ohne staatliche Kontrolle auf Sendung ging. Heute wird das Programm via Satellit in 70 Städte im ganzen Land ausgestrahlt und Echo Moskwy ist ein renommierter Informationssender, den die Moscow Times als "the last independent voice in the country's national media" und "a lone voice of dissent from the state controlled Russian media" bezeichnete. Hier haben schon Bill Clinton und Bundeskanzler Gerhard Schröder Interviews gegeben. Erst am 3. Juli war Jacques Chirac anlässlich seines Russland-Besuchs dort zu Gast. Echo Moskwy hat sich wie der Fernsehsender NTW als kritische Stimme gezeigt, etwa bei der Berichterstattung über den Tschetschenienkrieg oder das Kursk-Unglück.

Als Wladimir Wladimirowitsch Putin am 26. März 2000 Jelzins Nachfolge antrat, kündigte er die "Diktatur des Gesetzes" an, was aus dem Mund eines ehemaligen KGB-Mannes einen eher unangenehmen Beigeschmack hinterlässt. Putin hat der Korruption und der Mafia den Kampf angesagt und sehr zügig versucht, die enormen Schwierigkeiten seines Landes in Griff zu bekommen. Er setzt dabei nach alter Sowjet-Manier auf Zentralismus auf allen Ebenen.

Für die russischen Medien bedeutet dies immer mehr Einschränkungen. Dass der Media-Most-Konzern Zug um Zug Schachmatt gesetzt wurde, ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass der Kreml den Informationsfluss immer stärker an sich bringt: Im Juli 2000 trat das SORM-Projekt in Kraft (Vgl.Das Oberste Gericht Russlands schränkt das Lauschgesetz SORM ein), ein System für Operational-Investigative Aktivitäten, das Internet-Provider zwingt, auf eigene Kosten Abhörschnittstellen mit einer Verbindung zum Geheimdienst FSB zu schaffen, mit denen dieser alles abhören kann, was über den Server des Providers läuft. Ausgewiesen wurde SORM als Mittel zur Überwachung von Einzelpersonen und nur mit richterlicher Genehmigung, diese kann jedoch auch erst nachträglich eingeholt werden! Wenig später wurde die Doktrin über die Informationssicherheit veröffentlicht, kein Gesetz zwar, aber trotzdem ein Dokument, das hinter sehr viel schwammigen Formulierungen den Kontrollanspruch des Kreml deutlich macht und den Eindruck vermittelt, Information sei eine gefährliche Waffe.

Die Medienunternehmen in den russischen Regionen sind zwar mitunter weit vom Schuss, größere Freiheiten bedeutet dies nicht. Noch als Interims-Präsident verabreichte Putin den Medien dort eine bittere Pille: per Gesetz entzog er den Gebietsverwaltungen das Recht über die Kontrolle der staatlichen Mediensubventionen und übertrug diese Kompetenz dem föderalen Presseministerium. Ein empfindlicher Schlag für das Zeitungswesen, das nach Schätzungen der Russischen Journalistengewerkschaft zu 80 Prozent von staatlicher Unterstützung abhängig ist. So leicht lässt sich der Informationsfluss zentralisieren.

Ob in Moskau oder in der Taiga, wer nicht spurt, bekommt Druck zu spüren: Im Alltag haben sich vielfältige Methoden etabliert: das reicht von plötzlichen Ermittlungen der Steuerbehörden bis zu tätlichen Angriffen von Einzelpersonen. An der Tagesordnung ist auch die systematische Blockierung von Informationen, wie sich am Beispiel des Kursk-Unglücks zeigte, bei dem nur staatliche Medien Zugang zu Informationen erhielten. Vom Gebiet Tomsk berichtete Nesawisimaja Gaseta erst kürzlich von Regeln, nach denen die dortigen Richter Journalisten zu Prozessen zulassen - oder eben nicht.

Das Internationale Presse-Institut (IPI) in Wien hat Russland seit einem Jahr auf seiner Watch List mit Ländern, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt ist. Für das vergangene Jahr meldete das IPI 54 tätliche Angriffe auf Journalisten als Folge ihrer Berichterstattung, davon sechs mit tödlichem Ausgang. Damit hat Russland den traurigen Ruhm als für Journalisten gefährlichstes Land Europas errungen.

Wenn man von Pressezensur spricht, muss man sich auch fragen, ob es in Russland jemals eine Pressefreiheit gegeben hat. Als Michail Gorbatschow mit seiner Glasnost-Parole (glasnost, dt.: Offenheit) zu mehr Transparenz aufforderte, war damit zunächst keine Pressefreiheit im westlichen Sinne gemeint. Doch er hat bald erkannt, dass wirkliche Reformen ohne kritische Medien nicht möglich sind. Im Juni 1990 wurde dann ein Pressegesetz verabschiedet, das die Zensur in der Sowjetunion offiziell beendete und die Pressefreiheit garantierte. Und wahrscheinlich waren die Medien nie freier als zu Gorbatschows Zeiten: Immerhin konnten sie sich weiter aus Staatsmitteln finanzieren und waren dabei relativ frei bei der Berichterstattung.

Jetzt wird der Raum für kritischen Journalismus immer enger. Da hilft es vermutlich auch nicht viel, wenn Reporters sans Frontieres (RSF) und der Glasnost Verteidigungsfonds noch in diesem Monat in Moskau ein Büro eröffnen wollen, um Journalisten juristische Hilfe zu geben und über die Pressefreiheit zu wachen. In der Provinz ist man da pragmatischer oder resignierter, je nachdem. Dort veranstaltet das Zentrum zum Schutz der Medienrechte Seminare mit dem Titel "Wie ein Journalist schreiben sollte, damit er nicht vor Gericht angeklagt wird. Die Regeln rechtlicher Sicherheit".