Kobanê: Hilfskorridor zum Wiederaufbau gefordert
Seite 4: Das Verhältnis zu anderen kurdischen Gruppierungen
- Kobanê: Hilfskorridor zum Wiederaufbau gefordert
- Angriffe mit Unterstützung der Türkei?
- Widerstand nicht nur gegen den IS, sondern auch gegen die anderen Dschihadisten
- Das Verhältnis zu anderen kurdischen Gruppierungen
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Wie ist das Verhältnis zu Gruppen in Kobanê, die der südkurdischen KDP-Regierung nahestehen?
Idriss Nassan: Es ist tatsächlich so, dass es auch in Kobanê die Widersprüche zwischen den verschiedenen kurdischen Kräften gibt, allen voran mit Mitgliedern der ENKS, dem kurdischen Nationalrat in Syrien.
ENKS sieht sich auch zu der in der Türkei organisierten syrischen Nationalen Koalition nahestehend und arbeitet mit ihnen eng zusammen. Aber es kann hier festgehalten werden, dass die Nationale Koalition ebenfalls enge Verbindungen zu terroristischen Gruppen wie dem IS oder Al Nusra pflegt.
Der ENKS versucht mit allen Mitteln, vor allem durch Öffentlichkeitsarbeit unsere Errungenschaften und unsere Arbeit zu diffamieren. Aber wir konnten in diesen Gebieten unter Beweis stellen, dass wir uns für die Menschen einsetzen, dass wir die Menschen schützen. Das überzeugt die Menschen von uns, so dass diese Kräfte keine Basis in Kobanê aufbauen können. In Cizîrê ist die Lage natürlich eine andere. Dort ist, insbesondere auch aufgrund der Nähe zu Südkurdistan eine ganz andere Diversität gegeben.
Eine Frage zum Bündnis Burkan al Firat: Welche Gruppen sind in diesem Bündnis, das jetzt mit der YPG/YPJ zusammen kämpft? Hat sich da etwas an der offensichtlich feindseligen Position des ENKS verändert, denn diese Gruppen kommen ja auch aus der syrischen Opposition oder ist das immer noch das gleiche Problem?
Idriss Nassan: Die Haltung hat sich mit Sicherheit nach wie vor nicht geändert, alle Kräfte, die mit dem ENKS unter einem Dach sind, wollen nicht, dass da etwas entsteht und versuchen mit allen Mitteln, uns nach wie vor daran zu hindern. Nicht weil sie nicht denken, dass wir das Volk befreien würden und wirklich eine legitime Kraft sind, das ist nicht der Grund. Vielmehr sind sie an Kräfte gebunden, die eben unsere Entwicklung nicht akzeptieren.
Sie sehen ihre Vorteile darin, mit diesen Kräften zu kooperieren. Es ist ganz egal, wie viele Gruppen mit uns kooperieren, die Haltung der ENKS wird sich uns gegenüber nicht ändern, weil es denen nicht darum geht, etwas zu schaffen, sondern darum, ihre eigenen Vorteile dort hervorzuheben. Also sie sind z.B. an Gruppen gebunden, die mit den Moslembrüdern kooperieren, bis jetzt gab es keine Änderung in ihrer Haltung bezüglich unserer Gebiete und unserer Kräfte. Vor allem die Türkei wollte, dass Kobanê fällt und sie haben dann auch Erklärungen abgegeben, dass Kobanê kurz vor dem Fall stehen würde.
Sie haben verlautbart, dass dort zwei terroristische Gruppierungen gegeneinander kämpfen würden und es ganz gleich sei, wer von den beiden verliert. Der ENKS hat diese These unterstützt und sich zu eigen gemacht. Sie wollten eben, dass Kobanê zunächst einmal fällt, um sich dann als befreiende Kraft zu präsentieren. Sie wollten erst dann eingreifen, wenn Kobanê gefallen ist und sich danach als die Retter darstellen.
Das zeigt uns doch, was eigentlich deren Zweck ist. Aber glücklicherweise haben die YPG/YPJ mit ihren Verbündeten diese Pläne durchkreuzt und haben Kobanê befreit. Wir sehen die Demokratie als Zukunft in dieser Region und werden auch weiterhin alles daran setzen, die Demokratie aufrecht zu erhalten.
Ich habe gehört, dass die den Muslimbrüdern nahestehende Liwa al Tawhid unter Abdelcabbar Egidfi (oder Akidi) Teil des Bündnisses Burkan al Firat gegen den IS sei, stimmt das? Weil Liwa al Tawhid doch auch diese Erklärung gegen die Kurden vor zwei Jahren herausgebracht hatte, wonach die Kurden radikal ausgerottet werden sollen. Sind die nun bei Burkan al Firat auch dabei oder nicht?
Idriss Nassan: Es ist richtig, dass diese Gruppierungen Teil des Bündnisses werden sollten, vor allem solche, die sich um Abdulcabbar Egidi versammelt hatten - der von der Türkei auch benutzt wurde. Im Zuge der Vereinbarung durch die internationale Koalition, wonach die Peschmerga nach Kobanê kommen sollen und auch FSA Gruppen, wurden sie von der Türkei vorgeschoben, sie wollte sie auch beteiligen. Es kam dann dazu, dass sie auch nach Kobane wollten, allerdings haben wir solche Teile dieser Gruppen, die vorher diese Beschlüsse herausgegeben haben, ausgeschlossen, haben das nicht akzeptiert, dass sie Kobane betreten, und haben sie dann auch zurückgeschickt.
Andere kleine Teile durften nach Kobane, das waren ursprünglich 46 Leute, die die Grenze nach Kobane passiert haben, aber die konnten auch nichts bewirken. Zumal von den 46 Leuten 13 Kämpfer gleich am nächsten Tag Kobane schon wieder verlassen haben, weil sie sich nicht einigen konnten und Abdulcabbar Egidi sind dann nachdrei Tagen schon wieder gegangen,so dass es im Endeffekt nur noch einige wenige waren, ca. 30 Leute, die sich in Kobane aufgehalten haben. Aber die haben sich eher zurückgehalten, haben nichts dazu beigetragen, um den Widerstand gegen den IS zu unterstützen. Sie wollten eben nur zeigen, dass sie als rettende Gruppe da sind, aber wirklich was zustande gebracht haben sie nicht.
Kontakte für einen demokratischen Wandel in Syrien
Wir hören immer wieder, dass es in anderen Städten Syriens, zum Beispiel in Homs, aber auch woanders, Basisgruppen geben soll, die sich ebenfalls demokratisch organisieren. Wissen Sie irgendwas von diesen Gruppen? Gibt es ein syrienweites Bündnis?
Idriss Nassan: Es gibt immer wieder Aufrufe von uns an alle möglichen Kräfte in Syrien, die tatsächlich eine Lösung dieses Problems wollen. Es gibt z.B. das Dokument von TevDem, dass sich an alle Kreise in Syrien richtet und dazu aufruft, zusammen zu kommen, um über die Probleme und Lösungsmöglichkeiten zu debattieren, Beschlüsse zu fassen, um die Lösung in Syrien herbeizuführen.
Die Kontakte für einen demokratischen Wandel in Syrien bestehen, aber die praktische Arbeit gestaltet sich schwierig, zumal wir keine direkte Verbindung zueinander haben. Viele von uns sind durch den IS voneinander getrennt. Wir können also nicht praktisch miteinander kooperieren. Aber wir sind bestrebt, mit allen Kreisen zusammen zu arbeiten, die Lösungsideen haben.
Gibt es europäische Dschihadisten in ihrer Gewalt? Falls ja, was passiert mit denen? Hat man schon mal daran gedacht diese Leute dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu übergeben? Das wäre ja eine Maßnahme, ähnlich wie in Ruanda, wo die Verbrecher wegen Kindersoldaten dorthin übergeben wurden.
Idriss Nassan: Vor den Kämpfen in Kobanê hatten wir tatsächlich einige Gefangene in unseren Gefängnissen inhaftiert gehabt. Während der Kämpfe wurden die Gefängnisse aber erobert und die Gefangenen vom IS freigelassen. Allerdings gab es eine Stunde später dort Luftangriffe und was dann mit diesen Leuten passiert ist, weiß ich nicht. Einer von denen war Staatsbürger von Dänemark, mit dem hatte ich auch als Verantwortlicher für die Außenarbeit Kontakt.
Denn wir haben Kontakt zum dänischen Roten Kreuz und zur dänischen Regierung hergestellt und haben auch den Kontakt zwischen ihm und der dänischen Regierung gewährt. Wir wollten nach einer Lösung suchen, aber uns wurde immer nur nahegelegt, ihn nach Nordkurdistan zu bringen und im Grunde genommen freizulassen. Aber das konnten wir natürlich nicht akzeptieren, schließlich ist er nicht zu Tourismuszwecken gekommen, sondern er hat getötet, er hat Straftaten begangen und wollte ein Massaker verursachen.
Wir konnten ihn nicht laufen lassen. Dieser dänische Staatsbürger wurde an der Front als Schwerverletzter festgenommen. Wir haben ihn versorgt und da wollte die dänische Regierung, dass wir ihn einfach freilassen. Viele Gefangene wurden als Verletzte an der Front festgenommen, aber die meisten von ihnen sind ihren Verletzungen erlegen. Wir haben nicht die Mittel gehabt, sie medizinisch zu versorgen. Das gilt auch für unsere Kämpfer. Auch viele unserer Kämpfer sind an ihren Verletzungen gestorben.
Ich weiß nicht, ob es im Moment Gefangene gibt. Es ist mir nicht bekannt, ob unsere Kräfte Gefangene haben. Aber sollte es welche geben, werden wir alles daran setzen, sie gerecht zu verurteilen, sei es vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag oder anderen Gerichten, die sich mit solchen Fällen befassen. Wir werden alles daran setzen, sie nach internationalen Standards, nach internationalen Gesetzen zu verurteilen.
Noch eine Frage zum Schluss: Wo sehen Sie Kobanê in 5 Jahren?
Idriss Nassan: Wir hoffen doch sehr und erwarten das auch, dass von allen Seiten Unterstützung kommt und wir Kobanê wiederaufbauen können. Wir erwarten das allen voran von den internationalen Mächten und auch von Europa. Wir verzeichnen auch sehr positive Rückmeldungen, wir wurden z.B. jetzt gerade nach Europa eingeladen, wir führen Gespräche und wir hoffen noch sehr, dass der von uns gewünschte Korridor geschaffen wird und dass die Hilfsgüter dort ankommen.
Mit der internationalen Konferenz, die wir jetzt anstreben, werden wir es dafür sorgen, so viel Hilfe dahin zun bringen, dass wir es schaffen werden Kobanê wieder aufzubauen. Wir sind der Auffassung, dass wir in Kobane nicht nur für die Menschen dort gekämpft haben, sondern auch für die Werte aller Menschen. Deshalb sehen wir es als notwendig an, dort wieder was auf die Beine zu stellen.
Ich wünsche mir, dass diese Hilfen ankommen werden und dass wir Kobanê in fünf Jahren wieder aufgebaut haben und es als Symbol, nicht nur für den militärischen Sieg, sondern auch als Sieg der Menschlichkeit wieder glänzen wird.