Können die Linksregierungen in Lateinamerika noch ein Bezugspunkt sein?
Seite 2: Bolivien - oder wie die Rückkehr der alten Mächte schöngeredet wird
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Erst vor wenigen Wochen wurde auch in Bolivien ein Regime-Change durchgeführt und merkwürdigerweise weigerten sich auch manche Linke, von einem Putsch zu reden. Einer der wenigen, der die Fehler der Morales-Regierung kritisiert, ohne seinen Sturz irgendwie als demokratisch zu bemänteln, ist Raul Zelik.
Da ist es schwierig, eine konsequente Haltung einzunehmen. Auf der einen Seite darf man nicht verschweigen, dass sich unter Linksregierungen neue Eliten gebildet haben und Personenkult die Debatten erstickte. Und wo die Linke nicht gestürzt ist, droht ein Zustand wie in Nicaragua, wo Präsident Ortega autoritäre Klientelpolitik mit linkem Anstrich betreibt. Doch wahr ist eben auch, dass die Alternative häufig auf nichts anderes hinausläuft als auf die Herrschaft einer faschistoiden Oligarchie.
Raul Zelik, Wochenzeitung Freitag
Zelik erinnert auch an die ökonomischen Fesseln, die auch die angeblich progressiven Regierungen stark einschränkten:
Dass die Lage so hoffnungslos erscheint, liegt nicht an der "mangelnden politischen Kultur" der betroffenen Länder, sondern an den Gesetzen des neoliberalen Weltmarkts. Für lateinamerikanische Staaten gibt es jenseits der Rohstoffplünderung keine echte Perspektive. Dort aber, wo wenig Wertschöpfung stattfindet und der Kuchen klein ist, verwandelt sich der Staat in eine Arena der Verteilungskämpfe. Die Linksregierungen haben versucht, die Rohstoffeinnahmen etwas ausgewogener zu verteilen. Doch seit die Nachfrage auf den Weltmärkten stockt, ist es damit vorbei. Das neoliberale Modell, das jetzt mit aller Macht zurückkehrt, wird die soziale Krise weiter vertiefen.
Raul Zelik, Wochenzeitung Freitag
Eine solche Analyse hebt sich wohltuend ab von den Kommentaren auch mancher Linker, die Morales mit Recht dafür kritisieren, dass er mit seiner Wiederwahl die Verfassung verletzt habe, die das eben nicht vorsah. Da wird aber gerne zu erwähnen vergessen, dass diese Verfassung wesentlich durch die gesellschaftliche Umwälzung entstanden ist, die auch Morales an die Macht gebracht hatte.
Nicht mehr die weißen Eliten, sondern die Mehrheit der Indigenen sollen im Mittelpunkt stehen und tatsächlich gab es dort wesentliche Fortschritte, die aber auch zu einer großen politischen Ausdifferenzierung führte. So wurden einige Indigenenorganisationen zu Gegnern der Morales-Regierung. Das ist eigentlich eine ganz selbstverständliche Entwicklung.
Es wäre doch eine identitäre Vorstellung, dass Indigene nur einer politischen Richtung angehören können. Es bilden sich auch dort neue Klassenspaltungen heraus und es entwickelte sich auch eine neue Bourgeoisie, die teilweise von ehemaligen Minenarbeitern getragen wurden, wie die Autoren eines Buches beschreiben, dass sich kritisch mit der linken Regierungspraxis beschäftigt und auf Deutsch im Verlag Bertz und Fischer erschienen ist.
Nur darf diese berechtige Kritik nicht dazu führen, einen rechten Putsch schön zu reden. Was war es denn anderes, wenn der amtierende Präsident das Land verlassen und ins Ausland fliehen muss, weil er in Bolivien in Lebensgefahr ist? Warum fällt niemand von denen auf, die so stark kritisierten, dass Morales die Verfassung missachtete, als er sich zur Wiederwahl stellte, dass seine Amtszeit aus der letzten Wahl erst im Januar zu Ende gewesen wäre?
Warum hat denn niemand der Verteidiger der Verfassung auch das Recht von Morales verteidigt, seine Amtszeit regulär und ohne Anfeindungen beenden zu können? Schließlich wäre zu fragen, ob die Verfassung nicht viel stärker verletzt wird, wenn die alten weißen Eliten mit der Bibel in der Hand wieder an den Schaltstellen der Macht auftauchen?
Sie hatten sich nie damit abgefunden, dass die Indigenen nun auch gleiche Rechte einforderten und durch die Verfassung auch erreicht hatten. Am Ende kann man Raul Zelik nur Recht geben. Es gibt keinen Grund die Linksregierungen zu verklären oder gar anzunehmen, dass sie bereits Schritte zum Sozialismus ergriffen hätten.
Wenn aber als Alternative nur die alte revanchistische und nicht selten faschistische Rechte auf den Plan tritt, ist es klar, dass man gegen diese Kräfte die linksreformistischen Regierungen verteidigen sollte.
Es ist schon merkwürdig, dass in Deutschland viele Linke den Kampf gegen rechts so sehr ausweiten, dass sie selbst die CDU als Bündnispartner akzeptieren und in Lateinamerika ziert man sich, die linksreformistischen Kräfte gegen die Bolsonaros, und wie die Rechten dort sonst heißen, zu verteidigen.
Müsste es nicht analog zu den Unteilbar-Demonstrationen gegen die Rechte in Deutschland globale Unteilbar-Aktivitäten auch einen Morales und einen Maduro als Bündnispartner gegen die Rechte willkommen heißen?
Hubert Fichte - oder wie man linksreformistische Regierungen kritisieren und gleichzeitig gegen rechts verteidigen kann
Das darf nun eben nicht heißen, in die Linkskräfte irgendwelche revolutionären Erwartungen hineinzuprojizieren, was in den 1980er Jahren am Beispiel Nicaragua und später bei der Chavez-Regierung in Venezuela geschehen ist. Das kann nur zu Enttäuschungen führen. Diese Positionierung, eine Regierung kritiklos zu verteidigen, ist ebenso identitär wie die dann oft ebenso abrupte Verteufelung.
Wie man anders an die linksreformistischen Regierungen heran gehen kann, zeigt die Ausstellung Hubert Fichte - Liebe und Ethnologie, die noch einige Tage im Haus der Kulturen der Welt in Berlin zu sehen ist. Sie widmet sich den vielfältigen globalen Aktivitäten des Schriftstellers und Wissenschaftlers Hubert Fichte. Er reiste in den frühen 1970er Jahren auch nach Chile, wo der Linkssozialist Salvador Allende regierte.
Seine Unterstützung des Reformprojekts hielt Fichte nicht davon ab zu kritisieren, dass weiterhin schwulenfeindliche Gesetze in Kraft waren. Diese Kritikpunkte wurden auch bei Verantwortlichen der Regierung angesprochen, die sich so rechtfertigen mussten und die Praxis änderten. So hätte man heute sicher auch genügend Gründe für Kritik an der Politik der Maduro-Regierung in Venezuela.
Ihr sehr moderater Umgang mit dem selbsternannten Putsch-Präsidenten und seinen Anhängern ist aber ein schlagender Beweis, dass dort keine Diktatur an der Macht ist. In vielen anderen bürgerlichen Demokratien wäre der selbsternannte Präsident längst verhaftet worden.