Können die Linksregierungen in Lateinamerika noch ein Bezugspunkt sein?

Seite 3: Über den Wahlzyklus hinaus

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Zu kritisieren ist also nicht, dass Linke skeptisch auch gegenüber Regierungen auftreten, die sich selber links nennen. Doch es ist frappant, dass ihre Kritik oft selber nicht über die Beschwörung bürgerlicher Grundsätze hinausgeht. Das zeigt schon der starke Fokus auf die Wahlen in fast all diesen Ländern.

Dabei war die Linke in Lateinamerika wie auch in Deutschland theoretisch schon einmal weiter. Da wurde das Abhalten von Wahlen nicht mit einer Partizipation der Bevölkerung an den Angelegenheiten des Staates verwechselt. Die Wahlen und die vorgeschalteten Wahlkämpfe sorgen doch eher dafür, den Großteil der Bevölkerung abzuhalten, ihre Interessen selber wahrzunehmen.

Sie sollen Politiker wählen, die populistisch irgendwelche Forderungen verkünden, die sie dann, wenn sie gewählt sind, durchsetzen sollen. Heute dürfte wohl vielen klar sein, dass diese Forderungen nach der Wahl meist vergessen oder eben nicht durchsetzbar sind.

So wäre es doch für eine Linke, die sich nicht als Claqueure von irgendwelchen Regierungen verstehen, auch wenn sie sich das Label "links" geben, angesagt, mit dem Aufbau von Räten in Fabriken und Stadtteilen Ernst zu machen und mit der Partizipation der Bevölkerung an allen Angelegenheiten des Staates und der Wirtschaft.

Statt alle vier oder fünf Jahre einen Wahlzirkus abzuhalten sollte also ernst gemacht werden mit der Selbstregierung der Menschen. Es ist auch ein Kritikpunkt, dass Matthias Schindler in seinen Nicaragua-Buch diese Kritik an Wahlen nicht aufgreift, die ja bereits in den frühen Dokumenten der sandinistischen Bewegung in den 1970er Jahren formuliert wurden.

So heißt es in einem der ersten Dokumente nach dem Sieg der sandinistischen Revolution 1979: "Demokratie beginnt und sie endet auch nicht mit der Abhaltung von Wahlen. Demokratie beginnt im wirtschaftlichen System, sobald es damit beginnt, die sozialen Ungleichheiten abzubauen."