Könnten sie nicht gute Gründe haben zu schweigen?

Seite 2: Schärfster Kassandrarufer

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Mittlerweile ist Brins Standpunkt insbesondere in praktischer Hinsicht radikaler geworden, wohl deshalb, weil die Anhängerschaft der „Active-SETI“-Methode selbst immer radikaler, sprich ihre Bereitschaft zu senden immer größer geworden ist. Hinzu kommt, dass die Debatte immer weitere Kreise zieht.

Computergenerierter Sonnenuntergang, so wie er auf einem fernen Exoplaneten aussehen könnte. Auch in Doppelsternsystemen könnten technologisch hoch entwickelte Lesewesen eine Nische gefunden haben. Bild: NASA/JPL-Caltech/University of Arizona

Brin hingegen zählt im stetig wachsenden Chor der METI-Skeptiker nicht nur zu den führenden Theoretikern, sondern auch zu den schärfsten Kritikern. Wann immer Wissenschaftler und die Medien über dieses Thema philosophieren und spekulieren, ist seine Meinung gefragt. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit – so auch in der sehenswerten deutschen TV-Dokumentation Die wahren „Alien-Jäger“. Großer Lauschangriff ins All (2008) – kleidet Brin sein Hauptargument immerfort in eine kurze und schlüssige Formel. Es ist in der Regel eine, die zur Vorsicht mahnt.

Brin führt das Fehlen eines bisherigen ersten Kontakts über elektromagnetische Wellen nicht auf die Abwesenheit extraterrestrischer Intelligenz im Universum zurück. An deren Existenz zweifelt er keineswegs. Was die klassischen SETI-Suchprogramme seit 51 Jahren praktizieren, hält er für elementar wichtig und richtig. Nur wertet er das große Schweigen im Äther als Indiz dafür, dass hochentwickelte technologische Zivilisationen – wenn überhaupt – ihre Signale höchst dosiert einsetzen.

Es könnte sich zeigen, dass das große Schweigen dem in einem Kinderzimmer ähnelt, in dem Erwachsene sanft und leise sprechen, um die blumigen und farbenfrohen Träume ihrer Kinder nicht zu stören

Reservierte Aliens aus Kalkül

Aus einem unerfindlichen Grund orientieren sich die Anderen Brins Ansicht nach nicht an Carl Sagans Idealtypus einer friedliebenden, altruistischen Superzivilisation, die im Sinne eines interplanetaren Kulturaustauschs sowohl fleißig horcht als auch sendet. Nein, Brins Aliens üben sich vielmehr in Zurückhaltung.

Es ist kaum zu glauben, aber jeder auf diesem Bild zu sehende einzelne Punkt ist eine weit entfernte Galaxie. Natürlich sind wir nicht allein … alles andere wäre „irdische Hybris“. Bild: ESA/Herschel/SPIRE/HerMES

Doch genau diese Attitüde sollte uns, wie Brin betont, nachdenklich stimmen, insbesondere diejenigen unter den SETI-Enthusiasten, die nicht mehr länger gewillt sind, passiv zu lauschen, sondern am liebsten permanent in den Weltraum funken würden. Die für Brin zentrale Frage kann daher nur lauten: Wenn freilich da draußen viele intelligente Spezies existieren, die sich darauf verständigt haben, allesamt zu schweigen, ist dann nicht die Frage naheliegend, ob wir ihrem Beispiel folgen sollten? Könnte es nicht sein, dass die Gründe für ihr Schweigen tiefgreifender Natur sind?

Wenn Aliens wirklich so fortgeschritten und selbstlos sind und sich dennoch entschlossen haben, ruhig zu bleiben und nicht zu senden – sollten wir dann nicht in Betracht ziehen, ihrem Beispiel zu folgen, zumindest für eine Weile?

Interstellare Handelsware

Entgegen der von Carl Sagan in dem Roman „Contact“ literarisch und in dem gleichnamigen Film cineastisch verklärten Superzivilisation, die ganz gezielt einen interplanetaren Kulturaustausch fördert, mahnt Brin zu Weitsicht und Abstinenz und fordert, mit den intellektuellen und kulturellen Ressourcen unserer Gesellschaft möglichst sparsam zu haushalten, weil sie unser größtes Kapital sind.

Ein zu freizügiges Verschicken von Datenpaketen könnte den irreversiblen Verlust wertvollen Geistesguts nach sich ziehen. Denn wer maßlos und einseitig Botschaften ins kosmische Blaue hinein oder im extremsten Fall den Inhalt des gesamten World Wide Web ins All pulse, verscherbele laut Brin seine interstellare Handelsware freiwillig.

Denn mit großer Wahrscheinlichkeit werden auch außerirdische Kulturen Handel betreiben – fortgeschrittene, der Raumfahrt zugewandte Zivilisationen sogar auf interstellarer Ebene Informationen austauschen. „Ihr Kapital werden Informationen sein“, verdeutlicht Brin. Interstellare Informationen, die wir als nützlich erachten, solche, die wichtige Kenntnisse über deren Kunst, Literatur, Technik und Wissenschaft vermitteln könnten.

Vergessen Sie die materiellen Güter. Der wahre Reichtum der Menschheit liegt in ihrer Kultur. Mit ihr können wir Handel betreiben. Sie ist unser kostbarstes Gut!

Bild: NASA/JPL

Aber was hätte unsere Kultur einer fremden Rasse in einen solchen Fall noch zum Tausch anzubieten, beamte sie vorschnell ihr gesammeltes Wissen, ihre Musik, Kunst, Wissenschaft und Bücher als Geschenk großzügig und unwiderruflich weg?

Wir erhoffen uns von ihnen möglicherweise Antworten auf unsere grundlegenden Fragen. Sie werden vielleicht erwidern: ‚Prima. Wir haben einige Antworten: Aber sicher habt ihr im Gegenzug auch etwas zu bieten?

Aus diesem Blickwinkel betrachtet könnte sich ein hemmungsloses einseitiges interplanetares Mitteilungsbedürfnis als größter Fehler aller Zeiten erweisen. Künftige Historiker könnten geneigt sein, diejenigen, die einstmals das Erbe der Menschheit unbesorgt und altruistisch ins All geschleudert haben, als größte Menschheitsverräter zu bezeichnen, weil sie ohne Gegenleistung gesendet und uns „alle damit ärmer gemacht haben“.

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