Kohle um jeden Preis

Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister will Kohlekraftwerke bauen und den Treibhausgasausstoß seines Bundeslandes verdreifachen

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Während alles vom beginnenden Klimawandel spricht und der östliche Mittelmeerraum unter einer beispiellosen Hitzewelle stöhnt, scheint hoch im Norden jemand die Zeichen der Zeit verschlafen zu haben: Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Dieter Austermann legte am Montag ein Grünbuch Schleswig-Holstein Energie 2020 vor, das es in sich hat. Von derzeit 4,3 Millionen auf 15 Millionen Tonnen will er bis zum Jahre 2020 den Kohlendioxid-Ausstoß der Stromwirtschaft im Land zwischen den Meeren steigern. Das Gas, vielen auch unter seiner chemischen Formel CO2 bekannt, gilt als Hauptverursacher der globalen Erwärmung.

Nun gehört Schleswig-Holstein mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern nicht gerade zu den wichtigen Bundesländern. Man könnte daher in südlicheren Teilen der Republik versucht sein, die Ankündigungen des christdemokratischen Ministers schnell in die Schublade folkloristischer Skurrilitäten abzulegen. Dazu könnten schon so schöne Sätze wie die folgenden verleiten:

In der Praxis kann indes dieser Dreisprung nicht stets in der o. g. stringenten Reihenfolge verabsolutiert werden, denn oftmals sind die einzelnen Voraussetzungen für diese Reihenfolge nicht kompatibel, bspw. Platz- und Energieverfügbarkeit etc.

oder

In Zeiten, in denen sich arktische und antarktische Land- und Meeresvereisung beschleunigt aufzulösen drohen, kehrt sich der Schutzvektor um, fortan die Menschen vor dem Wasser zu schützen.

Doch damit würde der schmunzelnde Leser es sich eindeutig zu einfach machen. Dieter Austermann ist mit seinem kruden Plädoyer für neue Kohlekraftwerke in gewisser Weise typisch für einen bestimmten Schlag Politiker, der in Bund und Land das Sagen hat. Er macht sich zum bedingungslosen Fürsprecher der Pläne der Energiewirtschaft, die die Gunst der Stunde nutzend die Bundesrepublik mit neuen Kohlekraftwerken überziehen will. In Deutschland muss in den nächsten Jahren nicht nur Ersatz für die Atomkraftwerke geschaffen werden, die derzeit rund 26 Prozent des hiesigen Stromverbrauchs decken und in den nächsten 13 Jahren sukzessive abgeschaltet werden. Auch viele Kohlekraftwerke sind alt und müssen vom Netz genommen werden. Insgesamt rechnet das Bundeswirtschaftsministerium mit einem Ersatzbedarf von 40.000 Megawatt (MW) Kraftwerksleistung.

Die großen Stromversorger RWE, E.on, Vattenfall und EnBW, die in Deutschland die Netze unter sich aufgeteilt haben, lassen keinen Zweifel daran, dass sie diesen Bedarf vor allem mit neuen Kohlekraftwerken decken wollen. Auch einige Investoren drängen auf den offensichtlich lukrativen Markt. So will zum Beispiel das dänische Unternehmen Dong Energy, das Zuhause keine Kohlekraftwerke mehr errichten darf, in Ostvorpommern zuschlagen. Auf dem Gelände eines ehemaligen Atomkraftwerkes bei Lubmin soll für rund 1,5 Milliarden Euro ein neues Steinkohlekraftwerk mit einer Leistung von rund 1700 MW gebaut werden. Bundesweit hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Planungen für insgesamt 26 neue Braun- und Steinkohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 26.000 MW gezählt.

In Schleswig-Holstein sind allein vier Kohlekraftwerke im Gespräch: Eines in der Landeshauptstadt Kiel, gegen das sich dort bereits erheblicher Widerstand regt, getragen unter anderem von der örtlichen Attac-Gruppe, und drei im Raum Brunsbüttel, wo der Nord-Ostsee-Kanal auf die Elbe trifft. Das Land der Holsteiner, Friesen und Dänen ist also in gewisser Weise das Testgelände für die Vorhaben der Stromkonzerne. „Mit unserem Grünbuch haben wir erstmals die Leitplanken der CO2-Bilanz nicht nur für Schleswig-Holstein, sondern für die gesamte Bundesrepublik aufgezeigt“, meinte Austermann dann auch ganz unbescheiden. Ein genauerer Blick auf sein „Grünbuch“, das man bei der Landtagsfraktion der Grünen eher für ein Schwarzbuch hält, ist also ratsam.

Sparen Fehlanzeige

Und so sehen die Vorstellungen des CDU-Ministers, der übrigens mit sozialdemokratischen Kollegen in einer großen Koalition die Kabinettsbank drückt, aus: Die jährliche Stromerzeugung soll in Schleswig-Holstein bis 2020 von derzeit 35 Terawattstunden (TWh, eine TWh entspricht einer Milliarde Kilowattstunden) auf 44 TWh wachsen, die im Wesentlichen je zur Hälfte mit Kohle und Wind gewonnen werden. Gleichzeitig soll der Verbrauch trotz eher rückläufiger Einwohnerzahlen von 13,5 TWh auf bis zu 16 TWh wachsen. Den grünen Landtagsabgeordneten Detlef Matthiesen veranlasste dies zu der Bemerkung, dass Effizienzsteigerung und Förderung des Stromsparens in Schleswig-Holstein offenbar nicht vorgesehen sind.

Projektionen der Stromerzeugung und des Stromverbrauchs in Schleswig Holstein. Grafik: Grünbuch Schleswig-Holstein Energie 2020

Dabei haben Austermanns Projektionen auf den den ersten Blick auch etwas Positives. Der Windanteil soll kräftig wachsen und bis 2020 den schleswig-holsteinischen Eigenverbrauch sogar deutlich übersteigen. Nach den Erwartungen des Wirtschaftsministers werden dann 20,5 TWh Windstrom produziert. Immerhin 8,5 TWh davon sollen von den an Land stehenden Anlagen gewonnen werden. Das wäre eine Steigerung um etwas über 100 Prozent. Voraussetzung: Die alten Anlagen werden bis dahin vollständig durch neuere, leistungsstärkere ausgetauscht.

Der größere Teil des Ausbaus der Windenergie ist jedoch im Offshore-Bereich geplant, also in größeren Windparks vor den Küsten, die von Land nicht zu sehen sind, weil sie fast ausschließlich außerhalb der 12-Meilen-Zone errichtet werden. Auf diesem Sektor ist die Entwicklung jedoch in den letzten Jahren wie berichtet (Nachbessern) hinter den Erwartungen zurück geblieben. Im Kieler Wirtschaftsministerium macht man dafür unter anderem eine durch „explodierende Stahl- und Kupferpreise bedingte Investitionszurückhaltung“ verantwortlich. Die hofft man durch verbesserte Anreize überwinden zu können. Austermann verspricht im Vorwort des „Grünbuches“, sich bei der für das nächste Jahr vorgesehenen Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes „für eine bis Ende 2011 befristete Erhöhung der Offshore-Vergütung ein(zu)setzen. In Schleswig-Holstein könnten dann bis Ende 2011 mindestens drei Parks ans Netz gehen.“

Vorgeschobene Argumente

Gleichzeitig dient der Windstrom dem Landeswirtschaftsminister jedoch als Argument für den Bau neuer Kohlekraftwerke. Der Wind weht zugegebener Maßen unstet, sodass die elektrische Energie zu Zeiten anfallen kann, in denen es wenig Bedarf gibt, während zu Spitzenbedarfzeiten lokal Flaute herrschen mag. Deshalb kann Schleswig-Holstein seinen Strombedarf sicherlich nicht vollständig aus heimischen Windstrom decken, selbst wenn übers Jahr mehr produziert als verbraucht wird.

Dem Problem kann auf dreierlei Weise begegnet werden:,wobei eine Mischung aus allen drei Elementen sicherlich am realistischsten wäre:

  1. durch großräumigen Verbund vom Atlantik bis zur Ostsee, denn irgendwo weht es immer;
  2. durch Speicherung (Pumpspeicherwerke, Druckluftspeicher in Kavernen);
  3. durch Kraftwerke aller Art, die einspringen, wenn es nicht weht.

Das Austermannsche „Grünbuch“ hält sich allerdings nicht lange mit a und b auf. Weder Speicheroptionen noch Möglichkeiten, die der Netzverbund bietet, werden ernsthaft erörtert, geschweige denn, dass Entwicklungspfade beschrieben würden, mit denen entsprechende Lösungen aufzubauen wären. Der CDU-Mann und sein Ministerium sind vielmehr ganz fixiert auf Lösung c, also auf den Bau von Kraftwerken.

Doch auch hier gibt es mehr Möglichkeiten, als Großkraftwerke in die Landschaft zu setzen. Das zeigt das Beispiel Dänemark. Noch Mitte der 1990er Jahre wurde beim nördlichen Nachbarn rund 80 Prozent des Stroms in Kohlekraftwerken produziert, obwohl das Land schon damals ein Pionier in Sachen Windenergie und Kraftwärmekopplung (KWK) war. Doch 1996 zog dann die seinerzeitige sozialdemokratische Regierung aufgrund des drohenden Klimawandels die Notbremse und untersagte den Bau neuer Kohlekraftwerke. 2006 war der Beitrag der großen Zentralkraftwerke an der Stromerzeugung, die teils mit Kohle, teils mit Erdgas betrieben werden, auf knapp 56 Prozent gesunken. Kleine dezentrale Heizkraftwerke, die oft mit Biomasse betrieben werden, liefern rund 24 Prozent des Stroms, die Windenergie leistet etwa 20 Prozent.

In Dänemark wird heute ganz auf Dezentralisierung gesetzt, auch wenn die derzeit regierenden Rechtsliberalen, die sich von der extrem rassistischen Volkspartei tolerieren lassen, den Ausbau neuer Offshore-Parks behindern. Die Energielandschaft ist in Jütland und auf den Inseln durch eine Vielzahl kleiner Anlagen und einigen ganz wenigen verbliebenen Großkraftwerken geprägt. Möglich wurde das unter anderem auch durch die Verstaatlichung des Netzes. Damit wurde eine von den Erzeugern unabhängige und nicht hauptsächlich gewinnorientierte Instanz geschaffen, die mit einem modernen Kommunikationsnetz mit den Betreibern verbunden ist. Energienet.dk verknüpft in ihrer Leitstelle Windvorhersagen, Verbrauchsprognosen und Informationen der Erzeuger, berücksichtigt auch noch die Entwicklung der Strombörse und koordiniert den Austausch über den Stromverbund mit den skandinavischen Nachbarn und mit Deutschland.

Doch von einer derartigen intelligenten Lösung scheint man 110 Kilometer hinter der Grenze in der Kieler Landesregierung noch nichts gehört zu haben. Das „Grünbuch“ vermeidet jedenfalls die Erwähnung der dänischen Erfahrungen weitgehend und handelt sie in einer Fußnote lapidar ab: „Ein Vergleich mit der hohen KWK-Durchdringung Dänemarks liegt neben der Sache, weil dort die entsprechenden Entscheidungen bereits ab den 1980er Jahren umgesetzt wurden. Eine generelle Übertragung auf Deutschland verkennt die zwischenzeitlich manifeste Unterschiede, was man zwar beklagen, aber nicht mehr ändern kann.“ Mit anderen Worten: Weil seinerzeit hierzulande auf Atomkraft gesetzt wurde und man nicht die schon damals als Alternative geforderten Kleinkraftwerke gebaut hat, deren Abwärme zugleich zum Heizen genutzt werden kann, ist jetzt eben nichts mehr zu machen. Eine wirklich umwerfende Logik.

Mit der gleichen Schnoddrigkeit werden andere Alternativen übergangen, wie der Bau moderner Gas- und Dampfturbinenkraftwerke, die wesentlich geringere spezifische CO2-Emissionen verursachen. Diese könnten sowohl mit Erdgas als auch mit gereinigtem Biogas aus der Vergärung von landwirtschaftlichen Abfällen betrieben werden, was sie besonders attraktiv macht. Zudem sind sie auch noch wesentlich flexibler zu steuern als Kohlekraftwerk und würden sich daher auch vom rein netz-technischen Standpunkt besser eignen, um die Windkraft abzufedern.

Gesamte Treibhausgas-Emissionen von Stromerzeugungsoptionen (inkl. vorgelagerter Prozesse und Stoffeinsatz zur Anlagenherstellung). GuD-Kraftwerk = Gas- und Dampfturbinenkraftwerk. Grafik: Fritsche, Uwe R., 2007: Treibhausgasemissionen und Vermeidungskosten der nuklearen, fossilen und erneuerbaren Strombereitstellung . Öko-Institut e.V. Darmstadt.

Im Falle der verschiedenen aufgeführten Heizkraftwerkstypen wurden die durch die Fern- bzw. Nahwärme vermiedenen Emissionen in Heizungsanlagen in den Haushalten und öffentlichen Gebäuden von den Emissionen des Kraftwerks abgezogen. Für alle Anlagentypen wurden die Emissionen aus Bau sowie Aufbereitung und Transport der Kraftstoffe etc. berücksichtigt. Bei den Gaskraftwerken fällt ins Gewicht, dass ein Teil des methanhaltigen Gases in die Atmosphäre entweichen kann. Deshalb ist zum Beispiel bei einem Biogaskraftwerk die Gesamtbilanz etwas schlechter als die reine CO2-Bilanz, denn Methan (CH4) ist ebenfalls ein Treibhausgas, und zwar eines, das noch wesentlich effektiver als CO2 ist. Man beachte, dass kleine Blockheizkraftwerke geringere spezifische Emissionen haben als Atomkraftwerke, für die Austermann in seinem „Grünbuch“ durch die Blume eine Laufzeitverlängerung fordert.

Bemerkenwertes Demokratieverständnis

Das „Grünbuch“, so Austermann bei dessen Vorstellung in einer Presseerklärung, soll in den kommenden Monaten als Diskussionsgrundlage dienen, an dessen Ende energiepolitischen Leitlinien des Landeskabinetss stehen sollen. Bezeichnend für seine Vorstellungen von diesem Meinungsbildungsprozess ist die Ankündigung, bereits im August die „Entscheidungsträger der Energiebranche Schleswig-Holsteins einladen“ zu wollen, „um über die ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen aus der Expertise zu beraten.“ Mit anderen Worten: So wie einst Bundeskanzler Gerhard Schröder „Atomkonsens“ und Energiepolitik in trauten Runden ausgekungelt hat, so möchte auch der Kieler Wirtschaftsminister gerne im kleinen Kreis der Konzernlenker in seinem Bundesland die Weichen für die nächsten Jahrzehnte stellen. Der Eindruck wird verstärkt durch die Tatsache, dass die „Entscheidungsträger“ der einzige Personenkreis sind, dessen Einbeziehung in die Diskussion der Landesregierung erwähnt wird.

Eine andere Frage ist allerdings, um Umweltverbände, Gewerkschaften und andere sich dieses sehr eigene Demokratieverständnis gefallen lassen. Die verschiedenen Initiativen, die sich in der Landeshauptstadt zu regen beginnen lassen eher darauf schließen, dass es dort in nächster Zeit wie auch in vielen anderen Städten, in denen neue Kohlekraftwerke geplant sind, lebhafte Auseinandersetzungen um die Richtung der Energiepolitik geben wird.