Kommt das Mikroplastik-Verbot zu spät für unsere Gesundheit?

Die Freisetzung von Mikroplastik soll in der EU bis 2030 um fast ein Drittel reduziert werden. Langzeitfolgen sind kaum erforscht. Wie viel in unsere Körper gelangt, schon.

Im Durchschnitt nehmen wir jede Woche Mikroplastik im Gesamtgewicht einer Kreditkarte zu uns – das ergab schon vor Jahren eine Studie im Auftrag der Umweltorganisation WWF. Das EU-Verbot, das nun schrittweise umgesetzt werden soll, betrifft den Verkauf von Mikroplastik ebenso wie Produkte, denen Mikroplastik zugesetzt wurde und die es bei der Verwendung freisetzen.

Mikroperlen und loser Glitter sollen bereits ab dem 15. Oktober nicht mehr verkauft werden dürfen. Bei Granulat auf Kunstrasenplätzen soll das Verbot erst in ein paar Jahren kommen. Ausgenommen sind Produkte, die entweder an Industriestandorten verwendet werden oder kein Mikroplastik freisetzen.

Ausnahmen gibt es auch für Arzneien und bestimmte Lebens- und Futtermittel. Mit den geplanten Maßnahmen soll die Freisetzung von rund einer halben Million Tonnen Mikroplastik in die Umwelt verhindert werden.

Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) empfahl ein Verbot, weil Mikroplastik aus bestimmten Produkten unkontrolliert in die Umwelt gelangt. EU-Staaten und Parlament stimmten dem bereits zu.

Mit dem Begriff Mikroplastik werden schwer abbaubare, synthetische Polymere mit einer Größe von weniger als fünf Millimetern bezeichnet. Es findet sich in Kaugummis, Kosmetika, als Granulat in Kunstrasen, als Peeling oder Glitter in Kosmetika, in Spielzeug und Pflanzenschutzmitteln. Die Partikel gelangen ins Wasser und in die Luft, reichern sich in Tieren an – einschließlich Fischen und Schalentieren – und landen schließlich auf unserem Teller.

Mikroplastik findet sich in den Meeren, Flüssen und an Land sowie in Lebensmitteln und im Trinkwasser. Wie eine Untersuchung im Auftrag des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbands von 2015 zeigte, gelangen pro Jahr bis zu 8,2 Milliarden Mikroplastikstoffe in die Flüsse. Allein im Klärschlamm wurden zwischen 1.000 und rund 24.000 Teilchen je Kilogramm Trockenmasse nachgewiesen.

Von hier aus landen die Teilchen im Dünger auf den Äckern. Auf diese Weise reichert sich im Laufe der Jahre immer mehr davon in der Umwelt an. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Greenpeace fordern seit Langem, auch flüssige, halbfeste und gelartige Kunststoffe unter dem Oberbegriff Mikroplastik einzuordnen.

In Deutschland werden jedes Jahr 790.000 Tonnen kosmetische Mittel produziert. Viele dieser Produkte enthalten primäres Mikroplastik. Laut Umweltbundesamt werden hierzulande pro Jahr 500 Tonnen Polyethylen in Kosmetika eingesetzt. 977 Tonnen Mikroplastik und 46.900 Tonnen gelöste Polymere gelangen jährlich allein aus Kosmetikprodukten, Wasch-, Putz- und Reinigungsmitteln ins Abwasser, wie eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik im Auftrag des Nabu ergab.

Kunstrasenplätze als Quelle von Mikroplastik

Zwei Drittel der primären Mikroplastik-Verschmutzung in Europa stammt von Kunstrasenplätzen. Allein in Deutschland gibt es mehr als 5.000 Kunstrasenplätze, zumeist auf Fußballplätzen – Tendenz steigend. Das elastische Granulat, sogenanntes Infill, wird zusammen mit Quarzsand auf den Kunstrasenplätzen aufgebracht. Bei vier bis sieben Kilogramm Gummigranulat pro Quadratmeter befinden sich auf einem üblichen Fußball-Kunstrasenplatz von mehr als 7.000 Quadratmetern bis zu 50 Tonnen davon.

Durch Wind, Regen und Schnee, aber auch durch den normalen Spielbetrieb gelangt das Plastikgranulat vom Platz in die Umwelt. Die Europäische Chemikalienagentur ECHA geht davon aus, dass durchschnittlich 500 Kilogramm pro Platz im Jahr in der Umwelt landen. Zwar soll der Neubau von Kunstrasenplätzen künftig ohne Kunststoff-Infill erfolgen, doch gibt es auf den bestehenden Plätzen weiterhin erhebliche Mengen an Mikroplastik, das potenziell in die Umwelt gelangen könnte.

Auswirkungen auf menschliche Gesundheit sind kaum untersucht

Bisher wurden Langzeitfolgen von Mikroplastik auf den menschlichen Körper kaum untersucht. Dass sich noch viel mehr Studien mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastik beschäftigen müssen, zu diesem Schluss kommt ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Wichtig wären auch Untersuchungen darüber, wie sich Mikroplastikpartikel im unteren Mikrometerbereich auf den menschlichen Organismus auswirken. Forschungsbedarf besteht zum Beispiel bei Barriereverhalten von erkrankter Haut oder Schleimhaut – etwa nach Verletzungen und Entzündungen, erklärt Hanns Moshammer.

Fachgebietsleiter Umwelthygiene und Umweltmedizin an der Medizinischen Universität Wien. "Wir wissen bereits von der Zellaufnahme und Entzündungsreaktionen etwa in Miesmuscheln oder auch verringerten Wachstumsraten in planktischen Krebstieren", erklärt Katharina Istel, Ressourcenschutzexpertin beim Nabu.

Die WHO glaubt, dass von der derzeitigen Mikroplastik-Konzentration in Trinkwasser keine Gefahr ausgeht. Immerhin fordert sie präventiv eine zusätzliche Filterung des Abwassers. Denn damit könnten nicht nur 90 Prozent der Mikroplastik-Partikel, sondern auch Chemikalien oder mikrobielle Erreger aus dem Wasser entfernt werden.

Die WHO gebe zu früh Entwarnung, ist Nadja Ziebarth vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) überzeugt. So sei zum Beispiel noch völlig unbekannt, welche Risiken das Einatmen von Kunststoff in sich birgt. Auch das Trinkwasser müsse regelmäßig auf Mikroplastik untersucht werden.

Mikroplastik in menschlichen Blutgefäßen nachgewiesen

In einer Studie, die im März 2022 veröffentlicht wurde, fanden Wissenschaftler der Uni Amsterdam Mikroplastik in 17 von 22 Blutspenden von anonymen Spendern. Die Hälfte der Proben enthielt PET-Kunststoff, das man von herkömmlichen Plastikflaschen kennt. Ein Drittel der Blutproben erhielt Polystyrol, das in Lebensmittelverpackungen vorkommt. Und in einem Viertel fand sich Polyethylen, aus dem die Plastik-Tragetaschen bestanden, die mittlerweile verboten sind.

Den Wissenschaftlern zu Folge können sich kleinste Plastikpartikel, die wir mit dem Flaschenwasser (oder anderen Lebensmitteln) aufnehmen, im Gewebe anreichern. Zwar besitzen Menschen Schleimhäute in Mund, Nase, Rachen und Darm, sie sie etwa vor versehentlich verschluckten Sandkörnern schützen. Doch Mikroplastik setzt sich anders zusammen.

Lagert es sich im Körper ein, könnte es Entzündungen in Darm- oder Lebergewebe auslösen oder sogar Krebs begünstigen. Die Partikel könnten durch den Körper wandern – sich in Organen festsetzen und in Immunzellen vordringen oder sich an Eiweiße und Fette im Körper heften, befürchten die niederländischen Forscher.

Zwar ist wissenschaftlich nicht belegt, dass die winzig kleinen Partikel diese Barriere überwinden können. Andere Studien jedoch deuten darauf hin, dass der Übertritt über die Blut-Hirn-Schranke möglich ist. In jedem Fall besteht hier weiter dringender Forschungsbedarf.

NABU: Kosmetik muss frei sein von Mikroplastik

Der NABU fordert unter anderem ein Verbot von partikulärem Mikroplastik – unabhängig von der Größe – in allen Kosmetikprodukten und Wasch-, Putz- und Reinigungsmitteln. Darüber hinaus sind auch nicht abbaubare gelöste, flüssige und gelartige Polymere über das EU-Chemikalienrecht aus den Produkten zu verbannen. Auch der BUND befürwortet ein grundsätzliches Verbot von Kunststoffen in Kosmetika.

In den USA ist so genanntes partikuläres Mikroplastik bereits verboten. Länder wie Kanada, die Niederlande oder Großbritannien wollen folgen.

Dem Fraunhofer Umsicht zufolge sind in Deutschland nur (noch) fünf Prozent der Reibkörper aus Polymeren. Ein Ersatz durch mineralische Reibkörper scheint technisch unproblematisch zu sein – außer bei Haarstyling-Produkten und Nagellack. Auch ist Zahl der Polymervarianten, die in der Kosmetik eingesetzt werden, ist um ein Vielfaches höher als bei Wasch-, Putz- und Reinigungsmitteln.

Schon heute versuchen viele deutsche Kosmetikhersteller auf Kunststoffteilchen – genauer: synthetische Reibkörper – in ihren Kosmetikprodukten zu verzichten. Immer noch enthalten viele Kosmetika Mikroplastik, wie eine Liste des BUND zeigt.

Wer Produkte ohne Mikroplastik kaufen will, achtet am besten auf die Angaben des Herstellers oder, falls vorhanden, auf ein entsprechendes Siegel. Allerdings: Weil es keine allgemein gültige Definition von Mikroplastik gibt, bedeuten die neuen "Mikroplastik-frei"-Labels der Unternehmen nicht immer dasselbe. Bei Reinigungsmittel sind die mit dem Blauen Engel eine gute Wahl. Bei Kosmetika gibt es folgende Orientierungshilfen:

  • Bei zertifizierter Naturkosmetik sind sämtliche Inhaltsstoffe auf pflanzlicher, anorganisch-mineralischer oder tierischer Basis hergestellt. Siegel: BDIH, Ecocert oder Natrue.
  • Bei Biokosmetik sind darüber hinaus die Inhaltsstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau.
  • Naturnahe Kosmetik ist mit Zutaten auf Pflanzenbasis mit Hightech-Wirkstoffen aus dem Labor gemischt. Es können also synthetische Inhaltsstoffe enthalten sein.
  • Vegane Kosmetik darf keine tierischen Inhaltsstoffe enthalten. Tierversuche sind seit 2013 für den deutschen Markt ohnehin nicht mehr erlaubt.