Kongress bei Warschau: Bekommt Russland eine Exilregierung?

Im Dörfchen Jablonna wurden 1989 am "Runden Tisch" freie Wahlen ausgehandelt. Dieser Bezug sollte nun wohl bewusst hergestellt werden. Foto: Scott Fannen via Wikimedia Commons

Ex-Duma-Abgeordnete, Regionalpolitiker und Beamte trafen sich zum "Kongress Freies Russland". Sie halten den bewaffneten Kampf gegen Putin für legitim. Andere Oppositionelle sind skeptisch, Staaten halten sich bedeckt.

Entstand in dem Dörfchen Jablonna bei Warschau die zukünftige russische Exilregierung? Von Freitag bis Montag tagte dort in einem kleinen Palast der "Kongress Freies Russland". Dies sind mehr als 50 ehemalige Abgeordnete des russischen Parlaments, Regionalpolitiker und frühere Beamte.

Nach Angaben der polnischen Zeitung Rzeczpospolita haben die Oppositionellen eine "Erklärung zu den Grundsätzen der Verfassung eines freien Russlands" verabschiedet, auch sei über Gesetzesentwürfe in einem Russland nach Putin diskutiert werden.

Von Brisanz dürfte der Programmpunkt "Nationaler Widerstand gegen das Putin-Regime im In- und Ausland" sein. Wenn auch in der EU das nationalkonservativ regierte Polen neben Litauen als engagiertester Anwalt der bedrängten Ukraine und als scharfe Russland-Kritikerin gilt, so hielt sich die politische Führung doch zu diesem Kongress bedeckt.

"Es gibt interessantere russische Oppositionsbewegungen"

Die staatlich kontrollierte Nachrichtenagentur PAP ließ die Russlandexpertin Agnieszka Legucka vor dieser Veranstaltung warnen und befand: "Es gibt interessantere russische Oppositionsbewegungen, die man unterstützen sollte." Anwesend waren von polnischer Seite der Gemeindevorsteher, der ehemalige Finanzminister Leszek Balcerowicz sowie Adam Michnik, Gründer der liberalen Zeitung Gazeta Wyborcza.

Bekannteste Persönlichkeit des Kongresses und dessen Leiter war Ilja Ponomariow, der als einziger von 450 Duma-Abgeordneten im Jahr 2014 gegen die Annexion der Krim gestimmt hatte und seit 2016 in der Ukraine lebt. Der 47-jährige ehemalige Abgeordnete der Partei "Gerechtes Russland" gilt als umstritten, auch in den Reihen der russischen Opposition.

Ermordung von Daria Dugina begrüßt

Zum "Forum Freies Russland", das der ehemalige Schachweltmeister und Putin-Gegner Gary Kasparow zweimal jährlich im litauischen Vilnius abhält, war Ponomariow in diesem September nicht eingeladen. Kasparow und der ehemalige Gas-Oligarch Michail Chordokowski begründeten dies mit der Ablehnung von dessen Aufruf zum bewaffneten Kampf, nachdem Ponomariow die Ermordung von Daria Dugina, der Tochter des Kreml-Ideologen Aleksander Dugin begrüßt hatte.

Er sieht sich als Sprecher eine "Nationalen Republikanischen Armee", die den Anschlag ausgeführt haben soll. An der Existenz der Organisation wird gezweifelt, sicher ist jedoch, dass der 47-Jährige einen bewaffneten Umsturz im Kreml propagiert. Im August rief er die russische Bevölkerung zum Kampf gegen die Regierung von Wladimir Putin auf. Auch ist er bei der Aufstellung von Kampfeinheiten mit russischen Staatsbürgern in der Ukraine involviert.

Das Thema bewaffneter Widerstand soll auch sehr kontrovers auf der Tagung bei Warschau diskutiert worden sein, einschließlich der Frage, wie Putin entmachtet werden könne. Einige Teilnehmer sollen den Kongress vorzeitig verlassen haben, Emotionen habe auch ein "Lustrationsgesetz" ausgelöst, bei der nach einem Machtwechsel führende Persönlichkeiten (Politik, Justiz, Militär) auf ihre Vergehen untersucht werden sollen.

Beschluss: "Recht auf Revolte" nach Regeln der Genfer Konvention

Auf der Homepage des "Kongresses der Volksdeputierten" wurde als Beschluss der Tagung der russischen Bevölkerung das "Recht auf Revolte" zugestanden. Mitglieder des Widerstands sollten sich an der Haager Konvention zum Landkrieg vom 18. Oktober 1907 und an den Genfer Konvention orientieren. Somit wird bewaffneter Widerstand legitimiert.

Begründet wird dies, damit, dass "das Putin-Regime die Macht an sich gerissen habe". Ziel der "Widerstandsbewegung" sei ein "föderalistisches und demokratisches Russland". Viele der ehemaligen russischen Abgeordneten, die sich in Jablonna versammelten, betrachten die jüngsten Wahlen zur Duma als manipuliert, im Jahr 2016 schaffte es die liberale Opposition nicht mehr ins Nationalparlament. Ziel des Kongresses ist laut Ponomariow die Anerkennung der Gruppe als "Exilregierung" durch die Ukraine, danach sollten andere europäische Staaten folgen.

Via Twitter äußerten sich einige russische Oppositionelle kritisch. Dabei gibt es Stimmen, welche Ponomariow als Teil des Systems sehen, andere halten ihn für durchgeknallt. Ein weiterer Beleg dafür, wie zerstritten die Anti-Putin-Bewegung ist und wie sehr das gegenseitige Misstrauen ihr Verhältnis bestimmt.

Dass Radio Free Europe diese Stimmen sammelte, ist vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass in Washington der Ansatz der "Exilregierung" mit Distanz gesehen wird.

In russischen Medien wird der Kongress bei Warschau erwartungsgemäß als Versammlung von "Staatsfeinden" "Terroristen" wie "flüchtigen Kriminellen" abgetan. Teils wurde auch versucht, die Veranstaltung ins Lächerliche zu ziehen, Schlagzeilen machte die Veranstaltung nicht.

Das Dörfchen Jablonna wurde von den Organisatoren nicht aus einer Laune ausgewählt: in dem dortigen Palast der "Polnischen Akademie der Wissenschaft", stand ursprünglich der berühmte "Runde Tisch", an dem Vertreter der Solidarnosc und der Kommunistischen Partei 1988 die ersten Freien Wahlen im Ostblock aushandelten.

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