Kongress der Doppelbegabungen

Welcome to the "Fandom": Fantasticon '05

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Nirgendwo sonst ist die Leser-Autoren-Bindung so eng bei Science-Fiction und Fantasy, und nirgendwo sonst gibt es eine so lebendige Kongress-Szene, die von den Lesern, resp. den Fans selbst am Leben erhalten wird. Der Fantasticon '05 von dänischen Fans und Autoren ausgerichtet, war wieder einmal ein Beleg für diese Behauptung.

Wann immer ich mit Lesern, Autoren und Lektoren aus dem Mainstream-Literaturbetrieb über Science Fiction spreche, kommt das Gespräch irgendwann auf diese seltsamen Treffen, wo sich dem Hörensagen nach Hunderte oder Tausende in bunten Kostümen zusammentun, um über UFOs und andere Spinnereien zu sprechen. Immer ist der Verdacht herauszuhören, dass es sich dabei eigentlich um Versammlungen der Irreninternationale handelt, von Delegierten bestritten, die noch gerade ohne eine Dauerhospitalisierung auskommen.

Wenn man sich auf diesen "Cons" (abgeleitet von "convention") einmal ein wenig umgetan hat, merkt man vor allem, dass sie sich abseits der Kostümierten und der Spinner, die in anderen Kostümen und mit anderen Spinnereien genauso auf jeder Buchmesse anzutreffen sind, vor allem durch eine Sache auszeichnen: Sie werden von den Beteiligten selbst organisiert, und zwar vor allem von den Lesern. Das gilt von kleinen Regionalcons bis zum jährlich stattfindenden Worldcon - dieses Jahr für Glasgow anberaumt.

Die Kultur, die diesen weltweit ausgreifenden Conzirkus seit 1939 veranstaltet, also jener aktive Teil des "Fandoms" (auch so ein eigener Begriff) hat ihre eigenen Regeln und Albernheiten, Stärken und Schwächen, man kann sie mögen oder auch nicht, aber in literatursoziologischer Hinsicht ist sie ziemlich erstaunlich. Man stelle sich einmal vor, die Leser und Liebhaber der sogenannten ernsthaften Literatur würden sich regional, bundes-, europa- und letztlich weltweit zusammenschließen, um endlich das, was ihnen am wichtigsten ist, nicht mehr professionellen Kritikern, Literaturveranstaltern, Kulturrefernten usw. zu überlassen, sondern es selbst in die Hand zu nehmen. Man stelle sich vor, die Leser würden eigene Zeitschriften herausgeben und Kongresse veranstalten, um mit den geladenen Autorengästen Kontakt zu halten, sie nach ihren neuesten Projekten auszufragen, sie für vermeintliche oder wirkliche Fehler zu kritisieren, und abends nach den offiziellen Veranstaltungen mit ihnen durch die Kneipen zu ziehen. Undenkbar? Die Science-Fiction-Szene macht das so seit über sechzig Jahren.

Selbstorganisation hat ihren Preis. Logistik, Sponsorensuche, die Öffentlickeitsarbeit und die Kommunikation unter den Hobbyisten, die das ganze Ereignis stemmen, erweisen sich oft als schwieriger als bei Veranstaltungen, die gewissermaßen aus dem Rathaus heraus geplant und koordiniert werden. Bei dem diesjährigen Fantasticon, ausgerichtet von der erst vor drei Jahren wieder ins Leben gerufenen nationalen Vereinigung der dänischen Fans, erwies sich das unter anderem daran, dass die Übernachtungsmöglichkeiten für einige der geladenen Gäste nicht adäquat waren. Der Con musste an einem Ausweichort stattfinden, nämlich im Medborgerhuset Blågården, einer Mischung aus Bürgerheim und Jugendzentrum, die es so in Deutschland gar nicht gibt.

Der zuerst für knapp einhundert Teilnehmer geplante Con schien aus dem Ruder zu laufen, als die Voranmeldungen auf eher 1000 Teilnehmer schließen ließ. Am Ende waren es dann doch wohl eher gegen 300, die kamen, um sich das conüblich heterogene Programm anzuschauen.

Nicht nur war es gelungen, SF-Größen wie Harry Harrison und Christopher Priest zu verpflichten, man diskutierte mal vor mehr, mal vor weniger Publikum über die Aussichten der europäischen Science Fiction, über Space Elevators (ein Vertreter der ESA behauptete, alle Probleme seien gelöst), über das Verhältnis von Fantasy und Musik (mit sehr interessanten Hörbeispielen), man zeigte rare Filme, blätterte die vergilbenden Ausgaben der Klassiker an den Büchertischen durch und beredete in den umliegenden Cafés und Kneipen natürlich die wirklich wichtigen Dinge: die Einzelheiten von Buchverträgen, die Schulprobleme der Kinder und die alten Zeiten. Ein bisschen tanzte der Kongress auch, aber nicht zu sehr.

Von den vielen interessanten Details hier nur eines: Immer wieder fiel mir auf, dass eine hohe Zahl der Teilnehmer nicht nur mehrere Künste ausübten (Doppelbegabungen scheinen unter den Profis und den Fans eher die Regel als die Ausnahme zu sein), sondern auch mehrere Sprachen beherrschten. Über die Frage, wer sich mit wem in Europa eigentlich unterhalten sollte, brauchte man bei diesem Kongress nicht ins Grübeln zu geraten, es ging alles ganz leicht.

Und das Wetter war gut. Und Kopenhagen ist eine schöne Stadt, bewohnt von einem freundlichen Menschenschlag. Ich habe es genossen, und wenn ich darf, fahre ich wieder hin.