"Konkrete Schritte zur Verbesserung der gemeinsamen Sicherheit"
- "Konkrete Schritte zur Verbesserung der gemeinsamen Sicherheit"
- Olaf Scholz in Moskau: "Haben kein Thema ausgelassen"
- Auf einer Seite lesen
Telepolis dokumentiert: Statements von Wladimir Putin und Olaf Scholz nach den Gesprächen in Moskau diese Woche
Wladimir Putin
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
meine Damen und Herren,
wir freuen uns, im Kreml den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu empfangen. Herr Scholz ist zum ersten Mal als Chef des Bundeskabinetts in Russland. Als er als Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg regiert hat, hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass die Partnerschaft mit Sankt Petersburg nach vorne gebracht wurde. Diese Städtepartnerschaft jährt sich übrigens im laufenden Jahr zum 65. Mal.
Bei den heutigen Gesprächen, die sachlich verlaufen sind, haben wir uns in der Sache eingehend mit bilateralen Fragen beschäftigt. Auch haben wir über die Zukunft dieser Beziehungen gesprochen. Ein besonderes Augenmerk galt besonders drängenden internationalen Fragen. Ich habe mehr als einmal gesagt, dass Deutschland zu den wichtigsten Partnern Russlands gehört. Immer wollten wir diese Zusammenarbeit zwischen unseren Staaten stärken.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass auch der Herr Bundeskanzler gewillt ist, weiter pragmatisch und gegenseitig vorteilhaft mit Russland zusammenzuarbeiten. Das bezieht sich vor allem auf Wirtschaftsverbindungen, die traditionell sehr intensiv sind. Deutschland rangiert nach der chinesischen Volksrepublik unter den Außenhandelspartnern Russlands auf Rang zwei.
Trotz der schwierigen Situation, die durch die Coronapandemie ausgelöst wurde, und trotz der Volatilität der globalen Märkte ist es so gewesen, dass wir 2021 den bilateralen Handel im Aufwärtstrend gesehen haben. Er hat um 36 Prozent zugenommen und liegt bei knapp 47 Milliarden US-Dollar. Die deutschen Investitionen in die russische Wirtschaft belaufen sich auf mehr als 21 Milliarden US-Dollar, und die Investitionen aus Russland belaufen sich auf zehn Milliarden US-Dollar. Insgesamt gibt es in Russland rund 4.000 Firmen mit deutschem Kapital.
Regelmäßig treffen wir uns mit den Spitzenvertretern der größten deutschen Unternehmen. Ich kann Ihnen sagen, dass diese Treffen natürlich fortgesetzt werden. Die sind sehr wichtig, weil wir die Meinung der deutschen Partner dazu hören wollen, wie das entsprechende Gesprächsklima auf dem russischen Markt gestaltet werden kann.
Das ist sehr hilfreich für uns; denn Unternehmer sprechen häufig aktive Vorschläge aus, wie das Geschäftsklima beziehungsweise das Investitionsklima in Russland verbessert werden kann. Viele dieser Vorschläge berücksichtigen wir, durchdenken sie und setzen sie dann in unserem praktischen Leben um.
Eine besondere Rolle in der bilateralen Zusammenarbeit spielt die Energiewirtschaft. Schon in den Siebzigerjahren haben unsere Länder ein zeichensetzendes Projekts realisiert, das Röhrengeschäft. Seit dieser Zeit ist es so gewesen, dass deutsche und europäische Verbraucher zuverlässig mit russischem Gas versorgt werden. Russland sorgt momentan für mehr als ein Drittel des deutschen Energiebedarfs, bei Erdöl mit 34 Prozent und bei Gas mit mehr als 35 Prozent. 2021 hat Deutschland 15,7 Millionen Kubikmeter an russischem Gas erhalten.
"Nord Stream 2 technisch seit Ende vergangenen Jahres fertig"
Auch in der Zeit der hohen Börsenpreise auf Gas und auch in der Zeit des mangelhaften Angebots in Europa haben wir deutsche Verbraucher mit Gas versorgt, und zwar auf der Grundlage von Preisen, die sich aus langfristigen Verträgen ergeben.
Der deutsche Regulator führt jetzt eine Zertifizierung von Nord Stream 2 durch. Technisch gesehen ist diese Pipeline seit Ende vergangenen Jahres fertig. Das ist eines der größten Infrastrukturprojekte in Europa. Mit diesem Projekt soll die Energiesicherheit auf dem Kontinent verbessert werden, und durch dieses Projekt soll dazu beigetragen werden, dass europäische, wirtschaftliche und umweltpolitische Aufgaben gelöst werden. Ich habe mehr als einmal gesagt, dass das ein rein privatwirtschaftliches Projekt ist. Es gibt hier keinerlei politische Schattierung.
Ich möchte an dieser Stelle auch deutlich machen, dass wir bereit sind, unsere Gaslieferungen durch die Ukraine fortzusetzen, auch über das Jahr 2024 hinaus, wenn der laufende Transitvertrag durch die Ukraine auslaufen wird. Natürlich werden europäische Importeure wollen, dass sich dieses Projekt rentiert und das Pipelinenetz der Ukraine technisch intakt ist.
Große Aussichten eröffnen sich in unseren Augen auch in anderen Energiebranchen. Es geht dabei um Entwicklung, Kommerzialisierung und Einsatz von erneuerbaren Energieträgern. Heute haben wir darüber in Bezug auf den Wasserstoff gesprochen. Der Dialog in all diesen Fragen gestaltet sich weiter im Rahmen der bilateralen Arbeitsgruppe für nachhaltige Energie.
Außerdem haben wir ein Interesse daran, dass wir mit Blick auf den Klimaschutz enger mit deutschen Partnern zusammenarbeiten. Unter den Vorschlägen dazu, wo wir uns gemeinsam bemühen können, befinden sich zum Beispiel eine gemeinsame Überwachung von CO₂-Emissionen und die Erarbeitung von Methoden, mit denen diese Schadstoffe gebunden werden können. Es geht dabei um einen breiten Einsatz von Wasserstoff als grünem Brennstoff.
Wir haben auch über humanitäre Beziehungen gesprochen. Beide Seiten sind daran interessiert, bilaterale wissenschaftliche Bildungsaustauschprogramme weiterzuentwickeln. Das deutsch-russische Zivilgesellschaftsforum "Petersburger Dialog" soll jetzt eine Rolle dabei spielen.
Natürlich haben wir uns offen über russische Initiativen und Vorschläge an die USA und an die Nato ausgetauscht, die sich auf langfristige juristisch verpflichtende Sicherheitsgarantien für Russland beziehen. Gesprochen haben wir auch über die wichtigsten Forderungen. Die wichtigsten davon sind die Nichtzulassung der weiteren Nato-Erweiterung, der Verzicht auf die Installation von Angriffswaffen in der Nähe russischer Grenzen und der Rückzug des militärischen Potenzials und der Infrastruktur der Allianz in Europa auf den Zustand von 1997, als die Russland-Nato-Grundakte unterzeichnet wurde.
Kritik an Interpretation von Artikel 10 des Nato-Vertrags
Russland kann sich nicht davor verschließen, wie die USA und die nordatlantische Allianz ziemlich willkürlich und zu ihren eigenen Gunsten die wichtigsten Grundsätze der gleichen und unteilbaren Sicherheit interpretieren, die in vielen gesamteuropäischen Dokumenten verankert sind.
Dieser Grundsatz umfasst nicht nur die Bestimmung, dass es das Recht gibt, seine Sicherheit frei zu gewährleisten und jeglichen militärischen Allianzen beizutreten, was unsere Kollegen immer wieder betonen, sondern es gibt auch Verpflichtungen, seine eigene Sicherheit nicht auf Kosten von anderen Staaten zu gewährleisten.
Die Nato bezieht sich auf die Politik der offenen Tür. Wir wissen von Artikel 10 des Nordatlantikvertrags. Ich habe mich bei den früheren Pressekonferenzen nach meinen Gesprächen mit unseren europäischen Partnern dazu geäußert. In Artikel 10 gibt es eine solche Bestimmung nicht. Man kann einladen, aber man ist nicht verpflichtet, neue Mitglieder einzuladen. Das war es dann schon.
Die militärische Eindämmung Russlands wird von uns als direkte und unmittelbare Sicherheitsstörung wahrgenommen. Dieser Bedrohung begegnen sollen juristisch verpflichtende Abkommen, deren Entwürfe wir eingereicht haben. Die Antworten, die wir von den USA und den Nato-Mitgliedsländern erhalten haben, entsprechen aus unserer Sicht nicht den wichtigsten Anforderungen Russlands.
Doch in den Antworten, die vorgelegt wurden, gibt es, wie Außenminister Lawrow mir gestern berichtet hat, einige Überlegungen, die wir nicht nur besprechen wollen. De facto haben wir diese Überlegungen ja unseren Partnern in früheren Zeiten angeboten und vorgeschlagen. Es ging um europäische Sicherheit, es ging um bestimmte Waffengattungen – ich meine Kurz- und Mittelstreckenraketen –, und es geht um militärische Transparenz.
Wir sind bereit, diese Zusammenarbeit weiter zu pflegen. Wir sind auch bereit, diesen Gesprächsprozess fortzusetzen. Doch alle Fragen, die ich benannt habe, müssen in einem Paket betrachtet werden, ohne Loslösung von den wichtigsten russischen Forderungen, deren Umsetzung für uns eine absolute Priorität ist.
Die Thematik der europäischen Sicherheit wurde auch im Kontext der ukrainischen Konfliktlösung erörtert. Die Kiewer Regierung verweigert sich, wie bekannt ist, der Erfüllung der Minsker Vereinbarung und der Umsetzung der Vereinbarung von 2015 beziehungsweise der Vereinbarungen, die auf den späteren Normandie-Gipfeln erreicht wurden, insbesondere in Berlin und in Paris.
Es gibt auch keine Bewegung in Grundsatzfragen wie Verfassungsreform, Amnestie, Kommunalwahlen und rechtliche Aspekte des Sonderstatus des Donbass. Bislang ist auch die Formel des ehemaligen Bundesaußenministers und heutigen Bundespräsidenten Steinmeier nicht in das ukrainische Recht überführt worden.
Diese Steinmeier-Formel hatte er als Kompromiss zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen vorgeschlagen. Bedauerlicherweise ist es so, dass auch diese Formel nicht umgesetzt worden ist. Man ignoriert Möglichkeiten, die territoriale Integrität des Landes friedlich wiederherzustellen, indem man in einen direkten Dialog mit Donezk und Lugansk eintritt. Massenhaft werden Menschenrechtsverletzungen zugelassen. Gesetzlich verankert ist eine Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung.
Wir sprachen über einige weitere drängende internationale Fragen. Insbesondere ging es um das iranische Nuklearprogramm. Auf der Ebene der Außenministerien stehen wir im Austausch miteinander. Ich muss an dieser Stelle deutlich machen, dass unsere Positionen hier ziemlich ähnlich sind.
Abschließend möchte ich dem Herrn Bundeskanzler für diese Zusammenarbeit und für das hilfreiche und aufschlussreiche Gespräch danken. Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.