"Konservative Parteien zerstören die EU"

Archivbild: Europäisches Parlament

Kritik an Aufhebung von Immunität des katalanischen Exilpräsidenten Puigdemont durch Europaparlament. Streit nun vor Gerichten. Spanische Regierung wackelt

"CDU/SPD/FDP haben gerade die Immunität meiner Kollegen Puigdemont, Comin, Ponsati aufgehoben. Ein Parlament, das nicht einmal seine eigenen Mitglieder vor politischer Verfolgung schützt, kann die Pforten dicht machen... Kein Smiley".

So fällt die Reaktion des Partei-Europaparlamentariers Martin Sonneborn dazu aus, dass das Europaparlament (EP) heute dem katalanischen Exilpräsidenten Carles Puigdemont und seinen ehemaligen Ministern Clara Ponsatí und Toni Comín die Immunität aberkannt hat. Per Twitter erklärte der Partei-Parteigründer zudem: "Die konservativen Parteien zerstören die EU."

Das Ergebnis war angesichts des enormen Drucks aus Spanien und der Vorentscheidung im Rechtsauschuss zu erwarten. Abgeordnete aus ganz Europa heben aber hervor, dass es nur eine Zustimmung von knapp 58 % gab. So twittert der französische Abgeordnete der Fraktion der Grünen, Roccu Garoby, dass in diesem Fall nur 400 Abgeordnete für den spanischen Antrag gestimmt haben. Üblich seien in solchen Fällen aber "600 - 650" Stimmen. "Die spanische 'Justiz' hat gewonnen, doch der Kampf für die Freiheit und die Selbstbestimmung gehen weiter", meint er.

Die Grünen-Fraktion hatte einstimmig beschlossen, sich gegen die Aberkennung der Immunität zu stellen. Der Däne Nikolaj Villumsen spricht deshalb nun von einer Schande. Seiner Meinung nach wird die "Demokratie und die Meinungsfreiheit" angegriffen. "Das Positive ist, dass 248 Parlamentarier dem Druck standgehalten und die Demokratie verteidigt haben."

Schon nach der Entscheidung im Rechtsausschuss hatte der stellvertretende grüne Vorsitzende des Ausschusses Sergey Lagodinsky getwittert: "Ich bin bei vielen Fragen nicht einer Meinung mit Puigdemont, aber seine Strafverfolgung ist politisiert und unverhältnismäßig!"

Rechte feiern, Linke beklagen "schwerwiegenden Präzedenzfall"

Angesichts der Freude der ultrarechten spanischen Vox-Partei über die Ausschuss-Entscheidung, hatte der Deutsche erklärt, "richtig (mit der Minderheit) gestimmt" zu haben. Es ist auffällig, dass sich vor allem linke Kräfte hinter die Katalanen gestellt haben. So hatte die Französin Manon Aubry im Vorfeld davor gewarnt, dass im Europaparlament (EP) einen "schwerwiegenden Präzedenzfall" geschaffen werde, wenn es seine "Mitglieder der politischen Verfolgung eines Mitgliedstaates" ausliefert.

Das Mitglied der linken Partei "La France Insoumise" und Mitglied im Rechtsausschuss erklärte, dass das Parlament "keine souveräne Versammlung, die Rechtsstaatlichkeit garantiert, sondern eine demokratische Parodie" sei, wenn sie den drei Katalanen die Immunität aberkennt. Sie verwies darauf, dass die Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit "kein Verbrechen ist". Nach der Abstimmung hat Aubry nachgelegt und erklärt: "Das Parlament vergibt einen Freibrief zur Verfolgung politischer Gegner."

"Nichts gewonnen" - Belgien entscheidet

Auch der spanische Antikapitalist Miguel Urban hat mit Nein gestimmt, weil es darum gehe, "demokratische Grundrechte zu garantieren". Auch er verweist darauf, dass es die Rechtsradikalen sind, die die Entscheidung feiern, mit denen sich auch die Sozialdemokratie verbündet hat. Urban weist darauf hin, dass ohnehin nichts gewonnen sei. Denn über eine Auslieferung der drei Katalanen müsse nun "die belgische Justiz entscheiden und es sieht nicht danach aus, dass die dafür ist."

Denn dass Belgien Puigdemont und seine Mitstreiter ausliefern wird, ist sehr zweifelhaft. Darauf hatte Telepolis mehrfach hingewiesen. Das hat damit zu tun, dass Spanien für seine Vorwürfe keine Beweise hat. Deshalb hat weder Großbritannien noch die Schweiz oder Deutschland Exil-Katalanen an Spanien ausgeliefert. Das Oberlandesgericht in Schleswig konnte eine Rebellion (ein bewaffneter militärischer Aufstand nach spanischem Recht) nicht sehen, der auch Puigdemont vorgeworfen wurde.

Die deutschen Richter konnten aber auch keinen "Aufruhr" erkennen, da damit ebenfalls ein erheblicher Einsatz von Gewalt einhergehen muss. Nur wegen angeblicher Veruntreuung hätten Deutschland Puigdemont ausgeliefert, da sie diesen Vorwurf als Katalogstraftat nach dem Europäischen Haftbefehl gewertet haben, weshalb sie die Vorwürfe nicht hätten prüfen dürfen.

Das hat allerdings die belgische Justiz im Fall des ehemaligen Kultusministers Lluis Puig getan. Und auf das inzwischen rechtskräftige Entscheidung gegen eine Auslieferung von Puig bezieht sich auch der spanische Europaparlamentarier Urban. Denn damit sei in Brüssel längst auch eine Vorentscheidung über eine Auslieferung von Puigdemont, Ponsatí und Comín gefallen. Dieses vernichtende Urteil haben der Rechtsausschuss und die Mehrheit der Europaparlamentarier einfach ignoriert.

Auch die belgischen Richter fanden in der ersten - und der zweiten - Instanz keine Beweise für einen angeblichen Aufruhr. Dafür wurden in Spanien aber ehemalige Mitglieder der Puigdemont-Regierung und Aktivisten von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt.

Es gibt viele bemerkenswerte Punkte an dem Urteil zu Puig, in dem sich ein Tritt vor das Schienbein der spanischen Justiz an den anderen reiht. Angesichts der Klarheit des Urteils traute sich die Staatsanwaltschaft nicht einmal mehr, die letzte Instanz anzurufen. Die Richter in Brüssel verwiesen zum Beispiel auf die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen. Die fordert seit langem und wiederholt die Freilassung der inhaftierten Katalanen.

Sie hatte auch argumentiert, dass der Oberste Gerichtshof in Madrid nicht für die Katalanen zuständig ist, an dem das Verfahren gegen die Katalanen durchgezogen wurde. Der Gerichtshof hat auch die Europäischen Haftbefehle ausgestellt.

Damit werden gleich zwei zentrale Rechtsgrundsätze einer Demokratie verletzt. Wird das Verfahren in Madrid geführt, wird das Recht auf einen gesetzlichen Richter in Katalonien ausgehebelt. Obendrein wird das Berufungsrecht ausgehebelt. Der Oberste Gerichtshof in Madrid ist nämlich damit gleichzeitig die erste und letzte Instanz.

Die belgischen Richter zweifelten im Fall Puig sogar an, dass ihn in Spanien ein fairer Prozess erwartet hätte. Auch in Belgien ist bekannt, dass der Straßburger Menschengerichtshof spanische Urteile gegen baskische Politiker kassiert hat, die in unfairen Prozessen zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren.

Weiterhin ist bemerkenswert, dass die belgischen Richter auch ihr Unverständnis darüber ausdrücken, dass Politikern wie Puig - letztlich auch Puigdemont und Comín - dem Vorwurf der "Korruption" oder "Veruntreuung" von Steuergeldern ausgesetzt sind, da Geld zur "Durchführung eines Referendums" eingesetzt worden sei.

Schließlich habe "die gesamte Bevölkerung, Befürworter und Gegner" daran teilnehmen können. Der Gerichtshof in Brüssel verwies zudem darauf, dass die "Durchführung eines Referendums auch nach spanischem Recht nicht strafbar ist".

Da die Fälle praktisch gleich sind, ist sehr unwahrscheinlich, dass im Fall Puigdemont, Ponsatí und Comín anders entschieden wird. Eigentlich war mit dem Puig-Urteil längst das gesamte Verfahren im Europaparlament hinfällig. Statt den geordneten Rückzug anzutreten, hat es sich auf Druck Spaniens entschieden, den Katalanen die Immunität abzuerkennen.

Lehnt die belgische Justiz nun aber die Auslieferungen ab, hat sich das Europaparlament lächerlich gemacht und weiter an Glaubwürdigkeit verloren.

Allerdings ist das nicht der einzige juristische Weg.

Klage am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg angekündigt

Puigdemont, der ebenfalls von einer "politischen Verfolgung" spricht, hat auch eine Klage am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg angekündigt, "um den Schaden an der europäischen Demokratie zu reparieren", die seiner Ansicht nach in dem Verfahren verloren hat. Wie er haben auch Comín und Ponsatí auf diverse Unregelmäßigkeiten in dem Vorgang verwiesen.

"Sie können entscheiden, in wie vielen Zügen sie Schachmatt sind", erklärte der Puigdemont-Anwalt Gonzalo Boye selbstbewusst, der sich allerdings ebenfalls fadenscheinigen Anschuldigungen ausgesetzt sieht.

So wurde zum Beispiel im Rechtsausschuss mit Kopieren und Einfügen auch Ponsati der Vorwurf der Veruntreuung gemacht und abgenickt. Da ihr das nicht einmal Spanien vorwirft, musste der Ausschuss seinen Beschluss sogar revidieren. Das ist nach Ansicht von Juristen aber nicht möglich. Zudem hatte sich der Referent durch Stellungnahmen disqualifiziert.

Der ultra-konservative Angel Dzhambazki von der "Nationalen Bewegung Bulgariens" ist nicht nur für seine rassistischen Äußerungen bekannt, er hatte auch eingestimmt, als ein Vox-Freund von ihm im Europaparlament rief: "Puigdemont in den Knast".

Zu erinnern sei auch daran, dass es erst der EuGH war, der Puigdemont, Ponsatí und Comín ihre Sitze im Parlament zugewiesen hatte. Denn auch die hatte ihnen der frühere Parlamentspräsident verweigert. Und zu erinnern ist auch daran, dass der höchste Gerichtshof in der Gemeinschaft auch dem Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) eine Immunität zugesprochen hat. Doch Spanien weigert sich, diese Entscheidung umzusetzen und den Gefangenen freizulassen.

Hatte Oriol Junqueras in den letzten Wochen einen begrenzten Freigang, wurde ihm und anderen politischen Gefangenen der ausgerechnet heute wieder abgesprochen, was für viele in Katalonien kein Zufall ist.

Krach in der spanischen Linksregierung

Klar ist, dass die Lage der spanischen Linksregierung, die diesen Namen nicht verdient, über diese Vorgänge noch schwieriger wird, in der es längst gehörig kracht. Offiziell begrüßt die Regierung die Entscheidung im Europaparlament und spricht von einer "Stärkung des Rechtsstaats" und der "spanischen Justiz".

Dabei ist auch klar, dass die Sozialdemokraten (PSOE) auch dabei nur für sich sprechen. Denn der Koalitionspartner Unidas Podemos (UP) hat mit der Linken dagegen gestimmt, den Katalanen die Immunität zu entziehen.

Da die PSOE dafür gestimmt hat, drohte die ERC nun, der PSOE-UP-Minderheitsregierung ihre Unterstützung zu entziehen. Nur mit den Stimmen der Katalanen konnte Pedro Sánchez Regierungschef werden und nur mit den ERC-Stimmen bekam er kürzlich seinen Haushalt durch das Parlament.

Die Lage wird also erneut instabiler in Spanien und mit den Vorgängen ist eine Vorentscheidung für eine katalanische Regierung unter ERC-Führung mit Unterstützung der Puigdemont-Partei (Junts) und der antikapitalistischen CUP gefallen. Die drei Unabhängigkeitsparteien erhielten kürzlich bei der Wahl eine Mehrheit von knapp 52 % der Stimmen.

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