Konservative Steigbügelhalter
Rechte Allianzen im Europaparlament
Einen deutlicher Rechtsschwenk in zahlreichen EU-Staaten brachten die Europawahlen im Juni. Rechtsextreme und Rechtspopulisten konnten vielerorts zweistellige Ergebnisse einfahren. Seitdem sind im Straßburger Parlament drei neue Bündnisse entstanden, die teilweise bis in den konservativen Mainstream reichen.
Sie stellt nur 54 der 736 Abgeordneten. Sie bildet bloß die fünftgrößte Fraktion im neu gewählten Europaparlament. Und doch sorgt die Gruppe der "Europäischen Konservativen und Reformer" (ECR) hartnäckig für Aufsehen. Sorgenfalten bereitete die rechte Allianz zunächst der EU-Ratspräsidentschaft und den europäischen Regierungschefs mit einer Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag. Wenig später zeigte sich das US-Außenministerium irritiert über die Fraktion. Tatsächlich ist die ECR eine schillernde Gruppe. Sie verbindet moderne Konservative wie die britischen Tories, harte Rechtskonservative wie die polnische PiS der Kaczynski-Zwillinge und Splitterparteien vom rechten Rand.
Entstanden auf Initiative der Tories und der tschechischen ODS von Präsident Václav Klaus, will die ECR hauptsächlich EU-Kritik leisten. Die „souveräne Integrität“ des Nationalstaates solle gegenüber Brüssel bewahrt werden, heißt es in der "Prager Erklärung", in der die Fraktion ihren politischen Minimalkonsens formuliert hat. Ökonomisch liegt sie ganz auf der Linie der Thatcher-Erben. Leitlinien bilden „freies Unternehmertum“ und „freier Wettbewerb“, dazu werden Steuersenkungen gefordert und die Idee des „small government“ propagiert. Zugleich gibt sich die ECR wertkonservativ, betont die Bedeutung der Familie und fordert, Immigration müsse „effektiv kontrolliert“ und ein angeblicher „Missbrauch der Asylverfahren“ beendet werden.
Erfolglose Manöver
Den Vertrag von Lissabon lehnt die Fraktion ab. In ihren Augen verschafft er der EU zu viel politische Macht. Wenige Wochen nach ihrer Gründung ging von der ECR ein Versuch aus, das Vertragswerk auf der Zielgeraden zu stoppen: Kurz vor dem zweiten irischen Referendum Anfang Oktober gelangte ein privater, handschriftlicher Brief an die Öffentlichkeit, in dem Tory-Vorsitzender David Cameron dem tschechischen Präsidenten Václav Klaus eine Hinhaltetaktik in Sachen Lissabon-Vertrag nahe legt. Sollte Klaus mit der Unterzeichnung bis zum Frühjahr 2010 warten, so der Tenor des Schreibens, könne der Vertrag noch gestoppt werden. Als die wahrscheinlichen Sieger bei den anstehenden britischen Parlamentswahlen würden die Tories ein Referendum über Lissabon ansetzen und bei einem durchaus erwartbaren Nein die britische Ratifizierung zurücknehmen. Das hätte dem Lissabon-Prozess einen tödlichen Stoß versetzen können.
Nach dem unerwartet deutlichen Ja der Iren bröckelte die Front gegen Lissabon allerdings schnell. Zwar versuchten ODS-Senatoren durch eine Verfassungsklage Zeit zu gewinnen, doch unter europäischem wie innenpolitischem Druck kündigte Klaus widerstrebend sein Einlenken an
am vergangenen Dienstag unterzeichnete Klaus den Reformvertrag.
Auch ODS-Spitzenpolitiker wie der Ex-Premier und Parteivorsitzende Mirek Topolánek hatten auf schnelle Ratifizierung gedrängt. Ein Referendum in Großbritannien ist damit vom Tisch. Schon vor dem erneuten irischen Plebiszit hatte David Cameron eine Volksabstimmung über einen schon in Kraft getretenen Lissabon-Vertrag ausgeschlossen.
Der schlecht beratene David Cameron
Bereits vor diesem erfolglosen Manöver hatte die Gründung der ECR in Großbritannien wie in Europa für Aufregung im konservativen Lager gesorgt. Kündigten die Tories – ebenso wie die ODS – für ihre neue Gruppe doch die Zusammenarbeit mit Angela Merkels CDU und Nicolas Sarkozys UMP in der Fraktion der Europäischen Volkspartei auf. Der EVP gehören derzeit die meisten europäischen Regierungschefs an. Aber der momentan aussichtsreichste Kandidat für das Amt des britischen Premierministers platziert seine Partei lieber neben den protestantischen Fundamentalisten der kleinen Christen Unie aus den Niederlanden als neben den dort regierenden Christdemokraten.
David Cameron hat sich schlecht beraten lassen, sagt sein ehemaliger Parteikollege Edward McMillan-Scott, der im Juli gegen seinen ECR-Kollegen Michal Kaminski für das Präsidium des Europaparlaments kandidierte und dafür aus Fraktion und Partei verbannt wurde. Immerhin gilt Cameron als Liberaler, dem Klimawandel und Schwulenrechte wichtig sind. Er hat die Tories freundlicher und grüner gemacht, meint der Economist.
Seine Wahl zum Vorsitzenden verdankt Cameron aber nicht zuletzt dem Versprechen an den rechten Flügel seiner Partei, einen EU-kritischen Kurs einzuschlagen. Manchen geht der noch nicht weit genug: Londons Bürgermeister Boris Johnson etwa fordert, nach dem erwarteten Wahlsieg in jedem Fall über den Lissabon-Vertrag abstimmen zu lassen, auch wenn der dann schon in Kraft getreten sein sollte. Und Schatten-Außenminister William Hague wird nachgesagt, Großbritannien am liebsten aus der EU führen zu wollen.
Andere prominente Tories fürchten, der europapolitische Kurs werde sie politisch isolieren. Ins gleiche Horn stößt die politische Konkurrenz, die durch Camerons Manöver Großbritanniens Einfluss in der EU schwinden sieht. Labour-Außenminister David Miliband meint, die Tories seien gefährlich für das Land, und die Liberaldemokraten nennen Cameron einen „Europhoben“, der mit langjährigen Verbündeten Schluss gemacht habe, um zu „Spinnern und Verrückten ins Bett zu hüpfen“.
Kritik aus den USA
Können die Tories diese Vorwürfe noch als Wahlkampfgeplänkel verbuchen, kommt Kritik mittlerweile auch aus einer unerwarteten Richtung. Die US-Regierung hat deutlich ihre Irritation über den europapolitischen Konfrontationskurs der britischen Konservativen durchscheinen lassen. Aus US-Perspektive droht David Cameron in Europa an Einfluss zu verlieren, und Washington liegt nichts an der Schwächung eines wichtigen Verbündeten auf dem alten Kontinent. Auch der unterlegene republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain betrachtet die ECR-Gründung als Fehler.
Bei einem Besuch in der US-Hauptstadt musste sich William Hague gegenüber Außenministerin Hillary Clinton zudem für die Wahl seiner Bündnispartner rechtfertigen. Die Tories hätten Antisemiten ins Boot geholt und damit salonfähig gemacht, lautet ein vielfach erhobener Vorwurf.
Das lettische ECR-Mitglied LNNK
Tatsächlich pflegt das lettische ECR-Mitglied LNNK eine revisionistische Sicht auf den Zweiten Weltkrieg. Jahr für Jahr beteiligt sich die Partei an einem Veteranengedenken in Riga, das explizit die lettischen Angehörigen der Waffen-SS einschließt. Die zwei lettischen SS-Divisionen rekrutierten sich nicht unwesentlich aus Freiwilligen, die schon zuvor zahlreiche Morde an der jüdischen Bevölkerung des baltischen Staates verübt hatten. Doch für die LNNK sind die SS-Veteranen anti-sowjetische Freiheitskämpfer. Der Partei-Vorsitzende und Europaabgeordnete Roberts Zile verharmlost die Taten der baltischen Mitstreiter Nazi-Deutschlands:
Ganz zu Ende des Kriegs schlossen sich Menschen, die Kriegsverbrechen begangen hatten, der Nazi-Partei und dem Sicherheitsdienst der SS an, aber das heißt nicht, dass die gesamte Lettische Legion [der Waffen-SS] eine kriminelle Organisation gewesen wäre.
Roberts Zile
Michal Kaminski
Für Empörung hat auch die Wahl Michal Kaminskis zum Fraktionsvorsitzenden der ECR gesorgt. Laut Selbstdarstellung der Fraktion „verbrachte Herr Kaminski seine Teenager-Jahre im Untergrundkampf gegen die kommunistischen Besatzer seines Landes“. Allerdings gehörte der PiS-Politiker seinerzeit einer neofaschistischen Partei an und vertritt nach wie vor nationalistische Positionen.
Als sich der damalige polnische Präsident Aleksander Kwasniewski vor acht Jahren für das 1941 von Polen an hunderten jüdischen Bewohnern Jedwabnes begangene Massaker entschuldigte, attackierte Kaminski diese Geste scharf. Dazu steht er noch heute, wie er kürzlich dem Jewish Chronicle erklärte. In dem Interview, mit dem Kaminski eigentlich den Antisemitismus-Vorwürfen in der britischen Öffentlichkeit entgegen treten wollte, sagte er:
Von der polnischen Nation zu verlangen, sich für das in Jedwabne begangene Verbrechen zu entschuldigen, würde voraussetzen, dass sich die gesamte jüdische Nation für das entschuldigt, was einige jüdische Kommunisten in Ostpolen getan haben.
Michal Kaminski
Damit stellt Kaminski Opfer und Täter des Holocausts auf eine Stufe, wie etwa der Buchenwald-Überlebende Ben Helfgott kritisierte. Zwar loben Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Großbritannien Kaminskis Eintreten für Israel, doch herrscht unter britischen Juden Besorgnis über die Beziehungen der als aufgeklärt geltenden Tories zu dem polnischen Rechtsausleger. Auch wenn Kaminski kein Antisemit sein mag, schreibt der Jewish-Chronicle-Redakteur Martin Bright, ist er doch ein „sozial konservativer osteuropäischer katholischer Nationalist“ – mit allen negativen Begleiterscheinungen.
Rechtsaußen-Politik salonfähig in den neuen EU-Mitgliedsstaaten Osteuropas
Einzelfälle bilden Kaminski und die lettischen Verehrer der Waffen-SS keineswegs, wie Jonathan Freedland in seiner pointierten Analyse für den Guardian betont. In zahlreichen der neuen EU-Mitgliedsstaaten Osteuropas ist Rechtsaußen-Politik salonfähig geworden. Sie richtet sich gegen die vermeintlichen „Anderen“ – Roma, Juden oder Homosexuelle – und zielt auf die Umschreibung der Geschichte. Zunehmend verbreite sich, so Freedland, die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus, wobei letzterer im Zweifelsfall als schlimmer gilt:
Es sind Ultranationalisten, die ihre Geschichte säubern, sich selbst zu Opfern machen – und die Jahre vergessen wollen, in denen ihre Vorfahren tatsächlich die blutigsten Täter waren.
Jonathan Freedland
Selbst die Tories, die von einer linken Schmierenkampagne gegen ihre europäischen Partner sprechen, argumentieren zur Entlastung ihres lettischen Alliierten, an der umstrittenen Veteranen-Ehrung nähmen fünf von sechs der dortigen Parteien teil. In der Tat beschränken sich ultrarechte Positionen nicht zwangsläufig auf das neofaschistische Spektrum. Auch im Verbund der Europäischen Volkspartei finden sich Formationen, in denen rechtsextreme Positionen als diskussionsfähig gelten.
Ein Parlamentarier der ungarischen Fidesz, die gute Aussichten auf einen Wahlsieg im kommenden Jahr hat, behauptete kürzlich, „jüdisches Kapital“ wolle „die gesamte Welt, vor allem Ungarn“ „verschlingen“. Parteichef Viktor Orban distanzierte sich zwar von der Aussage, erklärte aber zugleich, sie verstoße nicht gegen Parteiregeln.
Europäische Christdemokraten: Taktisch motivierte Allianzen
Nicht nur David Cameron zeigt sich also skrupellos in seiner Partnerwahl. Auch die Europaparlamentarier der CDU arrangieren sich mit Alliierten, deren Äußerungen in Deutschland zu Recht als Volksverhetzung bestraft würden. Das betrifft längst nicht nur die Rechtsausleger in Osteuropa: Die Europäische Volkspartei toleriert in ihren Reihen neben der Fidesz auch Silvio Berlusconis Volk der Freiheiten. In dieser Partei ist nicht nur die Forza Italia des italienischen Premiers aufgegangen, sondern auch die postfaschistische Alleanza Nazionale und die erklärt neofaschistische Azione Sociale von Alessandra Mussolini.
Die europäischen Christdemokraten sehen darüber aus ähnlichen Gründen hinweg, die David Cameron zu seiner heftig kritisierten Partnerwahl veranlasst haben: Taktisch motivierte Allianzen sollen größtmöglichen Einfluss im Europaparlament sichern. Ohne PiS oder LNNK hätten Tories und ODS zudem die Mindestanforderungen an eine Fraktion nicht erfüllen können. Die Hürden dafür sind in der vergangenen Legislaturperiode gerade mit Blick auf den rechten Rand sehr hoch gehängt worden: Eine parlamentarische Gruppe muss aus mindestens sieben Parteien und wenigstens 25 Abgeordneten bestehen. Selbst mit ihren dubiosen Mehrheitsbeschaffern kommt die ECR nur auf neun Mitgliedsparteien.
Von diesen Debatten deutlich in den Schatten gestellt wird bislang eine zweite rechte Fraktion im Europaparlament, die ebenfalls von einer britischen Partei angeführt wird: die Gruppe „Europa der Freiheit und der Demokratie“ (EFD). Neben der UK Independence Party umfasst die Fraktion die rechtsextreme griechische LA.O.S und etablierte Rechtspopulisten wie die Lega Nord und die Dänische Volkspartei.
Im ersten Vierteljahr nach ihrer Konstituierung ist die Gruppe unauffällig geblieben. Selbst bei ihrer Website handelt es sich um ein Provisorium. Schon die Vorgängerfraktion „Independence/Democracy“ galt als die inaktivste im gesamten Parlament. Die Bedeutung der EFD liegt wohl eher darin, die beteiligten Kräfte zu stärken. Die UK Independence Party, die mit der Forderung nach einem EU-Austritt Großbritanniens im Tory-Milieu wildern will, rangiert bei heimischen Wahlen unter ferner liefen. Ihre Stärke schöpfen die Anti-Europäer also ausgerechnet aus dem verhassten Brüssel.
Fraktion als Zweckbündnis
Auch für andere beteiligte Parteien dürfte die Fraktion vor allem ein Zweckbündnis darstellen. Fraktionen erhalten erweiterte Finanzmittel, Rederechte und Ausschussposten, während unabhängige Abgeordnete von wichtigen Informationsflüssen ausgeschlossen bleiben. Im Rahmen der EFD konnte die Lega Nord etwa den stellvertretenden Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss erlangen, ebenso die dänischen Rechtspopulisten im Ausschuss für Verfassungsfragen und ein Vertreter der Wahren Finnen im Bildungsausschuss.
Fraktionslos geblieben ist der harte rechte Rand, darunter der Front National, die ungarische Jobbik und die British National Party. Ihrem Vorsitzenden und frisch gebackenem Europaabgeordneten Nick Griffin bescherte der Erfolg bei den Europawahlen allerdings ungewohnte Medienaufmerksamkeit. Dem ersten Einzug in ein überregionales Parlament in der Parteigeschichte folgte eine in der britischen Öffentlichkeit heftig umstrittene Einladung zur renommierten Question Time der BBC. Die jüngst erfolgte Gründung eines europäischen rechtsextremen Bündnisses durch Front National und Jobbik deutet zudem darauf hin, dass auch die extreme Rechte versucht, über ihre Europäisierung an Stärke zu gewinnen. Das „Bündnis der europäischen nationalen Bewegungen“ strebt jedenfalls den Status einer EU-weiten Partei an.