Konsumisten aller Klassen, bewegt Euch!

Kanzler Schröders konsumistisches Manifest steht unter Finanzierungsvorbehalt

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Nun hat Kanzler Schröder bereits seine fünfte Regierungserklärung in dieser Legislaturperiode abgegeben: Deutschland bewegt sich. Nicht sehr viel anders als zuvor hat er wieder die üblichen Streicheleinheiten an die vorgeblich aufschwungbereiten Bürger und selbst die Gewerkschaftsmitglieder als - man höre und staune - "Akteure des Wandels" verteilt. Die sattsam bekannte Mitmach-Rhetorik spricht dafür, dass der permanente und bisher weitgehend folgenlose Reformeifer vor allem zum Ressort "Motivationspsychologie" gehört.

Mit Schröders "größter Steuerentlastung der Nachkriegszeit" soll ein "Aufbruchsignal für die Menschen in unserem Land gesetzt" werden. Wie damit der auf der Intensivstation hechelnde Haushalt konsolidiert werden soll, bleibt dabei allerdings weiterhin die intrikate Frage. Konsumisten aller Klassen, hört also die Signale, auf zum nächsten Konsumrausch! Der Kanzler formuliert das freilich erhabener:

"Denn was wir wollen, ist ja nicht nur ein kurzfristiges Signal des Aufbruchs. Wir sagen den Menschen in Deutschland nicht nur: Wir geben euch Geld - nun gebt es aus. Wir sagen ihnen: Es lohnt sich, in Deutschland zu leben, zu investieren und zu konsumieren."

Wenn also erst mal die Konjunktur rollt, wird uns auch die lang versprochene Agenda 2010 (Der milde Mut zur Besserung) aus dem Tal der Tränen herausreißen. In der politischen Zeitform des beschwörenden Indikativs sprach der Kanzler von Entscheidungen, die "für mehr Dynamik sorgen, für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung". Mit anderen Worten: Es geht bereits voran, auch wenn bisher leider kaum einer was davon gemerkt hat.

Reform ist gut, aber Finanzierung ist besser

Vor der Konjunktur steht zudem der politische Konjunktiv, denn noch ist längst unklar, ob die Einigkeit der Parteien in Bundestag und Bundesrat, von Bund, Ländern und Kommunen hergestellt wird und der permanent verkündete Aufbruch wenigstens diesmal über die Phrase hinauskommt. Die Neuhardenbergsche Reformreform will die Kaufkraft der Bürger schon im Jahre 2004 stärken, indem 10 % weniger Einkommensteuer vereinnahmt werden. Die dritte Stufe der Steuerreform soll mit der zweiten zugleich gezündet werden. 18 Milliarden Euro weniger Steuern heißt das für den Steuerzahler im nächsten Jahr, die sich mit dem zweiten, bereits gegenfinanzierten zweiten Entlastungsschritt zu ansehnlichen 25 Milliarden Euro ergänzen.

Doch dieser Batzen fehlt zunächst Bund, Ländern und Gemeinden. Also heißt es auch hier: Reform ist gut, aber Finanzierung ist besser. Privatisierung, Subventionsabbau, aber eben auch neue Schulden der ohnehin überstrapazierten Haushalte sollen des Kanzlers Konjunkturspritze möglich machen. Der Reformkanzler hofft auf Wachstum, Wachstum und immer wieder Wachstum, um so die vorgezogene Reform zu finanzieren und endlich außer Signalen auch Taten vorzuweisen.

Wiesel Merkel und Co.

Der Streit, der inzwischen auch die Unionsspitze entzweit, dreht sich um die Gegenfinanzierung, die auch bereits von der Europäischen Kommission kritisch beäugt wird. "Die Stimme der Vernunft", nach CDU-Vorsitzende Angela Merkel handelt es sich dabei um die Union, will grundsätzlich in dieselbe Richtung. Merkel, aber auch Stoiber wollen mit dem Reformkanzler ziehen, wenn wirklich eine Netto-Entlastung des Steuerzahlers damit verbunden ist und eine "seriöse Finanzierung" vorläge. Das ist die übliche "Ja-aber"-Kooperation, die letztlich doch wieder auf das "Parteiengezänk" hinaus laufen könnte, das der parteienübergreifende Harmonisierungskanzler so gar nicht brauchen kann (Volle Panik auf der Titanic).

Der Zick-Zack-Kurs von Merkel & Co. ist nun im Wesentlichen an dem Punkt angelangt, dem Kanzler vorzuwerfen, dass man nicht bereit sei, die "Detailarbeit" der Gegenfinanzierung zu leisten. Und in der Tat blieben die Ausführungen des Kanzlers in dieser Frage hinreichend unkonkret, als dass sich darüber schon die angemahnte Einigkeit der von Haus aus Uneinigen herstellen dürfte. Für die Kritiker aus den eigenen Reihen der Opposition sind die neuen Haushaltsschulden ohnehin inakzeptabel.

Diese wankelmütige, an etliche Vorbehalte geknüpfte Solidarität mit den Plänen des Kanzlers könnte zur finanziell aussichtslosen Quadratur des Reformzirkels werden. Denn die Länder müssten ihre Haushalte neu kalkulieren und die Bereitschaft und Möglichkeit dazu scheinen gering zu sein. Schon wird mit dem Verfassungsgericht gedroht, als ob das Recht da noch viel (aus)richten könnte, wo die Politik wenig zu bestellen hat.

Wohl nicht nur Friedrich Merz und der stellvertretende CDU-Vorsitzende Jürgen Rüttgers halten jedenfalls Verfassungsklagen für das probate Mittel, den in der Tat fatalen Reformverschuldungsmechanismus der ewigen Pumpwirtschaft zu stoppen. Auch der hessische CDU-Ministerpräsident Roland Koch will keine neuen Schulden akzeptieren. Vor allem glaubt Koch nicht an die Stimulanzwirkung der Steuererleichterungen für Wirtschaft und Bürger, die nun die Spendierhosen anziehen sollen. Da könnte Koch Recht haben.

Von der Kunst des Möglichen zur Kunst des Magischen

Die gesellschaftliche Verunsicherung über die Zukunft (Bundeskanzler Schröder erklärt uns die Zukunft) sitzt inzwischen tief und jede weitere zwangsoptimistische Regierungserklärung aus der Not der Stunde heraus könnte die Sicherheitserwägungen der großen und kleinen Privathaushalte noch weiter in die andere Richtung drängen.

Wenn der Kanzler nun den angeblich bereits spürbaren Mentalitätsumschwung "weg von der Besitzwahrung und hin zur Gestaltung von Zukunftschancen" fordert, ist das nicht mehr als eine blässliche Formel, die schönredet, dass die Zukunftschancen allein darin bestehen könnten, mit Mühe einen gewissen, will sagen: ungewissen Lebensstandard überhaupt zu erhalten. Zudem könnte das konsumistische Manifest des Kanzlers auch eine Mogelpackung sein, wenn etwa Eigenheimzulage und Entfernungspauschale geopfert werden und die lecken Privatkassen schließlich doch nicht viel anders aussehen als zuvor.

Die Bosse begrüßen freilich die Konjunkturpolitik des Genossen. Auch die Liberalen sind wohl weiter gehend als die Christdemokraten mit des Kanzlers Konsumappell einverstanden, wenn wirklich Subventionen abgebaut werden und die Privatisierung neue Kohle in die ausgebrannte Kasse bringt. Roland Koch und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, reden bereits über einen konsensfähigen Plan zum Abbau von Subventionen. Bis 2010 sollen 45 Milliarden Subventionen eingedampft werden, was dann wieder vom Arbeitsmarkt verarbeitet werden muss.

Geht es also nun demnächst mit der Konjunktur aufwärts? Dass die Aufbruchsignale des Kanzlers in der Wirtschaft wirklich angekommen sind, ist längst nicht ersichtlich. So sieht etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die potenziellen Wachstumszahlen für 2004 pessimistischer als die Bundesregierung. Denkwürdig ist in dieser Phase fragiler Zukunftsaussichten, dass die Politik nicht wirklich über unzweifelhafte Mittel verfügt, die wirtschaftlichen Verhältnisse und den katastrophalen Arbeitsmarkt ins Lot zu bringen. Auch hier weiß der Kanzler freilich mehr als wir. Die Hartz-Reformen hätten "so hohe Beschäftigungschancen erreicht wie nie zuvor." Chancen sind gut, aber wo bleiben die hoffnungsfrohen Statistiken, die uns zu Gläubigen des Konsumappells werden lassen?

Die Agenda 2010 bindet sich an das Prinzip Hoffnung, dass Unternehmer und Konsumenten, wenn schon nicht an das große zweite Wirtschaftswunder, so doch zumindest an eine Konsolidierung aller maroden Kassen aus dem Geist des Konsums wenigstens wieder zu glauben wagen. Sollte Politik nicht nur die Kunst des Möglichen, sondern mindestens ebenso sehr die des Magischen sein, wenn dem Lahmen nun verordnet wird: "Nun steh' auf und geh'." Insofern atmet des Kanzlers konsumistisches Manifest auch ein wenig den Geist des Neuen Testaments, was schließlich auch als ein Grund für den neu entdeckten, indes recht fragilen und jederzeit widerrufbaren Schulterschluss von Christdemokraten und Sozis herangezogen werden mag.

Fazit der neuen politischen Bewegungslehre des Kanzlers: "Ein klares Signal" (Schröder) bei weiterhin unklarer Zukunft.