Konzeptueller Penis als Ursache für den Klimawandel
Ein Philosoph und ein Mathematiker haben den Sokal-Hoax wiederholt und dabei festgestellt, dass einige akademische Bereiche auch 20 Jahre danach nichts daraus gelernt haben
1996 veröffentlichte der Physikprofessor Alan Sokal in der sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift Social Text einen Aufsatz mit dem Titel "Transgressing the Boundaries - Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity", in den er in postmodernen Jargon gehaltenen völlig unverständlichen Unsinn schrieb - und zwar nicht nur aus Sicht vieler Leser des Texts, sondern auch aus seiner eigenen. Damit wollte er auf eine problematische Entwicklung von der Wissenschaft hin zur Religion hinweisen, in der nicht mehr verstanden, sondern als Mysterium geglaubt wird, was einer Modevorstellung entspricht (vgl. Fehler im System mancher Wissenschaften). Eine Wiederholung dieses Streichs zeigt nun, dass die Cargo-Cult-Effekte in einigen akademischen Bereichen weit davon entfernt sind, behoben worden zu sein, sondern sich eher noch verstärkt haben.
Für dieses Experiment bedienten sich der an der Portland State University forschende Philosoph Peter Boghossian und der Mathematikdoktorand James Lindsay der Hilfe des von Andrew C. Bulhak geschriebenen Postmodernismusgenerators - einer Software, die aus Phrasen automatisiert sinnlose Texte zimmert. Darüber hinaus schrieben sie aber auch große Teile selbst, wobei sie ebenfalls zahlreiche postmoderne Versatzstücke und Autoritäten verwendeten. Was dabei herauskam, liest sich auszugsweise wie folgt:
So wie Maskulinität essenziell performativ ist, ist es auch der konzeptuelle Penis. Der Penis kann, um es mit Judith Butler zu sagen, 'nur durch die Referenz zu dem, was vom Signifikanten innerhalb der Domäne der körperlichen Lesbarkeit ausgeschlossen' ist, verstanden werden (Butler, 1993).
Die Zeitschrift Cogent Social Sciences, die den Aufsatz publizierte, ist ihren eigenen Angaben nach ein "multidisziplinäres Open-Access-Journal, das qualitativ hochwertige Beiträge quer durch die Sozialwissenschaften" veröffentlicht. Sie wirbt mit einem Peer-Review-Prozess, der sicherstellen soll, dass die veröffentlichten Texte einen Qualitätsmaßstab nicht unterschreiten. So ein Peer-Review-Verfahren hilft allerdings nichts, wenn die Personen, die es durchführen, nicht in der Lage sind, offensichtlichen Unsinn zu erkennen, wie der Boghossian-Lindsay-Hoax zeigt:
Einer der Peer Reviewer lobte die vermeintliche Erkenntnis, dass der Penis der "konzeptuelle Einfluss hinter einem großen Teil des Klimawandels" sei, als "gut fundiert", der andere sprach von einer "herausragenden" Arbeit. Konkretere Ausführungen der Gutachter zur " Hypermaskulinität als nichtlinearer Prozess" klingen teilweise kaum besser durchdacht als die absichtlich unsinnigen Behauptungen von Boghossian und Lindsay - was auch für einige ernst gemeinte Schriften gilt, die in den letzten Jahren unter anderem feministische Gletscherforschung gegen den Klimawandel empfahlen, Gendertheorie statt Biologie in der Krebsforschung oder gleich den kompletten Abschied von der Wissenschaft forderten. Dass solche Arbeiten akademischen Erfolgen aktuell nicht unbedingt im Weg stehen, zeigen Karrieren wie die der Mathematikprofessorin Piper Harron, deren Dissertation und Lebenslauf an Parodien wie die von Neel Kolhatkar erinnert.
Akademische Moden gewinnen weiter an Einfluss
Die akademischen Moden, die so etwas seit den 1980er Jahren möglich machen, flauen nicht ab, sondern gewinnen weiter an Einfluss und werden immer religionshafter, was zu immer mehr bizarren Ereignissen führt, die von immer weniger Menschen außerhalb dieser Kreise nachvollzogen werden können: An einer kanadischen Universität wird jetzt beispielsweise Lou Reeds Walk on the Wild Side nicht mehr gespielt, weil es als "transphobisch" gilt, worüber Zeitgenossen von Reed und den im Umfeld von Andy Warhols Factory berühmt gewordenen Transgender-Stars Holly Woodlawn und Candy Darling nur die Köpfe schütteln.
Ebenfalls in Kanada gab es gerade einen "Aufschrei" von Intersektionalisten, nachdem der Schriftsteller Hal Niedzviecki in Write, der Zeitschrift der Writer's Union of Canada (TWUC), einen Aufsatz mit dem Titel "Winning the Cultural Appropriation Prize" veröffentlichte, in dem er argumentiert, dass man Autoren für "kulturelle Aneignung" nicht bestrafen, sondern belohnen sollte, weil nur der kulturelle Austausch und das Hineinversetzen in andere Positionen, Erlebnisse und Kulturen zu neuen Erkenntnissen führt (vgl. Kostüme und "kulturelle Aneignung").
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