zurück zum Artikel

Kopftuch ab! Wie Medien in der Iran-Krise versagen

Szene aus dem #Funk-Videi. Bild: @datteltäter

Themen des Tages: Wer zu Protesten im Iran schweigt und wer das Kopftuch idealisiert. Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk Kritik an seinen Strukturen begegnet. Und was Sie heute bei Telepolis lesen.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Mit Blick auf die Proteste im Iran (und auch sonst) ist der Feind des Feindes nicht automatisch ein Freund. Und der Hidschab steht nicht für die Befreiung der Frau.

2. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Berlin und Brandenburg beweist Humor.

3. Und Telepolis schaut zu Wochenbeginn auf Energiedeals, Kriegsszenarien und notwendige Empathie.

Doch der Reihe nach.

Proteste im Iran: Medien ohne Kompass

Seit gut einer Woche gehen im Iran immer mehr Menschen auf die Straßen, um gegen die islamistisch-repressive Führung zu demonstrieren. Ein Regime – und dieses Wort findet sich hier sehr bewusst –, das Frauen unterdrückt, Homosexuelle öffentlich hinrichtet, Verurteilten Gliedmaßen amputiert, sie blendet oder auspeitscht.

Im demokratischen und "wertegeleiteten" Westen müsste Einigkeit in der Ablehnung der Mullah-Methoden bestehen und die Protestbewegung über mediale und politische Grenzen hinweg Unterstützung finden. Sollte man meinen. Doch so einfach ist die Lage nicht.

Auslöser der anhaltenden Proteste ist der Tod der 22 Jahre alten Iranerin Mahsa Amini. Sie war von der sogenannten Sittenpolizei wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen die islamische Kleiderordnung festgenommen worden.

Was nach der Festnahme mit Amini geschehen ist, kann von hier aus nicht geklärt werden. Medien berichten, dass sie komatös ins Krankenhaus eingeliefert worden sei, wo sie am 16. September verstarb. Regimegegner und Menschenrechtler werfen der "Moralpolizei" vor, die junge Frau misshandelt zu haben. Die Behörden weisen diesen Vorwurf zurück.

Welches Ereignis zu den Protesten gegen ein Regime geführt hat, unter dem kaum jemand von uns leben wollen würde, ist aber gleich: Die aktuellen Proteste sind Ausdruck des Aufbegehrens vor allem der iranischen Frauen, die den Hidschab eben nicht freiwillig tragen, sondern als Symbol der Unterdrückung aufgezwungen bekommen.

Und an dieser Stelle kommen Medien jeglicher Couleur offenbar in Bedrängnis. Sogenannte alternative Medien in Deutschland etwa. Nachdenkseiten, Rubikon: Proteste im Iran? Fehlanzeige! Immerhin aber hat die DKP Treptow-Köpenick der Jungen Welt Berichte über der die Iran-Proteste erlaubt. Ähnlich zwiegespalten sieht es Übersee aus: Die US-Seite Moon of Alamaba: Nichts! Aber: Democracy Now! berichtet – und das ist gut so.

Auch im Mainstream haben die Kolleginnen und Kollegen Positionierungsprobleme. Das Online-Netzwerk #funk der ARD und des ZDF, das dafür bekannt ist, seinen Traffic mit Masturbationspostings anzukurbeln – wofür den Verantwortlichen im Iran von der Sittenpolizei wahrscheinlich Sie wissen schon was amputiert werden würde – veröffentlichte unlängst ein Video, in dem es hieß: "Mein Hijab ist Feminismus, der für Freiheit und Würde steht."

Ebrahim Raisi liked that!

Artikel zum Thema:

Thomas Pany: Iran: Systemfrage auf den Straßen [1]
Thomas Pany: Proteste in Iran: Tote infolge brutaler Repression [2]
Katha Pollitt: Die Linke hat die Verantwortung, sich auf die Seite von Salman Rushdie zu stellen [3]

Öffentlich-rechtlicher Humor: Staatsanwalt für Staatsferne

In Deutschland gehen seit geraumer Zeit Querdenker, Pegidisten und andere nützliche Idioten ordoliberaler Interessen auf die Straßen, um unter dem Vorwurf von "Lügenpresse" und "Staatsfunk" die Abschaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu fordern.

Und was macht der öffentlich-rechtliche Rundfunk in dieser Situation?

Er stellt beim RBB eine überbezahlte Intendantin ein, die offenbar lügt. Und nachdem das blöderweise aufgeflogen ist, setzt die ARD eine Nachfolgerin aus dem eigenen Machtapparat ein. Was praktisch ist, denn ARD-Chef Tom Buhrow hat über seine Mitwissenschaft in der Missbrauchsaffäre wohl auch gelogen.

Gut, Sie werden jetzt einwenden, aber "Staatsfunk" sei das nicht. Da gebe es schließlich einen unabhängigen Rundfunkrat zur Kontrolle der neuen Chefin. In der Tat, auch da wurde ein neuer Vorsitzender bestimmt. Und der ist – halten Sie sich fest! – Staatsanwalt. Ja, nee, das meinen die ernst. Ist keine Satire.

Der Potsdamer Staatsanwalt Ralf Roggenbuck jedenfalls ist neuer Vorsitzender des RBB-Rundfunkrats. Das Kontrollgremium wählte den Juristen, der vom Deutschen Beamtenbund entsandt worden ist, am Donnerstag in Berlin an seine Spitze. Die SPD fand’s gut, berichteten Nachrichtenagenturen. Und die regiert ja in Berlin und in Brandenburg.

Bei Telepolis hatte der Medienwissenschaftler Sebastian Köhler die Wahl der neuen RBB-Intendantin Katrin Vernau (nach Absetzung der mutmaßlich korrupten Patricia Schlesinger) beleuchtet:

Bemerkenswert: Frau Vernau ist mit Ausnahme ihrer Promovierung an der Uni Potsdam nicht nur eine lupenreine Westfrau mit entsprechenden offenbar guten Vernetzungen und vom WDR, Medienberichten zufolge war sie auch eine Vertraute des dortigen Intendanten Tom Buhrow.

Frau Vernau ist bezüglich der strukturellen Kopplungen in Richtung Wirtschaft zudem auch eine in Wirtschaftskreisen anscheinend hoch angesehene Managerin, die viele Jahre als Partner in der Unternehmensberatung Roland Berger tätig war.

Sebastian Köhler

Artikel zum Thema:

Sebastian Köhler: Aus dem Westen nichts Neues: Inwiefern die Wahl der neuen RBB-Intendantin Probleme nicht löst [4]
Harald Neuber: RBB-Skandal: "Keine Demokratie ohne Demokratisierung der Medien" [5]
Rüdiger Suchsland: Warum die Rundfunkgebühren erhöht werden müssen [6]

Heute bei Telepolis: Bundeskanzler Scholz und dei saudischen Diktaturen

Bundeskanzler Olaf Scholz kann, wie Telepolis-Autor Bernd Müller heute berichtet [7], einen Erfolg präsentieren: Er bringt aus den Saudi Arabien zwar keine Erkenntnisse über den auf Weisung von Kronprinz Mohammed bin Salman bei lebendigem Leib zerstückelten Journalisten Jamal Kashoggi mit. Oder Teile von dessen bis heute verschwundenen Leichnam.

Stattdessen hatte der wertegeleitete Sozialdemokrat einen Energievertrag im Gepäck. Während seines Besuchs in dem Golfstaat habe der Essener Energiekonzern RWE einen Kontrakt über die Lieferung von Flüssiggas (LNG) unterzeichnet:

Die erste Lieferung soll noch im Dezember an das neue Terminal in Brunsbüttel geliefert werden. Der Umfang: 137.000 Kubikmeter. Nach Angaben des Spiegel entspricht das einem Energiegehalt von etwa 822 Millionen Kilowattstunden.

Zum Vergleich: Vor dem Krieg in der Ukraine kamen etwa 1,7 Milliarden Kilowattstunden durch die Ostsee-Pipeline Nordstream 1 – jeden Tag.

Bernd Müller

Nordkoreaner in die Ukraine?

Es sei ein Albtraumszenario, schreibt John Feffer, Direktor von Foreign Policy In Focus am Institute for Policy Studies in Washington [8]: Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin nicht genügend Soldaten aus seinem Einflussbereich rekrutieren kann, könnte der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un sein jüngstes Angebot Realität werden lassen, 100.000 Nordkoreaner zu schicken:

Kim hat auch versprochen, nordkoreanische Arbeiter zu entsenden, um beim Wiederaufbau der Donbass-Region zu helfen, die von den russischen Streitkräften zum Teil zerstört wurde, um sie zu "retten". Es wäre ein gespenstischer Widerhall der brüderlichen Hilfe, die osteuropäische kommunistische Staaten Pjöngjang in den 1950er-Jahren nach den Verwüstungen des Koreakriegs leisteten.

John Feffer

Appell für Empathie

Die Notwendigkeit, sich ins Gegenüber hineinzuversetzen, mahnt Konrad Lehmann heute an. Dies sei gerade in der aktuellen Situation auch politisch notwendig. Lehmann schreibt:

Dass die unterschiedlichen Formen von Empathie auch unterschiedliche Gehirngebiete beanspruchen, haben zahlreiche Studien bestätigt. Sie sind sich einig darin, dass der kognitive Perspektivwechsel, das Sich-in-Andere-Hineinversetzen, die Theory of Mind, eine Leistung des sogenannten Ruhezustandsnetzwerks ist. Damit wird ein Verbund von Hirnrindengebieten bezeichnet, die immer dann in Aktion treten, wenn der Mensch äußerlich nichts tut und sich entspannt.

Konrad Lehmann

In diesem Sinne: Entspannen Sie sich!


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7275264

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Iran-Systemfrage-auf-den-Strassen-7274319.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Proteste-in-Iran-Tote-infolge-brutaler-Repression-7271723.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Die-Linke-hat-die-Verantwortung-sich-auf-die-Seite-von-Salman-Rushdie-zu-stellen-7242449.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Aus-dem-Westen-nichts-Neues-Inwiefern-die-Wahl-der-neuen-RBB-Intendantin-Probleme-nicht-loest-7257580.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/RBB-Skandal-Keine-Demokratie-ohne-Demokratisierung-der-Medien-7244655.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Warum-die-Rundfunkgebuehren-erhoeht-werden-muessen-7252869.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Hohe-Energiepreise-Gasumlage-weg-Preisdeckel-nicht-in-Sicht-7275145.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Politik-im-Burgwall-Der-Aufstieg-des-autoritaeren-Nationalismus-7275123.html