"Kopiergeschützte Inhalte? auf Ihrem PC vorhanden"

Leipziger Firma sucht Verunsicherung über das neue Urheberrecht betrügerisch auszubeuten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eins haben Musikindustrie und Gesetzgebung erreicht: Der normale Internetbenutzer ist kräftig verunsichert und fühlt sich teilweise schon verfolgt, wenn er nur online geht. Dieses Gefühl schlachtet die Firma Nutzwerk kräftig aus und führt ihre potenziellen Kunden mit hinters Licht.

Es sind keine guten Zeiten für die Nutzwerk Informationsgesellschaft mbH in Leipzig. Wähnte sich die Firma noch vor kurzem im exklusiven Besitz einer milliardenschweren Technologie, legen jetzt Patentstreitigkeiten die so vielversprechende Geldquelle lahm.

Schwere Zeiten

Da das Lizenzgeschäft auf absehbare Zeit wohl keine Einnahmen bringen wird, konzentriert sich Nutzwerk auf die Vermarktung ihres Hauptprodukts, das ein schnelles, sauberes und dazu noch anonymes Interneterlebnis verspricht: Safersurf. Kurz gesagt ist dies ein Proxy, der aus dem Datenstrom Viren und vermeintlich schädliche Daten aussortiert und manipuliert. Man stellt einfach seinen Browser und - wenn man sich die monatlichen Gebühren leisten kann - sein Mailprogramm ein und die Daten laufen über die Rechner der Leipziger Firma. Wohlgemerkt: nur die Daten von Browser und Mailprogramm. Der volle Service kostet 9,90 Euro pro Monat plus Einrichtungsgebühr.

In dem Produktnachrichten-Portal IT-SecCity veröffentlichte Nutzwerk jetzt eine wahrhaft erschreckende Zahl: 8.000 Kunden hätten den Online-Sicherheitstest bei Nutzwerk gemacht und bei über 90 Prozent habe man keinen aktiven Schutz gegen Schnüffelpraktiken feststellen können. Abhilfe schaffe Safersurf, das schließlich auch in der ComputerBild zum Testsieger gekürt wurde. Praktischerweise ist auch der Link zu dem Online-Test der Firma angegeben. Also probiere ich einmal aus, wie geschützt ich bin.

Erstaunliche Einblicke

Das Ergebnis: Ich nutze Linux und Netscape, ich lasse Cookies zu und war zuletzt auf der Nutzwerk-Webseite - keine Information, die meine Anonymität irgendwie beeinträchtigen würde. Jetzt wird es aber spannend: Nutzwerk weiß, dass ich vom Arbeitsplatz aus surfe und nicht etwa von zu Hause. Beeindruckend auch die Ferndiagnose, dass meine Internet-Interessen sich hauptsächlich auf Recherche und Email begrenzen.

Ich werde misstrauisch: Auf welchen verschlungenen Wegen sind meine Benutzerprofile zu Nutzwerk gelangt? Der letzte Punkt zieht mir dann die Schuhe aus: "Kopiergeschützte Inhalte? - auf Ihrem PC vorhanden."

Steht der Vollstrecker der RIAA etwa schon hinter mir? Wie konnte Nutzwerk das nur herausfinden? Ist denn nicht mal mehr Linux sicher? Wo kann ich schnellstmöglich Safersurf bestellen, um diese himmelschreienden Sicherheitslücken abzustellen?

Doch halt: Es muss doch eine natürliche Erklärung geben. Rechter Mausklick - der Quelltext der Seite gibt Auskunft. Die Technik, die all diese Informationen über mich aufbereitet hat, heißt JavaScript. Und da die im Browser ausgeführt ist, liegt das komplette Programm offen und damit auch die Skripte, die Aufschluss über die Funktion des Tests und die Denkweise von Nutzwerk geben.

Nachts zur Tauschbörse, tags zur Arbeit

Die Informationen über Browser, Betriebssystem und Cookies sind trivial und können sehr einfach ermittelt werden, was aber auch nicht weiter tragisch ist. Interessant ist, wie ermittelt wird, ob der Tester zu Hause oder am Arbeitsplatz ist:

Sprich: tagsüber heißt die automatische Antwort "Arbeitsplatz", nachts und am Wochenende "von Zuhause" - eigentlich ziemlich simpel und einleuchtend. Weniger einleuchtend ist, dass der Punkt "Musiktauschbörse" auch zeitgesteuert ist. Wer nachts und am Wochenende unterwegs ist, bekommt gar die Diagnose "Tauschbörsen? - Regelmäßige Besuche".

Für die kopiergeschützten Inhalte hätte man gar keine Skriptsprache gebraucht: Dieser Vorwurf wird bei jedem Netscape-User zu jeder Zeit eingeblendet. Ganz klar: Wer nicht den Microsoft-Browser einsetzt, der ist auch ein Raubkopierer. Zwar ist das Skript für Nutzer des Internet Explorer etwas ausgefeilter, aber im Prinzip passiert dort das Gleiche. Dem Benutzer wird vorgelogen, dass Nutzwerk ganz einfach per Browser auf seine Festplatte schauen kann und dort kopiergeschützte Dateien gefunden hat.

Kein Schutz für Tauschbörsen

Die Plumpheit der Methode überrascht - und ist eines Unternehmens, das den "Innovationspreis" der Stadt Leipzig bekommen hat, unwürdig. Sie ist aber offenbar symptomatisch für Nutzwerk. Überall auf der Webseite sind Hinweise auf Tauschbörsen gestreut.

Neues Urheberrecht gegen Tauschbörsenbesucher - Machen sich Millionen von Internet-Nutzern strafbar? SaferSurf bietet Ihnen Anonymität und schützt vor Viren und 0190-Dialer.

Nutzwerk

Der Haken: Safersurf hat bei Tauschbörsen wie Kazaa oder Edonkey überhaupt keine Wirkung, wie man zum Beispiel im ehemaligen Support-Forum nachlesen kann. Auch die Fragen und Antworten zum anonymen Surfen verschweigen diesen elementaren Makel. Wenn gar - wie im IT-SecCity-Artikel angedeutet - der Provider nach vermeintlichen Urheberrechtssündern suchen würde, wäre auch der Schutz des Browserverkehrs durch SaferSurf schlichtweg nutzlos.

Auch sonst zeigt sich die kleine Firma nicht unbedingt von der seriösen Seite. Zum Beispiel scheint Suchmaschinenspamming für sie Firma ein adäquates Mittel der Werbung zu sein.