Kostenstreit um Asylsuchende: Warum sich der "Flüchtlingsgipfel" verzögerte

Soll nach Meinung der Länderchefs mehr Verantwortung übernehmen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Archivbild: FinnishGovernment / CC0 1.0

Länder und Kommunen erwarten mehr Hilfe vom Bund. Dieser verweist auf schon gezahlte Milliarden. Linken-Politiker fordert "Pro-Kopf-Betrag" und mehr Geld für schwer kranke Geflüchtete.

Schon der Beginn es sogenannten Flüchtlingsgipfels von Bund und Ländern hat sich an diesem Mittwoch verzögert. Um 14 Uhr sollten ursprünglich die Beratungen im Kanzleramt in Berlin beginnen. Doch die zur Vorbereitung gedachten internen Besprechungen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten dauerten zu diesem Zeitpunkt noch an. Die Fronten schienen verhärtet.

Hauptstreitpunkt zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind die Finanzierung der Unterbringung, Versorgung und Integration von Asylsuchenden. Die Länder fordern, dass die Zahlungen des Bundes automatisch steigen, wenn mehr Menschen ins Land kommen.

In diesem Jahr ist die Zahl der Asylanträge in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Insgesamt 101.981 Anträge nahm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von Anfang Januar bis Ende April 2023 entgegen.

Für die Bundesregierung sollten neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), an den Beratungen mit den Länderchefs teilnehmen.

Grünen-Chefin springt Ländern zur Seite

Die Regierungsparteien im Bund ziehen bei dieser Thematik nicht konsequent an einem Strang. Grünen-Chefin Ricarda Lang, deren Partei der größere Juniorpartner in der Ampel-Koalition ist, unterstützt im Finanzierungsstreit Länder und Kommunen: Letztere hätten "im vergangenen Jahr Unglaubliches geleistet", sagte Lang der Stuttgarter Zeitung.

Sie fände "es falsch, wenn jetzt Bund und Länder gegenseitig aufeinander zeigen und jeweils betonen, was sie schon alles gemacht haben". Es gebe ein gemeinsames Interesse an guten Lösungen vor Ort. "Wenn dafür Unterstützung nötig ist, muss der Bund helfen, auch finanziell."

Damit widerspricht Lang nach Informationen der ARD einer Beschlussvorlage der Ampel-Regierung, die demnach keine wesentliche Erhöhung der Hilfen für Länder und Kommunen plant. Der Bund beruft sich darauf, bereits Zahlungen in Milliardenhöhe zu leisten, während Länder und Kommunen Milliardenüberschüsse verzeichneten.

"Das vom Bundeskanzleramt bisher vorgelegte Papier ist für mich nicht verhandelbar", sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) laut einem Bericht der ARD-Tagesschau und bestand erneut auf einem "Pro-Kopf-Betrag", den der Bund für Geflüchtete zahlen soll.

Außerdem wird aus seiner Sicht zusätzliches Geld für die Versorgung schwer kranker Menschen benötigt, die nach Deutschland flüchten. "Die Kosten für ihre medizinische Versorgung kann man nicht den Landkreisen und kreisfreien Städten überlassen", sagte der Ministerpräsident.

Auch von der SPD geführte Bundesländer gehen auf Konfrontationskurs mit Bundeskanzler Scholz. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sieht laut einem Spiegel-Bericht einen "unübersehbaren Dissens" zur Position des Bundes. Alle Länder seien sich parteiübergreifend einig, dass die Kommunen mehr Unterstützung benötigen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat unterdessen von Bundeskanzler Scholz verlangt, "das Thema jetzt zur Chefsache" zu machen, "Verantwortung übernehmen und Führung zeigen". Es müsse eine dauerhafte, faire und verlässliche Finanzierung der Kosten und auch eine bessere "Steuerung" der Migration geben, sagte Wüst laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Weil der Bund über die Steuerung oder Begrenzung des Zuzugs entscheide, müsse er auch mehr finanzielle Verantwortung übernehmen. In NRW beteiligt sich der Bund nach Angaben von Wüst "aktuell nicht mal mehr mit 20 Prozent" an den Kosten von Land und Kommunen.

AfD fordert "Abschiebeoffensive"

Die AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg hatte sich vorab mit der Forderung nach einer "sofortigen Abschiebeoffensive" sowie der "Heimreise aller Syrer" zu Wort gemeldet und erneut die Legende von der "Grenzöffnung" durch die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Spätsommer 2015 verbreitet.

Merkel sei eine "Verfassungsbrecherin" und die Schwerpunktsetzung des aktuellen Flüchtlingsgipfels verfehlt, befand der AfD-Landtagsabgeordnete Ruben Rupp. Tatsächlich wären die EU-Binnengrenzen 2015 schon seit Jahren geöffnet, Merkel hatte sie nur nicht geschlossen.

Nachdem 2015 in großer Zahl Syrerinnen und Syrer eingereist waren, kamen im vergangenen Jahr vor allem Geflüchtete aus der Ukraine – insgesamt mehr als eine Million. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums stammten hierzulande acht von zehn Schutzsuchenden infolge der russischen Invasion 2022 aus der Ukraine.

Nach Angaben des Finanzministeriums unter Christian Lindner (FDP) gab der Bund im vergangenen Jahr insgesamt 29,8 Milliarden Euro an Hilfen für Geflüchtete aus. 2023 werden es rund 26,6 Milliarden sein – darunter sind allerdings auch Kosten, die im Zusammenhang mit Fluchtursachenbekämpfung verbucht werden.

Ferner verweist der Bund auf die Unterstützung Geflüchteter aus der Ukraine, die Grundsicherung bekommen. Der Bund übernehme damit direkt bereits 90 Prozent der Sozialleistungen.

Fluchtursache Klimawandel: Diese Vorschläge stehen im Raum

Vor dem Hintergrund des Kostenstreits ist kaum absehbar, wann sich Regierende ernsthaft mit den Vorschlägen des Sachverständigenrats des Bundes zum Umgang mit Klimaflüchtlingen befassen werden.

Einen "Klima-Pass" mit für den dauerhaften Aufenthalt soll es demnach zwar nur für Staatsangehörige von Ländern geben, die durch den Klimawandel ihr gesamtes Territorium verlieren. Das betrifft etwa die Bevölkerung untergehender Pazifikinseln.

Eine "Klima-Card" könnten aber wesentlich mehr Menschen erhalten. Sie soll zunächst einen befristeten Aufenthalt in Deutschland ermöglichen, wenn die Herkunftsländer stark vom Klimawandel betroffen sind, aber voraussichtlich weiter existieren werden.

Der Sachverständigenrat setzt dabei voraus, dass die Schäden innerhalb eines Menschenlebens mit entsprechender Unterstützung wieder beseitigt werden und die Betroffenen zurückkehren können. Als weitere Möglichkeit wird ein "Klima-Arbeitsvisum" für begrenzte Zeit vorgeschlagen.