Kraftlose Sonnenbilder
Mit ästhetisch schönen Fotografien amerikanischer Kernwaffentests will der Fotograf Michael Light das Unfassbare verstehbar machen
"Fotos erzählen uns nur von der Oberfläche der Dinge, davon, wie die Dinge aussehen. Aber wenn Fotos das Einzige sind, was wir haben, dann müssen sie ausreichen, das Unfassbare zu verstehen", so Michael Light in dem von ihm herausgebrachten prächtigen Bildband "100 Sonnen". Light, amerikanischer Fotograf und vor einigen Jahren international bekannt geworden durch seine perfekten digitalen Aufbereitungen der Fotografien des Apollo-Programms ("Full Moon"), konnte Bildarchive der amerikanischen Atombombenprogramme auswerten. In "100 Sonnen" präsentiert er die schönsten Aufnahmen der amerikanischen Oberflächenexplosionen der Jahre 1945 bis 1962.
Der Kalte Krieg ist vor fast fünfzehn Jahren zu Ende gegangen, Nuklearwaffen existieren jedoch weiterhin, und sie wurden in der Zwischenzeit sogar von Staaten wie Indien und Pakistan entwickelt. Die etablierten Atommächte USA und Russland erwägen Weiterentwicklungen dieser Waffen oder zumindest die Entwicklung neuer Trägersysteme (US-Kongress bewilligt Gelder für die Entwicklung taktischer Atomwaffen). Insbesondere die Pläne der Bush-Administration, bunkerbrechende "Mini-Nukes" entwickeln zu lassen, die auch in einem konventionellen Krieg mit "Schurkenstaaten" einsetzbar sein sollen, wird derzeit vor allem von fachlicher Seite kritisiert. Es ist also höchste Zeit, die Problematik für eine breite Öffentlichkeit zu thematisieren. Michael Light setzt dabei auf die unmittelbare Kraft der Bilder. Er hat eine Auswahl von 100 Fotografien getroffen, die er in den Archiven des Los Alamos National Laboratory, der US National Archives und der Lookout Mountain Air Force Station gefunden hat.
Zwischen Juli 1945, als im Rahmen des Manhatten-Projektes die erste Plutoniumbombe in der Wüste New Mexicos getestet wurde, und November 1962 führten die USA 216 atomare Tests in der Atmosphäre durch. Die UdSSR hatte bis Ende 1962 217 Kernwaffen getestet. In diesen siebzehn Jahren fanden somit etwa zwei Kernexplosionen pro Monat statt, eine heute kaum vorstellbare Größenordnung.
Im August 1963 wurde der partielle Atomteststopvertrag unterzeichnet, nach dem Tests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser verboten sind. Die Tests wurden im wesentlichen durchgeführt in der Wüste Nevadas (teilweise nur 100 km von Las Vegas entfernt) und auf dem Bikini Atoll im Pazifik. Die Tests sind exzessiv fotografisch dokumentiert worden, nicht zuletzt deshalb, um die eigene Stärke dem Gegner und der eigenen Bevölkerung darstellen zu können. Ein großer Teil der Bilder war jedoch als geheim eingestuft. Light vermutet, dass dies auch heute noch so ist oder dass manches absichtlich vernichtet wurde.
Die "100 Sonnen" werden in dem Bildband ohne einleitende Kommentierung gezeigt. Jedes Bild wird nur durch eine fortlaufende eine Nummer, den Codename des Tests, die atomare Sprengkraft, Ort und Jahreszahl markiert. In den Bildlegenden am Ende des Buches werden dann aber doch recht ausführliche Hintergrundinformationen geliefert. Zudem hat Michael Light eine informative Kurzabhandlung zur Historie und der Kernwaffentest verfasst, in der er auch auf die massiven Schäden eingeht, die durch radioaktiven Fallout in den USA selbst entstanden sind. Bildlich bleiben diese jedoch ungezeigt. Eine ausführliche Zeittafel der Jahre 1938-2003 ist ebenfalls vorhanden.
Light glaubt an die Macht der Bilder. Die Entwicklung und Produktion von Kernwaffen ist für ihn eine "herausragende menschliche Barbarei", von der sich "jeder klar denkende Mensch" instinktiv abwende. Der Irrsinn der Kernwaffen ist für ihn zwar unfassbar, aber dennoch fotografierbar. Fotografien haben für ihn unmittelbare Beweiskraft und Handlungsrelevanz:
Es existiert. Es ist geschehen. Und es geschieht noch. Möge es keine neuen Fotos von Kernexplosionen mehr geben, niemals.
Es ist erstaunlich, wie weit seine Ansichten mit denen von Ernst Friedrich übereinstimmen, der 1924 sein berühmtes Buch "Krieg dem Kriege" herausgebracht hatte. Friedrich schrieb damals:
Die Bilder dieses Buches... zeigen Aufnahmen, von der unerbittlichen, unbestechlichen photographischen Linse erfaßt,... Und nicht ein einziger Mensch in irgend einem Lande kann aufstehn und gegen diese Photos zeugen, daß sie unwahr sind und nicht der Wirklichkeit entsprächen ... Zeigt diese Bilder allen Menschen, die noch denken können! Wer dann noch diesen Massenmord bejaht, den sperre man ins Irrenhaus ...
Friedrichs erklärte Methode ist die der Präsentation von "Schockbildern", von zerfetzten Leibern und grausam verstümmelten Kriegsversehrten. "Krieg dem Kriege" erlebte mehrere Auflagen, aber es hat den 2. Weltkrieges bekanntlich nicht verhindern können. Dass der nüchterne Blick auf Aspekte der Realität mittels eines Fotoapparates nicht automatisch zur Vermeidung weiteren Unheils führt, ist die bittere Lehre der Erfolglosigkeit von "Krieg dem Kriege" und ähnlichen Publikationen.
Ästhetik des Schrecklichen
Den Glauben an die unmittelbare Wirksamkeit und vorbeugende Wirkung fotografischer Dokumente teilen Friedrich und Light. Während dies bei Friedrich angesichts seiner eigenen existentiellen Erfahrungen während des Ersten Weltkriegs verständlich ist, ist dieser Standpunkt achtzig Jahre später bei Light einfach nur noch naiv. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen beiden Werken betrifft die unterschiedlichen Prozesse der Bildauswahl. Während die Auswahlkriterien bei Friedrich recht klar beschrieben werden, äußert sich Michael Light zu seiner Methode überhaupt nicht. Er zeigt keine Schockbilder, die er in den Archiven wohl auch gar nicht hätte finden können. Seine Auswahl scheint eine rein ästhetische gewesen zu sein. Er hat sich vom visuell Spektakulären betören lassen und muss so erst über den Text den Hinweis anbringen, dass auf den Bildern etwas an sich Ungeheuerliches zu sehen ist.
"Krieg dem Kriege" erschien wenige Jahre nach dem Ende des "Großen Krieges", also zu einer Zeit, als in den ehemals kriegführenden Ländern noch unmittelbare Fassungslosigkeit herrschte über das zuvor Geschehene. Michael Lights Fassungslosigkeit kommt mit vierzig Jahren Verspätung daher und bekommt dadurch einen künstlichen Beigeschmack. Böswillig könnte man argumentieren, Light habe sich den Bildern der Atombombentests vor allem als technologiebegeisterter Ästhet genähert, der er sicherlich auch ist. Zum Schluss benötigte er dann ein moralisierendes Feigenblatt, um die Bilder ohne schlechtes Gewissen publizieren zu können.
Wahrscheinlich ist Light aber einfach nur Opfer seiner eigenen Absicht geworden, ausschließlich Bilder sprechen zu lassen. Ihm war letztlich vielleicht doch aufgefallen, dass sie allein die von ihm beabsichtigte Wirkung gar nicht erzielen, dass sie sogar gänzlich anders interpretiert werden können, und so beendete er seinen Text mit dem emotionalen Appell.
"... wenn Fotos das Einzige sind, was wir haben, dann müssen sie ausreichen, das Unfassbare zu verstehen", schreibt Light und verwickelt sich so ganz von alleine in einen offensichtlichen Widerspruch. Denn es gibt ja viel mehr als Bilder, nämlich unzählige Dokumente, Messprotokolle, Zeugnisse Beteiligter und Opfer und nicht zuletzt die bis heute verwüsteten Testgelände, allen voran das unbewohnbare Bikini Atoll. Und genau diese nicht-fotografischen Informationen benutzt er, um die Bilder einzuordnen. Die Worte in dem Bildband, Zeittafel und Bildlegenden sind informativer als die Bilder. Insgesamt versucht Light den Betrachter in einen Zustand der Fassungslosigkeit zu versetzten, den ein Zeitgenosse gehabt hätte, hätte dieser die heute vorliegenden Informationen gehabt. Auf der Strecke bleibt die Distanz, die nötig ist, um historische Fragen zu stellen, die für uns Heutige relevant sind.
Sein Standpunkt, das atomare Wettrüsten als schlichtweg wider den klaren Menschenverstand zu bewerten, macht Fragen nach Erklärungen des menschlichen Verhaltens unmöglich. Wahrscheinlich ist es dieser Standpunkt, Krieg als Folge irrsinniger Gesinnungen aufzufassen, der auch den Misserfolg von "Krieg dem Kriege" erklärbar macht: Es sind ja meistens keine geistig klinisch Kranken, die in den Krieg hetzen und ziehen, sondern ganz "normale" Menschen. Wird diese Tatsache übersehen, kann außer Fassungslosigkeit und einem simplen "Nie wieder!" nichts entstehen.
So liefert "100 Sonnen" beispielsweise keinerlei Anhaltspunkt dafür, zu verstehen, wieso die UdSSR und die USA Ende 1962 ihre Oberflächenexplosionen einstellten, nur wenige Wochen nach der Kubakrise, die fast zur nuklearen Katastrophe eskaliert wäre. Offensichtlich haben die Menschen damals doch auch rational und verantwortlich gehandelt, zum großen atomaren Schlagabtausch ist es nie gekommen. So kann man die "100 Sonnen" auch ganz anders interpretieren, als vom Autor intendiert: als Beleg dafür, dass die Kernwaffen politisch beherrschbar sind. Kein guter Ausgangspunkt angesichts der Pläne, mit Mini-Nukes zukünftige Kriege zu führen.
Michael Light: "100 Sonnen" (208 Seiten, mit 100 farbigen und s/w-Abbildungen, Preis 39,90 Euro) ist bei Knesebeck als Stern Buch erschienen.