Kramp-Karrenbauer: "Wir bleiben sicherheitspolitisch von den USA abhängig"

F-18 Super Hornet. Foto: Service Depicted: Navy Camera Operator: TSGT ROB TABOR, USAF

Die Nato als geopolitisches Über-Ich, Macrons "strategische Autonomie" Europas und AKKs "Angriff mit einem Flammenwerfer auf die französische Doktrin"

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Was die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kürzlich zur US-Präsidentschaftswahl zum Besten gab, kam in Frankreich gar nicht gut an. "Die Illusionen einer europäischen strategischen Autonomie müssen ein Ende haben. Die Europäer werden nicht in der Lage sein, die entscheidende Rolle Amerikas als Sicherheitsanbieter zu ersetzen", schrieb AKK in einem Beitrag im Magazin Politico, der einen Tag vor der US-Wahl veröffentlicht wurde.

Das sei ein "Angriff mit einem Flammenwerfer auf die französische Doktrin", reagierte der in Frankreich renommierte Journalist Renaud Girard eine Woche später im Figaro (hier auf Englisch). Frankreich habe immer die europäische strategische Autonomie gepredigt.

"Illusion der deutschen Verteidigungsministerin"

Die deutsche Verteidigungsministerin unterliege selbst einer Illusion, so Girard: Dass die USA unter Bidens Führung wieder verlässlich zu einer Unterstützung zurückkehren würde, wie sie Deutschland seit den Nachkriegsjahren gewöhnt ist. Das sei "zwar möglich, aber nicht sicher". Frankreich habe mit den USA, was Sicherheitsgarantien angehe, auch andere Erfahrungen gemacht.

Mit ihrem Angriff, der französische Initiativen einer Wiederbelebung der europäischen Souveränität torpediere, ziele Kramp-Karrenbauer, ohne dessen Namen zu nennen, auf den französischen Präsidenten Macron. Der reagierte nun auch, ohne den langen deutschen Namen zu nennen.

"Ganz und gar nicht" ("en désaccord profond") teile er die Position der deutschen Verteidigungsministerin. "Ich halte das für eine Fehlinterpretation der Geschichte", sagte Macron in einem gestern erschienenen Gespräch mit der Publikation Le Grand Continent, wo man ihm viel Platz einräumt, um die "Macron-Doktrin" zu erläutern (französisch und deutsch).

Zum Glück verfolge die deutsche Kanzlerin nicht die Linie von AKK, "wenn ich es richtig verstanden habe", so der französische Präsident. Ganz sicher kann er sich da nicht sein. Merkel hält sich Optionen offen. Gegenüber den Wahlsiegern Biden/Harris betonte sie, dass die transatlantischen Freundschaft unersetzlich sei und dann später noch einmal persönlicher, dass Amerika der wichtigste Verbündete sei und bleibe.

"Mitunter begehre ich dagegen auf"

Wenn es sich um verbindliche Umsetzungen europäischer Projekte von Macron handelte, ging Merkel meist in Deckung. Sie tauchte ab. Sätze, wie sie Macron zur Nato äußert, dass sie "hirntot" sei oder wie aktuell im erwähnten Gespräch, dass die Nato ein Über-Ich sei, das geopolitische Beziehungen definiert und bei anderen als solches mehr präsent sei als bei ihm ("mitunter begehre ich dagegen auf"), fallen bei Merkel nicht.

Wenn Merkel sagt: "Aber Amerika erwartet von uns - und zu Recht - stärkere eigene Anstrengungen, um für unsere Sicherheit zu sorgen" und Macron sagt: "Aber die Vereinigten Staaten werden uns nur als Verbündete akzeptieren, wenn wir uns selber ernst nehmen, und wenn wir in unserer eigenen Verteidigung souverän sind", so mag das erstmal ähnlich klingen. Es ist aber nicht dasselbe.

Es sind unterschiedliche Standpunkte und unterschiedliche Interessen, die in Konkurrenz zueinander stehen, wenn es um Geschäfte geht. "Souveränität" und "strategische Autonomie" sind Zentralbegriffe der Macron-Doktrin, wie er sie in der Elysée-Palast-Homestory ausbreitet.

Bei Macron ist ein Zug zur Souveränität prägend und weniger das Motiv, Vorgaben zu erfüllen, wie dies die deutschen Adressen an die US-Regierung bestimmt. Gut zu sehen an Berichten zur heutigen Grundsatzrede Kramp-Karrenbauers, mit der sie sich für höheren Verteidigungsausgaben stark macht . Der Tagesschau-Bericht dazu ist überschrieben mit "Keine Sicherheit ohne die USA". Zu lesen ist:

Wir bleiben sicherheitspolitisch von den USA abhängig und müssen gleichzeitig in Zukunft als Europäer mehr von dem selbst tun, was uns die Amerikaner bisher abgenommen haben. (…) Die Idee einer strategischen Autonomie Europas geht zu weit, wenn sie die Illusion nährt, wir könnten Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Europa ohne die NATO und ohne die USA gewährleisten.

Annegret Kramp-Karrenbauer

Ist hier Realismus bestimmend oder Ergebenheit? Solche typisch deutschen Fragen muss sich die Regierung in Frankreich nicht stellen, dafür aber andere. Bei alledem geht es um viel Geld für die Rüstungsindustrie und Frankreich braucht viel Geld, um seine Nuklearwaffen und sein konventionelles Arsenal im Rüstungswettlauf up to date zu halten.

Während sich europäische Länder, allen voran der engste EU-Partner Deutschland, fragen, was denn unter der "strategischen Autonomie" genau zu verstehen ist, ist die Sache für Frankreich klar. So lautet die Konklusion einer Publikation der belgischen Forschungsgruppe GRIP: Paris braucht Geld, das nur über den Weg einer kollektiven Zusammenarbeit zu beschaffen ist.

Frankreich muss Mittel und Wege prüfen, wie es seine Autonomie kollektiv ausüben kann, wenn schon nicht innerhalb der Union, so doch zumindest innerhalb einer Gruppe europäischer Staaten, die dazu bereit und in der Lage sind. Dies ist zweifellos der Zweck der "Europäischen Interventionsinitiative" von Präsident Macron.

GRIP

Wie die Konkurrenzverhältnisse dazu ausschauen, wurde im Frühjahr sichtbar, als die deutsche Verteidigungsministerin in den USA neue Flugzeuge, 30 F-18-Super-Hornet und 15 Kampfjets des US-Typs E/A-18 Growle, bestellte (Kampfflugzeuge: Kramp-Karrenbauer "fixiert" Split-Lösung). Zwar wurde argumentiert, dass dies aus Kostengründen nachvollziehbar ist, aber es spielten auch andere Gründe mithinein, nicht zuletzt die nukleare Teilhabe.

In Frankreich wurde dies von der national-konservativen Publikation Marianne als "Befolgen eines US-Diktats" kommentiert: "Die Amerikaner haben ihnen ein Angebot gemacht, das sie nicht zurückweisen konnten." Das kann man sicher mit dem politischen Standort des Magazins erklären. Das Argument, dass Deutschland damit den transatlantischen Konkurrenten gegenüber den europäischen Partnern bevorzugte, wird aber nicht nur dort aufgebracht.