Krankenhäuser als Profitcenter

Seite 3: Besonderheiten des Gesundheitsmarktes

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Auf Basis der sozialstaatlichen Maßnahmen, insbesondere der gesetzlichen Krankenversicherung, konnte sich der Gesundheitsmarkt, wie wir ihn heute kennen, etablieren. Vom Standpunkt des Bundesministeriums für Wirtschaft sieht dessen Bedeutung aktuell so aus

Im Jahr 2020 betrug die Bruttowertschöpfung der Gesundheitswirtschaft 364,5 Milliarden Euro. Das entspricht 12,1 Prozent der Bruttowertschöpfung in Deutschland. 2020 waren ca. 7,4 Millionen Erwerbstätige in der Gesundheitswirtschaft beschäftigt, das sind 16,5 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland. Seit 2011 ist die Zahl der Erwerbstätigen in der Gesundheitswirtschaft um 1 Millionen gestiegen.

Die aktuellen Ergebnisse der gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigen, dass die Bruttowertschöpfung der Gesundheitswirtschaft in den letzten 10 Jahren - mit Ausnahme des Jahres 2020 - stabil gewachsen ist, deutlich stärker als die der Gesamtwirtschaft. Im Durchschnitt wuchs sie um 3,3 Prozent pro Jahr, die Gesamtwirtschaft um 2,5 Prozent.

Die wirtschaftliche Aktivität der Gesundheitswirtschaft sorgt für positive Ausstrahleffekte in der deutschen Gesamtwirtschaft.

Der Gesundheitsmarkt ist ein bedeutender Teil der deutschen Volkswirtschaft und gleichzeitig ein besonderer Markt. Denn nur indem der Staat Teile des Lohns zwangsweise vergesellschaftet, stiftet er die nötige Zahlungsfähigkeit auf Seiten der lohnabhängigen Patienten und weitet damit das Geschäftsfeld und -volumen der Gesundheitsbranche kontinuierlich aus.

Die auf diesem Markt gehandelten Leistungen werden aus einer Kasse bezahlt, die ihre Quelle im Lohn der Erwerbsabhängigen hat – einer Quelle, die quantitativ notwendig beschränkt ist. Die Einnahmen und damit die Zahlungsfähigkeit der Sozialversicherung hängen ziemlich unmittelbar an der jährlich gezahlten Lohnsumme.

Diese wiederum soll im Interesse der nationalen Konkurrenzfähigkeit möglichst niedrig sein. Insofern sind die durch die Krankenkassen eingesammelten Gelder, bei allen Erhöhungen der Beiträge, letztlich stets so "knapp", wie die Löhne des Kapitalstandortes Deutschland niedrig sein "müssen".

Die Versorgung, die der Sozialstaat für sein Volk vorsieht, definiert der Gesetzgeber im SGB V (Sozialgesetzbuch V), das die gesetzliche Krankenversicherung rechtlich regelt:

Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen." (SGB V, § 2, Absatz 1) und "Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

SGB V, § 2, Absatz 4

Damit etabliert der Gesetzgeber ein Dreiecks-Verhältnis, das es in sich hat. Die Patienten haben das Recht auf eine medizinische Versorgung, die dem medizinischen Erkenntnisstand entspricht; die Krankenkassen haben das Recht, Beiträge vom Lohn einzuziehen und die Pflicht, die Leistungen der Medizinbranche zu bezahlen; die Medizinbranche hat das Recht, damit Gewinn zu erzielen. Und alle Parteien haben zusammen die Pflicht, darauf zu achten, dass die Leistungen dem nationalen Lohnniveau entsprechen.

Diese Vorschrift zeugt davon, dass der Staat weiß, wie sehr die von ihm ins Recht gesetzten Interessen notwendigerweise kollidieren: Der Standpunkt medizinischer Versorgung passt mit dem des Geschäfts nicht zusammen; die vom nationalen Lohn einbehaltene Summe beschränkt den Markt, auf den sich wachsende Ansprüche richten; umgekehrt verteuert ein vergrößerter Topf für medizinische Leistungen den Lohn bzw. seine angeblichen "Nebenkosten".

Es macht sich auf diese Art und Weise geltend, dass Gesundheitskosten in der kapitalistischen Gesellschaft grundsätzlich soziale Kosten sind, die – bei allen Fortschritten, die es in Sachen Verfügbarkeit medizinischer Forschung und Behandlung gegeben hat – letztlich niedrig zu halten sind.2

Es ist klar, welche Interessen in einer kapitalistischen Ökonomie angesichts dieser Gegensätze notwendigerweise am meisten unter die Räder kommt.

  • Die gesetzlich versicherten Patienten sind weder eine zu berücksichtigende Größe bei der Vergrößerung des nationalen Wirtschaftsprodukts (wie die Subjekte des "Gesundheitsmarkts") noch haben sie institutionellen Einfluss in die Waagschale zu werfen (wie Krankenkassen oder Verbände), sondern nur ihr ziemlich ohnmächtiges Bedürfnis, gesund zu werden.
  • Die Arbeiter:innen in den Pflege- und Gesundheitsberufen, die überdurchschnittlich ausgebeutet und unterdurchschnittlich bezahlt werden...

Die jeweiligen Gesundheitsminister haben die Aufgabe, dieses System konfligierender Interessen, das sie selbst eingerichtet haben, so zu verwalten, dass es mit seinen grundsätzlichen Widersprüchen funktionell bleibt, also den jeweiligen staatlichen Anforderungen genügt. Ihr Prinzip dabei ist: Der Gesundheitsmarkt soll weiter wachsen – allerdings nicht so, dass das zu dysfunktional steigenden Krankenkassenbeiträgen (sprich: wachsenden Lohnnebenkosten) führt und gleichzeitig soll die medizinische Versorgung des Volks halbwegs funktionieren.

Was der jeweilige Gehalt dieser Versorgung ist, definiert der Sozialstaat mit dem, was er an Regelungen, Aufträgen, Preisgestaltung usw. vorsieht – und legt damit zugleich fest, was "Volksgesundheit" unter seiner Regie heißt: Nicht das, was medizinisch möglich ist, sondern das staatlich festgelegte Maß an Behandlung der notwendig eintretenden Schädigungen in dieser Gesellschaft.

Kein Wunder also, dass das zu viel Unzufriedenheit auf allen Seiten führt – und zu einem gesellschaftlichen Diskurs, der vor allem aus wechselseitigen Schuldzuweisungen besteht, weil er von den oben genannten Gegensätzen und dem staatlichen Zweck der Gesundheitspolitik nichts weiß und wissen mag:

  • die Patienten sind der Ansicht, dass die Ärzte zu wenig für sie tun, an ihnen schnelles Geld verdienen wollen und die Kassen ihnen permanent böswillig Leistungen vorenthalten;
  • die Leistungserbringer sind einerseits der Ansicht, dass sie das Wohl der Patienten gegen geizige Kassen verteidigen müssen, andererseits beschuldigen sie die Patienten, wenig für die eigene Gesundheit zu tun und noch weniger dafür zahlen zu wollen;
  • die Kassen sind der Ansicht, dass die Patienten zu schnell zu Ärzten gehen, zu viele Pillen schlucken und sich schön massieren lassen und dass Krankenhäuser, Ärzte, Pharmafirmen und Apotheker sich ohne wirklichen medizinischen Anlass auf Kosten der Solidargemeinschaft bereichern.

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