"Krieg in Europa" und ein Déjà-vu

Seite 2: Krieg in Europa

"Krieg in Europa: Als der Alarmruf zum ersten Mal" – und zwar nach einigen Friedensjahrzehnten – "wieder erklang, traf er auf Entsetzen, mehr aber noch auf ungläubiges Staunen. Krieg, wirklich?" (9) schreibt einleitend Mappes-Niediek und meint natürlich nicht das ungläubige Staunen, das am Tag nach der russischen Invasion vom 24. Februar einsetzte und das gleich die erste große Kriegslüge der neuen Konfliktlage produzierte: Die von westlichen Politikern und Medien unisono verbreitete Legende, jetzt, auf Putins Initiative, sei der Krieg nach Europa zurückgekehrt.

Mappes-Niediek nennt dagegen das korrekte Datum, den Juni 1991, als die deutsche Tagesschau die ersten "Kämpfe" in Slowenen mit einem toten Soldaten meldete. Dies war der Start des Gemetzels auf dem Balkan, das fast ein Jahrzehnt dauerte und bis heute – siehe Bosnien-Herzegowina oder das Kosovo – zu keinem wirklichen Friedenszustand geführt hat. Stattdessen wird durch eine Art neokoloniales Diktat der EU nur ein fragiler Waffenstillstand aufrechterhalten.

Als damals die Nachrichten die Öffentlichkeit an einen neuen Kriegszustand in Europa gewöhnten, handelte es sich nicht um eine Epoche von Hass und Völkerfeindschaft, wie der neue Rückblick betont. Im Gegenteil, als der Ostblock sich auflöste, sahen Lobredner der US-Demokratie wie Francis Fukuyama das "Ende der Geschichte" gekommen: Der Siegeszug der Demokratie sei unumkehrbar und liberale Revolutionen breiteten sich auf dem Globus aus, der so zu einem transnationalen Global Village zusammenwachse.

Das zur selben Zeit aufkommende Modewort "Globalisierung" bekräftigte das. Jetzt, wo mit dem Ende des Eisernen Vorhangs den Grenzen das Trennende genommen war, sollte die "Eine Welt" zu ihrer Einheit finden, Nationalismus verschwinden und nationalstaatliche Selbstbehauptung ihre Bedeutung verlieren.

"Nicht nur im Ostblock purzelten die Diktaturen", vermerkt Mappes-Niediek, "auf der ganzen Welt entschieden sich freie Menschen für friedliche und demokratische Formen des Zusammenlebens" (10). Erinnern kann man sich etwa an die Pinochet-Diktatur in Chile, die 1989 endete, oder an das rassistische Apartheidsregime in Südafrika, das nach der Wende abdankte.

Dass ausgerechnet in Europa der Triumph der Demokratie einen Krieg mit sich bringen würde, mochte sich auf dem Kontinent der sauber abgegrenzten Nationalstaaten niemand vorstellen.

Norbert Mappes-Niediek (10f)

Das heißt, auf einem Kontinent, auf dem sich gerade Europa vereinigte.

1991, das Jahr, als in Jugoslawien Krieg ausbrach, war auch das Jahr, in dem die Europäische Gemeinschaft ein großes Stück weiter zusammenrückte.

Norbert Mappes-Niediek (11)

In diesem Jahr – das war das überraschende Programm der Westmächte – sollten nun lauter neue Nationalstaaten auf dem Balkan entstehen, mit sauber abgegrenzten nationalen Populationen (die dann natürlich erst durch "ethnische Säuberungen" herzustellen waren), und wurde die Errichtung neuer Grenzzäune von den Machthabern, die auf demokratischem Weg aufgestiegen waren, den Betroffenen als ihr neues Glück verkauft – und von nationalistisch aufgehetzten Massen auch als solches genommen.

Ähnlich wie Ulrike Guérot in ihrem Essay Endspiel Europa 2022 den Traum von Europa mit der bitteren, unfriedlichen, nationalistisch aufgeheizten Konfliktlage des Jahres 2022 konfrontiert, deutet Mappes-Niediek auf den Kontrast zwischen der 1989/1990 versprochenen Friedensdividende mit ihren Erwartungen eines demokratisch herbeiregierten allgemeinen Wohlstands und einer Realität, die genau das Gegenteil bereithielt.

Während auf dem Kontinent die Zeichen auf Vereinigung standen, löste Jugoslawien sich auf.

Norbert Mappes-Niediek (11)

Wie bei Guérot klingt auch hier eine – leider verpasste bzw. unterdrückte – Alternative an, die statt der Schaffung klarer völkischer Verhältnisse im Interesse der "Kriegsherren Jugoslawiens" (13) das multiethnische oder -kulturelle Potenzial des ehemaligen Vielvölkerstaates bewahrt und von den unter Tito noch verbliebenen nationalistischen Resten befreit hätte.

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