Krieg in Europas "Kornkammer": Essen retten oder ökologische Aspekte zurückstellen?

Weizen war bisher so selbstverständlich, dass die meisten Europäer gar nicht auf dem Schirm hatten, wie wichtig er ist. Foto: minka2507 auf Pixabay (Public Domain)

Die Ukraine fällt als wichtiger Produzent von Mais und Weizen aus, warnen CDU-Agrarminister – und sehen die Lösung darin, vorerst auf Nachhaltigkeit zu pfeifen

Auf den ersten Blick könnte das Statement von Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) aus einem der Appelle stammen, die in den letzten Monaten von der Gruppe "Aufstand der letzten Generation" verbreitet wurden, um ein "Essen-retten-Gesetz" und eine klimafreundliche Agrarwende zu fordern:

"Es gilt sofort im Sinne der Landwirtschaft und der Ernährungssicherung zu handeln", erklärte die Ministerin am Donnerstag nach einem Treffen mit ihrem Amtskollegen und Parteifreund Sven Schulze aus Sachsen-Anhalt.

Inhaltlich ging es aber um etwas ganz anderes – und dringenden Handlungsbedarf sehen unionsgeführte Landwirtschaftsministerien auch erst seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor zwei Wochen. Denn das Land dürfte vorerst als "Kornkammer Europas" und wichtiger Produzent von Weizen, Mais und Sonnenblumenöl ausfallen.

Schulze und Otte-Kinast präsentierten deshalb ein 13-Punkte-Papier, an dem auch die Agrarministerien Bayerns, Baden-Württembergs und Nordrhein-Westfalens mitgewirkt hatten. "In einer Krise wie dieser müssen wir die Potenziale unserer heimischen Landwirtschaft aktivieren. Ökologische Aspekte sind wichtig, sie müssen aber jetzt für die nötige Zeit ein Stück zurücktreten", befand Schulze.

EU-Kommissar warnte vor gefährlicher Illusion

Der für Klimapolitik zuständige EU-Kommissar Frans Timmermans hatte sich zuletzt gegen ein solches Vorgehen ausgesprochen. "Bitte glaubt nicht an die Illusion, dass ihr der Nahrungsmittelproduktion helft, indem ihr sie weniger nachhaltig gestaltet", so Timmermans.

Die Agrarministerinnen und Agrarminister der C-Parteien fordern nun Bundesminister Cem Özdemir (Grüne) auf, "Handlungsspielräume im Interesse der kurzfristigen Abmilderung der Krisenfolgen zu nutzen". Am Freitag wollen die jeweiligen Ressortchefs der G7-Staaten über die Folgen des Krieges gegen die Ukraine für die internationale Lebensmittelversorgung beraten.

Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erzeugte zwar Frankreich im Jahr 2020 deutlich mehr Weizen als die Ukraine und Deutschland fast genauso viel wie das osteuropäische Land, trotzdem können kriegsbedingte Ernteausfälle in der Ukraine die Preise weltweit beeinflussen. Vor allem in afrikanischen Ländern könnte das dramatische Folgen haben.

Vor einer weltweiten Nahrungsmittelkrise im Zusammenhang mit dem menschengemachten Klimawandel und dem dauerhaften Verlust von Anbauflächen hatte die Gruppe "Aufstand der letzten Generation" mit ihren viel kritisierten Autobahnblockaden warnen wollen – ohne zu ahnen, wie viel schneller der Mangel durch einen Krieg eintreten könnte.

Ihre Forderung nach einem Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung, das großen Supermärkten verbietet, noch genießbare Nahrungsmittel wegzuwerfen, statt sie spenden, steht aber nach wie vor im Raum. In Frankreich gibt es bereits seit 2016 ein solches Gesetz.

Grundsätzlich treten Umwelt- und Klimabewegte auch für eine Regionalisierung der Lebensmittelversorgung ein. Sie wollen also auch die Potenziale der heimischen Landwirtschaft nutzen, warnen aber zugleich vor einem "Boden-Burnout", wie es auch eine Studie der Vereinten Nationen tut.

Daher befürworten sie in der Regel, was Otte-Kinast und Schulze jetzt als "produktionsbeschränkende Maßnahmen" ablehnen, wie etwa die vorübergehende Stilllegung von Flächen.

Durch wirksame Gesetze gegen Lebensmittelverschwendung wären solche Maßnahmen möglicherweise auch jetzt noch verkraftbar. Die unionsgeführten Agrarministerien wollen aber vorerst solche Maßnahmen stoppen.

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