Krieg in den Städten
Gangs haben sich in Lateinamerika zu einem ernsten Sicherheitsproblem entwickelt. Mit Repression ist dem Phänomen aber nicht beizukommen
Maximal drei Jahre überlebt ein „Marero“, heißt es in Honduras. Tag für Tag fordert der Krieg zwischen den berüchtigten Jugendbanden in den USA und Zentralamerika, den Maras, seinen Blutzoll. Über 2.000 Bandenmitglieder fielen den Auseinandersetzungen von 1998 bis 2004 allein in Honduras zum Opfer. In Guatemala wurden nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Casa Alianza allein im Jahr 2003 über 700 Jugendliche unter 23 Jahren ermordet. Inzwischen sehen die zentralamerikanischen Regierungen in dem Bandenwesen eines der dringendsten Sicherheitsprobleme. Mit einem gemeinsamen Aktionsplan versuchen sie, die schwer bewaffneten Jugendgangs von den Straßen zu vertreiben. Doch mit der „Politik der harten Hand“ wurde die Lage noch verschlimmert. Nun kämpfen die Banden nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen den Staat. Die Zivilbevölkerung steht zwischen allen Fronten.
Ihren Ursprung haben die Gangs mit Namen wie Salvatrucha, Mara 18, MaoMao, Crazy Harrisons Salvatrucha oder Crazy Normans Salvatrucha in den 70er und 80er Jahren, als in Zentralamerika Bürgerkriege zwischen rechten und linken Parteien wüteten. Während die damaligen US-Regierungen aktiv in die Auseinandersetzungen eingriffen, um ein Erstarken der Linken zu verhindern, flüchteten Hunderttausende vor der ausufernden Gewalt in den Norden. Ein großer Teil von ihnen gelangte in die USA. In den Ghettos der dortigen Großstädte mussten sich die Neuankömmlinge gegen schon bestehende Latinobanden oder andere kriminelle Strukturen zur Wehr setzen. Es war die Geburtsstunde der Maras (Guatemela ist in einem desolaten Zustand).
Allein in den USA wird ihre Mitgliederzahl heute auf 50.000 geschätzt, die Mitglieder sind zwischen zehn und 21 Jahren alt. Nach einer Untersuchung des Hamburger Institutes für Iberoamerikakunde stammen 83 Prozent der Mareros aus armen Verhältnissen, 73 Prozent von ihnen sind in zerrütteten Familienverhältnissen aufgewachsen. Es sind die Opfer einer brutalen Kriegspolitik, mit der Washington bis Ende der 80er Jahre linke Gruppen daran zu hindern versuchte, an die Regierungen zu gelangen.
Zwar sind die Kriege inzwischen beendet, doch nach wie vor finden die Jugendlichen in den Banden einen neuen Bezugspunkt. Die Maras bieten mit ihrer strengen Hierarchisierung eine kulturelle Identität und sozialen Halt. Vor allem aber ist das Bandenwesen lukrativ: Rund zwei Drittel des Kokains gelangt über die Maras in die USA. Nicht nur in ihren Ursprungsländern, sondern auch nördlich des Rio Grande werden die Gangs daher inzwischen als Sicherheitsproblem wahrgenommen. Sofern die Polizei ihrer habhaft wird, schiebt sie lateinamerikanische Gangmitglieder aus den USA in ihre Geburtsländer ab.
Doch diese Mitte der 90er Jahre praktizierte Politik hat eine gegenteilige Wirkung. Durch die Ausweisungen haben sich regelrechte Netzwerke zwischen den US-amerikanischen Großstädten und zentralamerikanischen Metropolen gebildet. Im letzen Jahr wies erstmals auch die spanische Polizei auf bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen lateinamerikanische Jugendbanden in Madrid hin. Auf ihrer Internetseite geben die „Mara 18“ nicht ohne Stolz an, auf Kontakte bis nach Australien und Libanon zu verfügen.
Neue Kriege in den Städten
Mit breit angelegten Medienkampagnen haben die Regierungen von El Salvador, Honduras und Guatemala in den vergangenen Jahren gegen die Jugendgangs Stimmung gemacht. Außer Acht gelassen wird, dass die Banden selber ein Produkt der Kriegspolitik der vergangenen Jahrzehnte sind. Nun wollen die betroffenen Staaten erneut mit Repression reagieren. Die US-Regierung sicherte ihnen bereits finanzielle Unterstützung bei einem gemeinsamen und grenzübergreifenden Vorgehen gegen die Maras zu.
Seit 1997 sein Sohn von Maras erschossen wurde, scheint vor allem der konservative Präsident von Honduras, Ricardo Maduro, einen persönlichen Feldzug zu führen. Anfang 2002 hatte Maduro den Wahlkampf gewonnen, indem er auf die Ängste in der Bevölkerung setzte und ein schonungsloses Vorgehen gegen die Jugendbanden versprach. Im August 2003 dann startete Honduras' Polizei die „Operación Libertad“ (Operation Freiheit). El Salvadors Staatschef Fransisco Flores folge dem Beispiel und initiierte eine „Operación Mano Dura“ (Operation Harte Hand), während Guatemalas Regierung für eine „Operación Escoba“ (Operation Besen) stimmte. Der Einfluss der Maras konnte damit bislang nicht zurückgedrängt werden. Im Gegenteil: Als der guatemaltekische Staateschef Oscar Berger im staatlichen Fernsehen ein hartes Vorgehen gegen die Jugendgangs ankündigte, fand man tags darauf auf einem zentralen Platz in Guatemala-Stadt eine verstümmelte Leiche. Neben ihr lag eine unmissverständliche Notiz: „Herr Präsident, wenn Sie uns weiter verfolgen, werden wir noch mehr Menschen umbringen“.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International verweisen auf die Auswüchse der Null-Toleranz-Politik. Besonders in Honduras führt die Polizei inzwischen einen regelrechten Krieg gegen die Jugendbanden. Immer wieder finden sich Hinweise auf eine enge Kooperation mit Todesschwadronen. Schuld oder Unschuld zählt in diesem Krieg wenig. Nach Angaben der Deutschen Kindernothilfe leben in Honduras 8.000 Kinder und Jugendliche auf der Straße. Auch sie fallen den mordenden Polizisten zum Opfer. Eine Szene aus dem TV-Magazin Weltspiegel verdeutlicht das brutale Vorgehen:
Ein Mitglied der Barrio 18 ist nach einem Schusswechsel gefasst worden. Die Schmerzensschreie des Verletzten zu hören: Da fällt ein weiterer Schuss. Offensichtlich wurde auf den bereits am Boden Liegenden geschossen. Hinrichtungen auf offener Straße sind nicht selten. Der Schwerverletzte wird nicht medizinisch versorgt. Wie Vieh wird er unter Tritten eine Treppe hinuntergeschleift und auf ein Auto geworfen. Wenig später wird er sterben. Menschenrechtsorganisationen sprechen davon, dass die Polizei in Honduras gezielte Säuberungen unternimmt.
Ein solches Vorgehen belegt die Ohnmacht, mit der die Regierungen der Region dem Bandenwesen gegenüberstehen. Militärstrategen vom „U.S. Army War College“ stufen das Bandenwesen inzwischen als „neue Herausforderung für die kontinentale Sicherheitspolitik“ ein. Eine entsprechende Studie bezeichnet die organisierten Banden gar als „neue städtische Aufstandsbewegung“. Es bestehe die Gefahr, dass Regierungsapparate unterwandert und staatliche Strukturen so direkt angegriffen werden.
Private Programme zum Ausstieg
Die Entwicklung in den zentralamerikanischen Staaten bestätigt diese These. In Guatemala etwa wurden erst im vergangenen November über 200 Polizisten vom Dienst suspendiert, weil sie in das Drogengeschäft der Jugendbanden verstrickt waren. Während der Staat also handlungsunfähig ist, springen Nichtregierungsorganisationen in die Bresche. Seit 1996 bietet die Organisation Homies Unidos in den USA und El Salvador Hilfe beim Ausstieg an.
In Honduras hat die katholische Kirche das Programm „Adiós tatuajes“ organisiert. Ausstiegswillige Gangmitglieder können sich im Rahmen dieses Projektes die für die Gangs typischen Tätowierungen entfernen lasen. Bislang nahmen 12.000 Jugendliche dieses Angebot wahr. Die Resonanz gibt einer Untersuchung von Casa Alinaza recht. Demnach wünschen sich 87 Prozent der Bandenmitglieder – besonders diejenigen mit Familie – nichts als ein ruhiges Leben. Aber die Chancenlosigkeit schreckt viele vor einem Ausstieg ab. „Die neoliberale Öffnung der Märkte vernichtet so viele Jobs“, heißt es im Amnesty-International-Magazin, dass zahllose Jugendliche keine Chance in der legalen Wirtschaft haben.
Die Prognose kann nur negativ ausfallen. Solange Mittelamerika im Rahmen des neoliberalen Freihandels weiter Arbeitsplätze abbaut, werden die Maras als Sammelbecken für die Verlierer dieser Politik Zulauf erhalten. Und die Polizei (und zunehmend auch die Armeen) der betroffenen Staaten werden einen immer brutaleren und immer aussichtsloseren Kampf gegen die Banden führen, wenn sie nicht mit den Banden kooperieren. In gewisser Weise finden die Bürgerkriege im Kampf um die Straße ihre Fortsetzung.