Krieg in der Ukraine: Warum wir versagt haben
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Das Geschehen dieser Tage zeigt, in welchem Maße die einst mächtige Friedensbewegung gescheitert ist. Und wie es weitergehen müsste
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat mir die Augen über das eklatante politische Versagen meiner Generation in Ost wie West schlagartig geöffnet. Auch das eigene, ganz persönliche. Wie viele meiner Zeitgenossen der geburtenstarken Jahrgänge bis Ende der 1960er-Jahre bin ich in der Zeit des Wettrüstens zwischen Ost und West groß geworden.
Ich wurde vom militaristischen Regime der SED in der DDR verfolgt, weil ich Pazifist war, den Dienst an der Waffe verweigert habe und das – im Original von Russen geschaffene – Bild der "Schwerter zu Pflugscharen" öffentlich am Ärmel trug.
Am 13. Februar 1982 habe ich an der von der SED verbotenen Friedensdemonstration an den Ruinen der Frauenkirche in Dresden teilgenommen. Da war ich gerade sechszehneinhalb Jahre alt.
Wir Friedensbewegten im Osten beobachteten damals mit viel Sympathie die Friedensbewegung im Westen, in der Bundesrepublik. Wir verfolgten das Entstehen der Partei "Die Grünen", die rasch zum parlamentarischen Arm dieser Bewegung wurde. Ihr energisches Auftreten gegen den Nato-Doppelbeschluss zur Aufrüstung des Westens, ihre charismatischen Anführerinnen wie Petra Kelly waren uns Vorbild.
Das von der Sowjetunion an die Vereinten Nationen gespendete Motiv des Schmiedes, der Waffen zu Ackerwerkzeug umfunktioniert, war das Symbol der pazifistischen Friedensbewegung in der DDR. Seine Träger aber wurden von der SED-Bürokratie drangsaliert und teilweise außer Landes gezwungen.
Als ich Anfang 1989 in den Westen geflüchtet war, schloss ich mich selbstverständlich dieser Bewegung an, wurde Mitglied der Grünen, klebte Plakate im Europawahlkampf im Frühjahr 1989. Damals fanden die letzten Einheitswahlen in der DDR statt. Wenige Wochen später zerfiel der Ostblock, die Mauer, das SED-Regime brachen zusammen, eine neue Zeitrechnung begann.
Seit diesem Erfolg der friedlichen Freiheitsbewegung im Osten wird der Nato-Doppelbeschluss vielfach verklärt als geschickter Schachzug des Westens, mit dem man die Sowjets in Russland und deren kommunistische Getreue in den Vasallenstaaten des Warschauer Pakts in die Knie gezwungen und der Welt damit den Weg in eine neue Friedensordnung geebnet habe. Wirklich?
Wann wurde der Doppelbeschluss denn aufgehoben, nachdem er diesen hehren Zweck erfüllt hatte? Er besagte grob die Aufrüstung des Westens bei gleichzeitiger Verhandlung über Rüstungsbeschränkung und Abrüstungsbestrebungen mit der Sowjetunion. Diese Verhandlungen hat man dann rasch beerdigt. Stattdessen wurden in der Folge zahlreiche Kriege geführt. In Ex-Jugoslawien, im näheren und ferneren Osten. Und vor allem wurde überall auf der Welt aufgerüstet, was das Zeug hält.
Und wir, die Friedensbewegten von 1989? Wir zogen uns ins Private zurück, machten es uns bequem im Wohlstand westlicher Lebensart und vergaßen, unsere Mächtigen, unsere Regierungen weiterhin auf konsequente Abrüstung zu drängen. Wir haben es mehrheitlich hingenommen, dass überall aufgerüstet wurde, Kriege geführt wurden unter x-beliebigem Vorwand, gegen den Terror, für die Humanität, und wie der ganze Reigen an Rechtfertigungen heißen mag. Aber es gibt keine Rechtfertigung für Kriege. Nirgends, niemals und auf keiner Seite.
Es gibt auch keine Rechtfertigung dafür, dass aktuell Politiker in der Ukraine und anderswo an einer gewaltsamen Verteidigung des Landes festhalten, dass sie junge Menschen dafür in den Tod schicken. Das gilt ganz unabhängig davon, dass der Angriff Russlands ein Verbrechen ist. Das rechtfertigt es nicht, wiederum andere Menschen im Kampf gegen das Verbrechen zu opfern. Sie zu zwingen, selbst zu töten, also zu Totschlägern zu werden. Es gibt keine Todesstrafe, auch nicht für Verbrecher. Und deshalb hat auch niemand das Recht, andere zum Töten irgendeines Menschen aufzufordern oder gar zu zwingen.
Und es rechtfertigt in meinen Augen auch nicht, es zu erlauben, dass andere sich an kollektivem Totschlag beteiligen und daran bereichern, indem sie die Werkzeuge dafür verkaufen, sprich: die elenden Dreckswaffen. Darin sind wir Deutschen übrigens Weltmeister und ich nehme mich selbst dabei keineswegs aus, denn meine tarifliche Altersvorsorge hat bestimmt die ein oder andere Rüstungsaktie im Portfolio. Die legen aktuell zu, die Einbrüche bei zivilen Aktien werden dadurch wohl zu verschmerzen sein. Die Waffenproduzenten weltweit dürften jetzt ihren Champagner öffnen. Oder ihren Krim-Sekt – je nach Geschmack.
Einer der wenigen Menschen, die auch nach 1989 konsequent den Weg des Friedens, des Pazifismus, des Urvertrauens in die Humanität des Menschen, die nämlich keine Waffen braucht, gegangen ist, war der Leipziger Pfarrer Christian Führer. Ich kannte ihn persönlich aus der Friedensbewegung um seine Nikolaikirche in Leipzig und hege bis heute tiefe Ehrfurcht vor diesem unerschrockenen, aufrichtigen und geraden Menschen.
Als einer der wenigsten ließ er auch nach 1989 nicht nach in seinem Eintreten für Frieden und Verzicht auf jede Form der Gewalt, der militärischen ganz besonders. Er wurde angefeindet, als er gerade während der Jugoslawien-Kriege in den 1990er-Jahren unbeirrt seine montäglichen Friedensgebete fortsetzte, wie er es seit Mitte der 1980er-Jahre getan hatte.
Man hat ihn belächelt, verspottet und beschimpft. Nicht, dass ihn das nicht beeindruckt hätte. Sicher wird es ihn verletzt haben. Aber er hat sich nicht beirren lassen in seinem konsequenten Eintreten für Frieden und Gewaltlosigkeit und gegen alle Waffen dieser Welt, ganz egal in wessen Händen.