Kriegsberichterstattung: Wenn es für blaue Augen mehr Mitgefühl gibt
Die Foreign Press Association Africa kritisiert rassistische Wahrnehmungsmuster. Im Fall der Ukraine gibt es aber auch geopolitische Gründe für die hervorgehobene Stellung des Konflikts
Unter dem Twitter-Hashtag #FairCoverage, was sowohl mit "faire Berichterstattung" als auch mit "faire Abdeckung" übersetzt werden kann, kritisiert die Foreign Press Association Africa westliche Medien. In einer Stellungnahme vom 1. März geht der Verband auf die aus seiner Sicht "rassistische und verzerrte Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine" ein.
Gemeint ist die Art und Weise, wie zum Teil Entsetzen darüber ausgedrückt wird, dass so etwas in einem "zivilisierten" Land mit weißen Menschen passiert.
"Menschen, die nicht weiß sind, sind nicht weniger zivilisiert oder unfähig, Konflikte zu lösen", wird in der Stellungnahme betont. Diese Menschen seien auch nicht von Natur aus unempfindlicher für Gewalt und Leid.
Anlass zur Kritik hatten in den letzten Tagen mehrere westliche Medien geboten. Zum Beispiel hatte die britische Rundfunkanstalt BBC beim Interview mit dem früheren ukrainischen Ex-Generalstaatsanwalt David Sakvarelidze nicht nachgehakt, als dieser erklärt hatte: "Es ist sehr emotional für mich, weil ich sehe, wie Europäer mit blauen Augen und blonden Haaren getötet werden." Die Aussage war zunächst unkommentiert stehen geblieben – möglicherweise, weil der frühere ukrainische Chefankläger nur offen ausgesprochen hatte, was viele empfanden.
"Für mich als schwarze, afrikanische Frau ohne den Vorteil blauer Augen oder blonder Haare war es ebenso emotional, die Anzahl rassistischer und ignoranter Kommentare in der Berichterstattung über die Ukraine zu sehen, die von den Interviewern und Medienplattformen, die sie ausgestrahlt haben, unbestritten blieben", schrieb Moky Makura an diesem Freitag in einem Meinungsbeitrag für den US-Sender CNN.
Zumindest lassen jetzt Teile der westlichen Presselandschaft die Kritik afrikanischer Medienschaffender nicht ganz unter den Tisch fallen. Es bleibt aber ein strukturelles Problem, dass die großen Nachrichtenagenturen in afrikanischen Ländern viel schlechter vertreten sind. In Deutschland hatte erst kürzlich eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung aufgezeigt, dass über afrikanische Länder vergleichsweise sehr wenig berichtet wird – ganz im Gegensatz zu den USA, zur Russischen Föderation und – erst neuerdings – auch wieder zur Ukraine.
Vom afrikanischen Kontinent erreichen uns zwar immer mal wieder Bilder von mehr oder weniger menschengemachten Katastrophen, deren tiefere Ursachen zum Teil ganz woanders liegen, seien es Rohstoffkriege oder der Klimawandel – aber Gewalt und Chaos scheinen dort ja irgendwie Normalität zu sein. Die Wahrnehmung, dass es die Menschen dort ja nicht besser kennen und daran gewöhnt sein müssten, begegnet manchen von ihnen hier auch in Asylverfahren.
Im Zweifel nur "Whataboutismus"
Im grün-bürgerlichen Milieu war bisher grundsätzlich mehr "Diversity" und Sensibilität gefragt. Aber seit der russischen Invasion in die Ukraine ist das Sprechen über Konflikte, in denen andere Mächte – vielleicht sogar die Nato – eine üble Rolle spielen, völlig out. Diese Erfahrung mussten auch kurdischstämmige Menschen in Deutschland machen, wenn sie in den letzten Tagen über die andauernde Militärgewalt des türkischen Regimes unter Recep Tayyip Erdogan reden wollten.
Woke Grüne würden zwar nie einen Satz wie den des ukrainischen Ex-Generalstaatsanwalts über blonde und blauäugige Menschen unterschreiben – sie waren aber in den letzten Tagen sehr schnell mit dem Vorwurf des "Whataboutismus" zur Stelle, wenn überhaupt Militärgewalt thematisiert wurde, die von anderen Staaten als Russland ausgeht. Das könnte schließlich den Zusammenhalt der "Guten" gefährden – so wie das Chaos in Mali die Versorgung französischer Atomkraftwerke mit Uran aus dem westafrikanischen Land gefährdet, aber der Westen hat jetzt andere Prioritäten.
Die Ukraine wurde von Russland unter Wladimir Putin angegriffen – und das ist vielleicht im neuen Kalten Krieg noch entscheidender als die Hauptfarbe der direkt Betroffenen: Die Feststellung, dass das Böse erst mal in Moskau sitzt und danach sehr lange nichts kommt. Es gibt demnach nicht verschiedene Großmächte, die Interessenpolitik weltweit und auch in afrikanischen Ländern betreiben – von der Rohstoffbeschaffung bis zur Migrationsabwehr – sondern es gibt das Böse und den freien Westen.
Atommächte und der Rest der Welt
Von einer Eskalation, die im schlimmsten Fall zum Atomkrieg führen kann, wäre allerdings die ganze Welt betroffen – auch die afrikanischen Länder, von denen kein einziges selbst zu den Atommächten gehört. Viele dieser Länder haben für den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen gestimmt, wie insgesamt die Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten, weil sie und ihre Bevölkerungen im Ernstfall weder für fremde Interessen sterben noch die Geiseln der Atommächte sein wollen. Vor mehr als einem Jahr ist dieser Vertrag in Kraft getreten.
Die Atommächte – darunter sowohl Russland als auch die USA – und ihre Verbündeten interessiert aber nicht, ob irgendwelche armen Länder, die selbst keine Nuklearwaffen haben, ihnen diese Drohkulisse verbieten wollen. Ihre Botschaft ist klar: Die Erwachsenen machen das unter sich aus; UN-Vertrag hin oder her. Diesen herablassenden Umgang sind afrikanische Länder und Menschen, aber auch generell arme Länder und Menschen von den Mächtigen tatsächlich gewohnt. Nur war die Gefahr eines Dritten Weltkriegs selten so groß wie heute.
Hinzu kommt, dass afrikanische Studierende, die in den letzten Tagen aus der Ukraine flüchteten, von Diskriminierung an der Grenze zu Polen berichten. Sie fühlen sich demnach in der EU weniger willkommen als Weiße auf der Flucht.
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