Kriegsmüdigkeit ohne Aufstand für Frieden: Beobachtungen nach zwei Jahren Ukraine-Krieg
Eindrücke nach zwei Jahren Ukraine-Krieg: Streit um Nawalny, weniger Unterstützung für Kiewer Truppen auf deutschen Straßen und eine Leerstelle. Ein Kommentar.
Das Blumenmeer gegenüber der russischen Botschaft in Berlin ist nicht zu übersehen. Es erinnert an den kürzlich unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Er war das Symbol für ein Russland ohne Putin.
Nationalismus: Warum Nawalny für viele Ukrainer kein Held ist
Aber wie steht die ukrainische Community zu ihm? Bei den ersten spontanen Protesten nach Nawalnys Tod schien es noch, als würde sein Tod russische Oppositionelle und die ukrainische Community verbinden. Schließlich hatte sich Nawalny in den letzten Jahren kritisch zum Einmarsch Russlands in die Ukraine geäußert.
Allerdings ist zumindest bei Teilen der ukrainischen Community nicht vergessen, dass Nawalny als russischer Ultranationalist seine politische Arbeit begann. Das zeigte sich bei der Diskussion um die Benennung einer Straße in Berlin nach Nawalny, die von der ukrainischen Community mit Verweis auf diesen frühen Nationalismus des russischen Oppositionellen kritisiert wird.
Russische Aggression in Bildern: Kriegsfotos vor der Botschaft
Vor der russischen Botschaft in Berlin ist dann auch die Präsentation der ukrainischen Community von dem Gedenken an Nawalny abgegrenzt zu sehen. Dort sind Fotos über die Zerstörungen zu sehen, die das russische Militär in der Ukraine zu verantworten hat. Ein Schwerpunkt sind von Bomben getroffene Schulen und Kitas.
Lesen Sie auch:
Ein Plakat setzt sich polemisch mit den Organisatoren der Friedensdemonstration am 25. Februar 2023, die dort recht undifferenziert als Putin-Trolle diffamiert werden, auseinander. Doch daran lag es sicher nicht, dass der angekündigte "Aufstand für den Frieden" in diesem Jahr keine entsprechende Fortsetzung fand.
Waffenlieferungen an die Ukraine: Linke in Angst vor Spaltung
Es gab eine Großdemonstration in kleineren Format im Herbst in Berlin. Zum zweiten Jahrestag des russischen Einmarsches gab es verschiedene Aktionen, die alle eines gemeinsam haben: Sie erreichen nicht die große Mehrheit der Gesellschaft, auch nicht der Minderheit der schon politisierten Teile der deutschen Gesellschaft.
Das zeigt sich schon daran, dass bei den großen Demonstrationen gegen Rechts, die es in den letzten Wochen gab, die Frage, wie man zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine steht, weitgehend ausgeklammert wurde. Man wollte keine weiteren Streitpunkte, zumal auch Grüne und SPD wesentlich an der Organisierung vieler der Demonstrationen beteiligt waren.
Schwindende Unterstützung für die Ukraine auf der Straße
Zum Jahrestag zeigte sich nun, dass die Demonstrationen zur Unterstützung der gegenwärtigen ukrainischen Regierung in Berlin wesentlich kleiner waren als im letzten Jahr. So sollen 5.000 Demonstranten teilgenommen haben.
Dabei war die Demonstration als kleine Volksfront angelegt. Schließlich hatten Organisationen und Gruppierungen von Fridays for Future über das Zentrum Liberale Moderne über die Jusos bis zur Berliner Clubcommission unterzeichnet, der nach dem Hamas-Pogrom vom 7. Oktober in Israel vorgeworfen wurde, sich nicht sofort klar an die Seite der Opfer, darunter viele Besucherinnen und Besucher eines Festivals, gestellt zu haben.
Projektion auf russische Botschaft untersagt
Auffallend war auch, dass in diesem Jahr eine Projektion von Fotos auf das Gebäude der russischen Botschaft in Berlin, die auf die Folgen des russischen Einmarschs in der Ukraine aufmerksam machen sollte, von den Behörden mit der Begründung verboten wurde, damit könnte die Würde der russischen Botschaft beschädigt werden.
Die Kritik an dieser Entscheidung ist berechtigt, denn hier wird die Würde eines autoritären, allemal kritikwürdigen Staates über die Meinungsfreiheit gestellt. Im letzten Jahr konnte vor der russischen Botschaft sogar noch ein in der Ukraine eroberter russischer Panzer als Mahnmal gegen den Einmarsch in der Ukraine aufgestellt werden. Damals war der öffentliche Druck auch größer.
Insgesamt zeigt die Anzahl der Demonstranten zum Jahrestag des Einmarsches, dass das Interesse an diesem Thema zurückgegangen ist. Viele haben sich daran gewöhnt, dass nur wenige Hundert Kilometer östlich von Berlin ein mörderischer Krieg tobt.
Kein aktives Ja zu Waffen ist noch kein Nein zum Krieg
Dass sich weniger Menschen dafür einsetzen, mehr Waffen an die Ukraine zu schicken, was ja der Kern des Aufrufs war, ist aber kein Zeichen einer wachsenden Bereitschaft, sich gegen den Krieg insgesamt zu engagieren, geschweige denn eines stärkenden Antimilitarismus.
Im Gegenteil: Wie immer man die Kundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer im vergangenen Jahr beurteilt: Sie hat zumindest die Debatte über unterschiedliche Wege, den Krieg zu beenden, gefördert.
In diesem Jahr gab es diese Debatte in viel geringeren Maße, weil eben ein Streitpunkt fehlte. So demonstrierten am 24. Februar in Berlin verschiedene pazifistische Gruppen für ein Ende des Kriegs und für Verhandlungen. Eine separate Kundgebung veranstaltete die Berliner Friedenskoordination.
Linke Gruppen demonstrierten hingegen im Berliner Stadtteil Lichtenberg unter dem Motto "Stoppt die Kriegstreiber" gegen diejenigen, die in Deutschland den Konflikt in der Ukraine dazu nutzen, um mit einem eigenen Nationalismus wieder kriegsfähig zu werden. Dass diese Kritik mehr als berechtigt ist, zeigten in diesen Tagen die verschiedenen Erklärungen führender Politiker aus Regierung und Opposition.
Neuer deutscher Nationalismus und Kriegspolitik
2024 kommt eine Außenministerin, deren Ukraine-Besuch am Wochenende durch eine russische Drohne verkürzt wurde, nicht mal mehr unter großen Rechtfertigungsdruck, wenn sich herausstellt, dass der Großvater Waldemar Baerbock, auf dessen Schultern sie nach eigenen Worten steht, überzeugter Nationalsozialist war.
Für manche ist die größte Sorge, dass diese Fakten Russland als Propaganda dienen könnten. Hier zeigt sich deutlich: Deutschland will von seiner NS-Vergangenheit nichts mehr hören. Als "Crashkurs in Geopolitik" wird diese neue Kriegsfähigkeit des neuen deutschen Nationalismus dann schöngeredet.
Eine neue Generation von deutschnationalen Historikern liefert die Kriegsgründe für diesen neuen deutschen Nationalismus: Dazu gehört Jan. C. Behrends vom Leibnitz-Zentrum für Zeitgenössische Forschung in Potsdam.
Deutschlands Politik muss beginnen, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzunehmen. Bisher ist unser Zeitalter vom Rückzug der Demokratie und vom Siegeszug autoritärer Regime und Diktatoren geprägt. Diesen historischen Trend gilt es zu stoppen.
Jan C. Behrends, taz
Geschichtsrevisionismus: Die prodeutsche Sicht aus der Ukraine
Dass der neue deutsche Nationalismus auch mit Geschichtsrevisionismus gekoppelt wird, ist nicht verwunderlich. Doch noch sind es ukrainische Autorinnen und Autoren, die ganz unbefangen erklären, dass es historisch immer fatal war, wenn Russland gesiegt hat.
Da wird dann auch das Datum 1945 genannt. Im Umkehrschluss heißt das, der Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland, der ohne die Rote Armee nicht stattgefunden hätte, war negativ. Eine solche Position ist bei den Erben jenes prodeutschen Nationalismus in der Ukraine nicht verwunderlich.
Sie kooperierten mindestens bis 1945 zeitweise mit dem NS und flohen vor der Roten Armee in das zusammenbrechende Hitler-Deutschland. Leider wird auch diese besondere deutsche Kritik des Nationalismus und Geschichtsrevisionismus in weiten Kreisen der Linken heute nicht mehr geleistet.
Das ist auch ein Grund dafür, dass ein Buch wie "Nur Lumpen werden überleben" von Gerald Grüneklee, das aus anarchistischer Perspektive eine Kritik des deutschen, russischen und ukrainischen Nationalismus leistet, gerade zum zweiten Jahrestag des russischen Einmarsches in der Ukraine mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Linke Solidarität: Kleine Lichtblicke in dunklen Zeiten
Drei positive Beispiele für eine linke Solidarität zwei Jahre nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine seien am Schluss genannt: Die libertäre Gruppe Perspektive Selbstverwaltung organisiert eine Spendenkampagne zugunsten anarchistischer Initiativen in Russland, die gegen den Krieg in der Ukraine kämpfen.
Der Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West ließ auf einer Veranstaltung im Berliner Haus der Demokratie Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus der Ukraine zu Wort kommen, die berichteten, dass sie neben dem russischen Angriff auch mit den Angriffen des ukrainischen Kapitalismus auf ihre Rechte und ihre Organisationen konfrontiert sind.
Es gibt auch eine Spendenkampagne für humanitäre Unterstützung der ukrainischen Gewerkschaften. Schließlich sollte die Kampagne für die Unterstützung der Militär- und Kriegsdienstverweigerer auf allen Seiten noch mehr unterstützt werden. Zum Jahrestag der russischen Invasion kritisierten pazifistische Gruppen, dass Asylbegehren russischer Kriegsdienstverweigerer noch immer abgelehnt werden.