Kriminalstatistik und Migration: Was sagen diese Zahlen wirklich?

Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger erhitzt die Gemüter. Um erwiesene Schuld geht es aber in einer anderen Statistik. Wie viele Fälle gelten als aufgeklärt?

Offiziell vorgestellt wird die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) erst am morgigen Dienstag, doch ein Vorabbericht der Welt am Sonntag sorgt schon jetzt für Wirbel: Fast sechs Millionen Straftaten sind demnach im vergangenen Jahr bundesweit gemeldet worden, genau genommen 5,94 Millionen. Das entspricht einem Anstieg um 5,5 Prozent.

Gewaltkriminalität steigt auf 15-Jahres-Hoch

Dem Bericht zufolge gab es 2023 so viele Fälle von Gewaltkriminalität wie seit 15 Jahren nicht mehr. 214.099 solcher Delikte wurden demnach in die Statistik aufgenommen. Die Fälle gefährlicher und schwerer Körperverletzung sind demnach um 6,8 Prozent auf 154.541 gestiegen.

Die Zahl der Wohnungseinbrüche stieg 2023 bundesweit auf 77.819 Fälle, ein Anstieg von 18,1 Prozent. Berlin liegt hier mit 8.323 Fällen vorn, was einem Zuwachs von 35,2 Prozent entspricht.

Polizeiliche Kriminalstatistik: Nur 58,4 Prozent aufgeklärte Fälle

Allerdings gelten nur 58,4 Prozent aller erfassten Delikte als aufgeklärt – für den Rest der Verdächtigen gilt streng genommen noch die juristische Unschuldsvermutung. Gerichtsfest abgeschlossene Fälle werden in der PKS, sondern in Rechtspflegestatistik erfasst, die für 2023 noch nicht erschienen ist.

Zuletzt gab es deutlich weniger als eine Million Verurteilte pro Jahr, davon knapp ein Viertel aufgrund von Verkehrsdelikten, die in der aktuellen innenpolitischen Debatte kaum eine Rolle spielen.

Unterdessen wird über die vorab veröffentlichten PKS-Zahlen zur Herkunft der Tatverdächtigen heftig diskutiert: 41 Prozent der Beschuldigten waren demnach 2023 ohne deutschen Pass – ein Anstieg um 18 Prozent – davon 44 Prozent "Zuwanderer".

Zwei Kategorien von Nichtdeutschen: Wer gilt als Zuwanderer?

Laut Festlegungen der PKS gilt eine tatverdächtige Person "als Zuwanderer/Zuwanderin, wenn sie mit dem Aufenthaltsanlass 'Asylbewerber/-in', 'Schutzberechtigte/-r und Asylberechtigte/-r, Kontingentflüchtling', 'Duldung' oder 'unerlaubter Aufenthalt' registriert wurde". In diesem Personenkreis wurde ein Anstieg der Tatverdächtigen um 30 Prozent festgestellt.

Diese Differenzierung wird in der öffentlichen Debatte allerdings nicht immer vorgenommen. Dabei fallen die Opfer oft in dieselbe Kategorie: Bekannt ist, dass es in Sammelunterkünften für Asylsuchende, wo viele verschiedene Nationalitäten auf engem Raum ohne Privatsphäre und Beschäftigung aufeinander treffen, häufig zu Gewalt kommt.

Mehr kriminelle Energie oder Leben im Ausnahmezustand?

Aus der Sicht von Flüchtlingsräten spricht das eher gegen diese Art von Unterkünften als für eine erhöhte kriminelle Energie der Insassen und "Ausländer raus".

Der Kriminologe Tobias Singelnstein kritisiert unterdessen, dass die Kategorie "Nichtdeutsche" sehr viele unterschiedliche Gruppen zusammenfasse, "die praktisch nichts miteinander zu tun haben" – Geflüchtete ebenso wie Touristen und Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebten.

Es gibt darunter auch Teilgruppen, die besonders angepasst sind, also deutlich seltener von der Polizei erfasst werden als Deutsche. Man muss die Aussagekraft dieser Kategorie also grundsätzlich in Zweifel ziehen.

Prof. Tobias Singelnstein, Rechtswissenschaftler und Kriminologe

Nicht zu verwechseln: Schwere und gefährliche Körperverletzung

Auch müsse die Kategorie "Gewaltkriminalität" differenzierter betrachtet werden, so Singelnstein. Ein Anfängerfehler, der für Presseleute teuer werden kann, wenn Angeklagte namentlich genannt werden, ist die Verwechslung von schwerer und gefährlicher Körperverletzung.

Schwere Körperverletzung bedeutet bleibende Schäden wie etwa Verlust oder Lähmung eines Körperteils, dauerhafte und erhebliche Entstellung, Verlust des Seh-, Hör- oder Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit.

Bei einer gefährlichen Körperverletzung ist das nicht der Fall – sie wird durch die Tatmittel und deren theoretisches Verletzungspotenzial definiert.

Eine Trillerpfeife, das ist die eine wichtige Erkenntnis dieser Verhandlung vor dem Amtsgericht, kann zu einer Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung führen. Nicht jedoch, weil sie als Waffe gelten würde, sondern vielmehr, weil sie ein "gefährliches Werkzeug" ist.

Aus einem Bericht der Rheinischen Post über einen eskalierten Nachbarschaftsstreit von 2022

Sexualdelikte: Großes Dunkelfeld, wenig Verurteilungen

Mitunter wird aber aus einer Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung eine Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung.

Im Bereich der Sexualdelikte sind Verurteilungen besonders selten – was von großen Teilen der Öffentlichkeit je nach Täterherkunft oder Sympathie im Fall prominenter Tatverdächtiger höchst unterschiedlich bewertet wird.

Kriminologinnen und Kriminologen gehen allerdings von einem großen Dunkelfeld aus – also von zahlreichen Taten, die weder in der PKS noch in der wenig beachteten Rechtspflegestatistik landen, weil sich Betroffene der schwierigen Beweisaufnahme nicht aussetzen wollen.