Kritik an Siedlungen und Besatzung

Weltweit protestieren auch jüdische Organisationen gegen die Politik der israelischen Regierung

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Die beklemmenden Bilder gingen um die Welt. Israelische Soldaten schossen gestern Tränengasgranaten in eine Gruppe von Friedensaktivisten, die bei Ramallah friedlich eine Militärsperre durchbrechen und der eingeschlossenen palästinensische Bevölkerung Nahrungsmittel und Medikamente bringen wollten. Neben anderen Organisationen hatte die binationale Gruppe Taayush (Zusammenleben) hatte über das Internet zu dieser Karawane in die besetzten Gebiete aufgerufen.

"Was passiert genau hinter dem Kalandia-Checkpoint?", hieß das Motto der Aktion, die vom israelischen Militär mit Knüppeln und Tränengas gewaltsam gestoppt wurde. Die aus 2000 jüdischen und palästinensischen Aktivisten bestehende Gruppe wollte sich über die Situation der vom israelischen Militär eingeschlossenen Zivilbevölkerung in den palästinensischen Gebieten informieren, sowie Medikamente und Lebensmittel zu den verzweifelten Menschen transportieren.

Schon in der Vergangenheit wurden einige der Taayush-Menschenrechtler von Passanten tätlich angegriffen, als sie in Tel Aviv Geld für die Karawane gesammelt haben. Doch mit dem offenen Krieg in den palästinensischen Gebieten werden die demokratischen Grundrechte in Israel eingeschränkt. Auch der innerisraelische Rassismus, gegen die palästinensische Minderheit, die ca. 20 % der israelischen Bevölkerung ausmacht, ist gewachsen. Daher gehört neben dem Kampf gegen die Besatzung das Eintreten für die Gleichberechtigung aller in Israel lebenden Menschen zu den Hauptzielen von Taayush. Die Organisation hatte sich im Herbst 2001 gegründet, als 13 palästinensische Israelis bei einer Demonstration erschossen wurden. "Taayush heißt Zusammenleben. Unsere Zusammenarbeit kann zum Modell für die ganze Region werden", erklärte Taayush-Aktivistin Ros Amir.

Peace Now plant zusammen mit anderen Friedensaktivisten weitere Demonstrationen in den nächsten Tagen. In einer Erklärung von Peace Now heißt es: "Die Entscheidungen und Aktionen der Regierung gefährden Leben und schützen es nicht. Kritisiert werden aber auch diejenigen auf der palästinensischen Seite, die "direkt oder indirekt für den Terror verantwortlich sind, der jede Möglichkeit für eine Koexistenz zerstört."

Die Aktivisten sind auch in Israel nicht allein. Seit der neuerlichen Besetzung der palästinensischen Gebiete organisierten verschiedene israelische Friedens- und Menschenrechtsgruppen täglich Antikriegsaktionen. Auch Intellektuelle gehen zur Regierung auf Distanz. So machte der israelische Filmemacher Avi Mograbi in einem taz-Artikel die Politik des israelischen Ministerpräsidenten Scharon für die Lage im Nahen Osten verantwortlich.

"Es ist verrückt, aber niemand erwähnt noch, dass die Siedlungen in den besetzten Gebieten selbst Kriegsverbrechen sind. Nach der vierten Genfer Konvention, Artikel 49, dürfen durch die Besatzermacht Zivilisten nicht vertrieben oder deportiert werden und keine eigene Zivilbevölkerung angesiedelt werden", schreibt Mograbi, dessen Film 'August' auf der letzten Berlinale prämiert wurde.

Wie er denken viele jüdische Menschen weltweit. Mit einer spektakulären Aktion hat eine Gruppe antizionistischer Rabbiner während des jüdischen Purimfestes, das mit den Osterfeiertagen zusammenfällt, gegen die israelische Politik protestiert. In mehreren europäischen, amerikanischen und israelischen Städten verbrannten die Rabbiner Ende Februar israelische Fahnen.

"Mit dem Verbrennen der Fahnen machen wir öffentlich deutlich, dass der israelische Staat die jüdischen Menschen in aller Welt nicht repräsentiert und dass die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung dem Grundgedanken der jüdischen Religion total widerspricht", erklärte Rabbi Yisroel Dovid Weiss den Hintergrund.

Diese von religiösen Motiven getragene Aktion ist vielen säkularen Israelis fremd. Sie setzen sich für einen binationalen Staat im Nahen Osten ein. Politische Beobachter sehen die Zustimmung zur israelischen Politik bei den jüdischen Gemeinden in aller Welt im Schwinden. Doch viele jüdische Menschen schrecken vor konkreten Aktivitäten zurück. Dazu tragen sicher auch antisemitische Aktionen bei, die im Windschatten der zugespitzten Lage im Nahen Osten zugenommen haben. Gerade Brandanschläge auf Synagogen, wie in den letzten Tagen in Frankreich und Belgien, treffen besonders die Juden, die sich für eine Integration in ihren Heimatländern und einen binationalen Staat im Nahen Osten einsetzen.