Künstliche Intelligenz: Weder Fluch noch Segen

Seite 2: Marketing wird noch "schlauer" – und verschärft den Wettbewerb

Ein wichtiges Kampfmittel in diesem Wettbewerb ist das Marketing. Daten sammeln, um zu wissen, wie die Kunden, und solche, die es werden sollen, leben, lieben und welche Wünsche, Sorgen, Probleme und Ziele sie beschäftigen – das geben die Sozialen Medien von Facebook bis TikTok her. Algorithmen analysieren das Verhalten der Internet-Nutzer, schneiden auf sie Informationen und vor allem Werbung zu.

Künstliche Intelligenz optimiert dieses Verfahren:

KI-Technologien können dabei helfen, Trends und Entwicklungen in sozialen Medien frühzeitig zu erkennen und zu analysieren. Unternehmen können diese Informationen nutzen, um ihre Marketingstrategien anzupassen und auf Veränderungen im Markt oder im Nutzerverhalten rechtzeitig zu reagieren. Durch den Einsatz von KI-gestützten Analysewerkzeugen können Unternehmen ihre Marktforschung optimieren und wertvolle Erkenntnisse über ihre Zielgruppen gewinnen." capinio

Mit Chatbots sparen sich Unternehmen die Bereitstellung von menschlichen Ansprechpartnern für Kundenfragen. KI im Chatbot simuliert Kundennähe und antwortet in ganzen und meist normal klingenden Sätzen. Natürlich werden die Gespräche ausgewertet und auf weitere Chancen geprüft, die Beziehung zum Fragenden zu verstärken zum Beispiel in Richtung weiterer Käufe oder zumindest der Bestellung eines Newsletters.

Mit den maschinell unterstützten Erkenntnissen treffsicher genau die Leute erreichen, die für das jeweilige Angebot ansprechbar sind, im Idealfall sie sogar zu Fans machen, per Dialog erfahren, wie das Produkt noch besser gemacht werden kann, die Werbung in den richtigen Kanälen in der richtigen Tonlage ausspielen usw.: All das schaffen die Super-Rechner von wenigen Konzernen, die ihre Leistung den interessierten Unternehmen für ihren täglichen Kampf um die Gunst der Kunden und damit um Gewinn zur Verfügung stellen.

KI löst also das Problem von Unternehmen, noch mehr über die Käuferschaft zu erfahren, um noch mehr Kaufkraft auf sich zu ziehen – gegen die Konkurrenz. Und dafür erwarten die Problemlöser der KI-Anbieter von OpenAI & Co einen ordentlichen Anteil am Erlös.

Jobs werden entwertet oder überflüssig gemacht

Für viele weitere Probleme von Firmen entfaltet die KI Lösungspotenziale. Zum Beispiel den Aufwand für die Buchhaltung zu verringern wie gleichfalls für die gesamte Verwaltung und die Logistik. So berichtete Telepolis Anfang Mai:

Wie nun bekannt wurde, will der US-Konzern IBM künftig Tausende Jobs von Maschinen erledigen lassen. Frei werdende Stellen in den Verwaltungsbereichen sollen nicht mehr oder nur verlangsamt neu besetzt werden, erklärte IBM-Chef Arvind Krishna gegenüber dem Finanzdienst Bloomberg. In den betroffenen Bereichen arbeiten bislang etwa 26.000 Menschen. "Ich könnte mir gut vorstellen, dass 30 Prozent von ihnen in einem Zeitraum von fünf Jahren durch KI und Automatisierung ersetzt werden", so Krishna. Insgesamt könnte das den Verlust von etwa 7.800 Arbeitsplätzen bedeuten.

Laut dem Konzernchef sollen hauptsächlich alltägliche Aufgaben, wie das Erstellen von Arbeitsnachweisen, vollständig automatisiert werden. KI könnte auch zum Einsatz kommen, wenn Mitarbeiter in andere Abteilungen des Unternehmens wechseln. Einige Funktionen im Personalbereich, wie Arbeits- und Produktivitätsplanung, könnten wohl vorerst nicht von Maschinen übernommen werden. Krishna geht davon aus, dass es im Laufe des kommenden Jahrzehnts wohl nicht möglich sein wird.

Bernd Müller

Die bei zahlreichen Berufen zu findenden geistigen Fließbandarbeiten erlauben es, sie durch eine Rechenmaschine zu ersetzen. Natürlich nur dann, wenn es sich nach kapitalistischem Maßstab lohnt, also die Leistung der Maschine die des Menschen übersteigt.

Bei IBM soll KI die Personalkosten senken, da sie unter anderem das stupide Ausfüllen von Arbeitsnachweisen übernehmen kann. Dass die so von dieser Fron befreiten Beschäftigten eine spannendere und womöglich nicht so verdummende Tätigkeit stattdessen erhalten, darf tunlichst bezweifelt werden. Sie dürften sich eher nach einem neuen Job umsehen müssen.

Welche Talente KI im Laufe ihrer weiteren Perfektionierung noch entwickelt, um in der kapitalistischen Produktion für steigenden Ertrag bei weniger Kosten zu sorgen, ist derzeit für die interessierte Unternehmerschaft sehr spannend. Alle Bereiche werden durchforstet, wo die neue Technik ihre segensreiche Wirkung entfalten könnte.

Einerseits will man nicht gegenüber dem Wettbewerb abgehängt werden, andererseits auch nicht als Experimentierfeld für Künstliche Intelligenz dienen, mit dem Risiko teuren Scheiterns.

Für die betroffenen Beschäftigten verheißt all dies nichts Gutes. Durch KI werden sie nicht weniger arbeiten müssen, geschweige denn mehr Geld verdienen. Vielmehr werden sie in der Ausbildung und Umschulung den Umgang mit der neuen Technik zu erlernen haben und hoffen dürfen, weiter beschäftigt zu werden. Auf dass sie noch produktiver arbeiten – oder, weil auf sie verzichtet werden kann, die Personalkosten ihres Unternehmens senken. So wird KI – wie jede Technik im Kapitalismus – angewendet: als Hebel für Erfolg in der Konkurrenz, für mehr Gewinn.

Die Frage nach "Fluch oder Segen" von künstlicher Intelligenz, nach dem "einerseits" und "andererseits" der neuen Technik, ignoriert die maßgeblichen Akteure und macht alle mit ihr Arbeitenden und von ihr Betroffenen gleich.

Doch den einen bieten sich handfeste Vorteile, den anderen droht erheblicher Schaden. Vom Himmel auf diese verschiedenen Gruppen herab regnende "Flüche" beziehungsweise "Segen" gibt es nicht. Die Rede davon genügt aber: Sie lenkt von den Zielen der Entwickler und Anwender ab und blendet den Rest mit der Vision einer schönen neuen Welt.