Kulturelle Aneignung – was geht, was nicht?
- Kulturelle Aneignung – was geht, was nicht?
- Missbrauch von kultureller Symbolik für politische Zwecke
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Müssen wir das jetzt auch noch canceln? Kulturelle Aneignung ist Gegenstand erbitterter Debatten und löst im Alltag vor allem Verunsicherung aus. Ein Kommentar.
Die Organisatoren eines Klimastreiks in Hannover wollten Fehler um jeden Preis vermeiden. Deshalb luden sie eine bereits eingeladene Künstlerin kurzfristig wieder aus – weil sie Dreadlocks trug. Aber eine weiße Hautfarbe hat.
Dreadlocks galten den Veranstaltern als Zeichen der Widerstandsbewegung farbiger Menschen in den USA. Auch in Bern wurde ein Reggae(!) Konzert wegen Dreadlocks abgebrochen.
Über solche Vorgänge berichtete vor einiger Zeit eine ratlos wirkende Kollegin im Freitag. Sie diskutierte die Sache mit ihrem Sohn und heraus kam – Verwirrung:
Ich (...) habe ein schlechtes Gewissen: Woher will ich so genau wissen, was richtig ist, wenn ich so wenig Ahnung habe? (…) Sind Dreadlocks kulturelle Aneignung? Wenn ja: Wann sind sie ein Fehler, wann verwerflich? Und: Wer hat darüber zu befinden?
Zur Frage dieser speziellen Modeerscheinung ist es ausnahmsweise wahnsinnig nützlich, einen Blick in die wikipedia zu werfen. Dort erfahren wir unter dem Stichwort Dreadlocks nicht nur, dass diese auch in Indien und im Islam durchaus üblich waren und sind. Auch in Europa kamen die filzigen Matten immer wieder mal Mode:
Daraus ist zu schließen, dass Moden kommen und gehen und es im Zweifelsfall nicht wert sind, zu politischen Grabenkämpfen missbraucht zu werden.
Moden kommen und gehen
Deshalb ist mit der Autorin im Freitag zu fragen, wie weit das gehen kann und wer eigentlich entscheidet. Wenn Dreadlocks angeblich ein Symbol unterdrückter Schwarzer sind, muss man auf den Baumwollfedern im Süden der USA geschuftet haben, um Blues spielen zu dürfen?
In Kiel wurde tatsächlich ein Musiker gecancelt, weil er es gewagt hatte, ein von den australischen Ureinwohnern erfundenes Didgeridoo spielen zu wollen. Was soll das? Wird es künftig Österreichern vorbehalten bleiben, Walzer zu spielen und zu tanzen, während Tango, Rumba, Cha-Cha-Cha und Salsa exklusiv für Lateinamerikaner reserviert bleiben?
Hochkultur und erwünschte kulturelle Aneignung
Spaß beiseite. Gerade in der Hochkultur ist kulturelle Aneignung weitverbreitet. Impressionismus, Expressionismus und die klassische moderne Malerei haben ganz erhebliche Bereicherungen durch Anregungen aus Afrika, Asien und der Südsee erfahren.
Auch die Komponisten klassischer Musik griffen ganz selbstverständlich auf Volkslieder und -tänze zurück. Dazu zählen unter anderem Brahms, Haydn und Mozart oder Tschaikowski. Und so wie bei diesen Granden der europäischen Musiktradition wird kulturelle Aneignung fast immer durch Wertschätzung ausgelöst.
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Und was ist mit erwünschter kultureller Aneignung und Kulturexport? Männer, die auf einen jüdischen Friedhof gehen, sollen ihren Kopf bedecken; Frauen, die eine Moschee betreten, auch. Menschen, die eine fernöstliche Kampfsportart ausüben, tragen passende Klamotten und machen die dazugehörigen Verbeugungen. Was ist mit Yoga, Meditation?
Kulturelle Aneignung ist also ein überaus selbstverständlicher Vorgang, der allerdings wahlweise von verschiedenen Gruppen zu bestimmten Anlässen als falsch, rückschrittlich oder rassistisch diskreditiert wird ‒ oder eben nicht.