Kunde hat Pflichten

Neben der Spur: Wie die Schweizer COOP langsam aber sicher die Geduld verliert

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Ein merkwürdiger Kundenbrief im April 2007 der Coop.ch an seine Kunden lässt aufhorchen. Da wird nach einer letzten Änderung der Lieferkonditionen vor einem halben Jahr davon gesprochen, dass „nun eine weitere Anpassung“ erfolgen muss. Zusammengefasst lesen sich diese Modifikationen für den Kunden in etwa so: Bestelle viel, öfter und zahle trotzdem mehr. Ein interessantes CRM Projekt im Internet. Seien wir preisbewusst und staunen wir.

Man stelle sich einmal folgende Szene im Supermarkt vor: Der Kassierer schaut in den sorgsam zusammengestellten Einkaufskorb und schüttelt dann den Kopf. Leider nein, das sei zu wenig. Nicht einmal 75 EUR. Bitte noch einmal ab in die Wurstabteilung.

Der Kunde stutzt, ist aber lieb und kommt noch mit zwei weiteren Flaschen Wein zurück. Uff, das macht nun gerade soviel, dass ihn die angestellte Kraft zu sich durchwinkt, abrechnet und lächelnd noch einmal zwölf EUR obendrauf schlägt. Da sagt der Kunde: Moment, ich habe doch schon selbst die Waren aus den Regalen geholt und hierher geschleppt. Zudem ist die Butter die teuerste im Land und der Warenkorb voller Dinge, die man sicher in einem anderen Supermarkt auch bekommt. Da zuckt der Verkäufer nur kalt lächelnd mit der Schulter und sagt, man solle dann eben für 350 EUR und mehr einkaufen. Dann ließe sich über den Preis reden. Oder aber der Kunde kommt schon vor Ablauf von drei Wochen wieder. Dann stunde man zwei EUR. Dem Kunden geht der Hut hoch, das sei ja halsabschneiderisch. Auch hier bleibt der Verkäufer locker. Schließlich sei es ja ein Service, dass man den ganzen Tag passgenau für alle aufhabe und dann auch wirklich jemand an der Kasse sitze. Außerdem würden die Mehrkosten wegfallen, sollte der Kunde nur Alkohol kaufen. Kopfschüttelnd verlässt dieser nun ohne Waren den Supermarkt. „Ich bin doch nicht blöd.“ Dieses Mal aber wirklich.

Klingt wie ein Kasperltheater, ist aber so, wenn man seit dem 1. Mai bei der COOP.CH einkaufen will. Unter 100 CHF geht gar nichts mehr, danach nur noch mit 18 CHF Aufgebühr. Die Lieferkosten, tja. Aber drei CHF würde man weniger verlangen, wenn ein Kunde schon früher als nach drei Wochen wiederkomme. Dankeschön.

Als Grund gibt das Schreiben an Kunden an, dass man überrascht worden sei von 63 Prozent mehr Bestellungen unter 100 CHF; sogar von 180 Prozent mehr unter 150 CHF. Und das sei nicht kostendeckend. Heißt in anderen Worten: Wir machen Umsatz, darauf waren wir nicht vorbereitet.

1996 veröffentlichte AOL eine Zahl, nach der ein User bei Geringpreisprodukten nicht bereit ist, mehr als 100 USD im Netz für E-Commerce auszugeben. Warum sollte sich das geändert haben? Rolf Zeller, unterschreibender „Leiter coop@home“ gibt ja auch zu, man habe sich verkalkuliert. An den Lieferkosten. Oder an der ganzen Supply Chain? So ist es heute schon nicht möglich, mehr als zwei Träger Getränke zu bestellen. Und die Verpackungsorgie der PER HAND zusammengestellten Waren kann sich sehen lassen. Aber: Die Austräger stehen tatsächlich bis auf 30 Minuten genau vor der Türe und liefern aus. Keine Ahnung, ob darauf wirklich jemand Wert legt.

So schön kann man die Hosen vor seinen Kunden herunter lassen. Da hat ein Food-Konzern seine Logistik nicht im Griff und wälzt die Preise einfach auf die Kunden ab. Bestraft auch die, welche einfach nicht dreimal die Tiefkühl-Pizza bestellen wollen. Im besten Fall kann man der COOP bescheinigen, mehr an sich als an seine Kunden zu denken. Auf jeden Fall legt der Online-Supermarkt keinen Wert mehr auf Wenigesser. Forenkommentare an anderer Stelle schlagen zu Recht vor, einfach die 18 CHF in ein Taxi zu investieren. Das ist aber sicher zu kurz gedacht.

Wir laden die COOP.CH einfach zum Essen ein. Zum Beispiel über www.mosi.ch. Dort werden auch dreißig CHF als Mindestgebühr zu entrichten sein. Aber die Lieferung kostet fünf CHF. Warmes Essen wohlgemerkt. Einzeln gefertigt und angeliefert an die Haustür. Auf Zuruf. Wie machen die das nur? Es kann sogar vorkommen, dass einzelne Restaurants ihr Essen teurer vor Ort anbieten als an der Haustüre. Nun, die Antwort lässt nachdenken: Schließlich spart man an Bestellkunden ja die Miete für den Gastraum und das Service-Personal.

Richtig, da war noch etwas. Online-Supermärkte sparen ja Verkaufsfläche. Eine Lagerfläche reicht. Das Personal an der Kasse fehlt. Das müsste sich ja eigentlich ausgleichen. Tut es aber scheinbar nicht. Und der Konkurrent www.leshop.ch will immerhin noch 12.90 CHF bei Lieferungen bis 95 CHF. Nun fragt man sich: Belebt hier Konkurrenz in Zukunft das Geschäft? Der Anteil an Online-Bestellungen macht bei der MIGROS (dem Betreiber von LeShop) mit 50 Millionen CHF Umsatz im Jahr gerade mal etwa 0.3 Prozent aus. Nicht berauschend. Und deshalb gibt es weder hier noch bei der COOP wirklich einen Grund, in einen Preiskampf zu gehen. Der Shop muss sich tragen. Wie der Verlauf durch Automaten oder durch einen Kiosk auf der Alm. Und weil die einen nicht interessiert sind und die anderen nicht angeregt, passiert da auch weiterhin nichts.

Vermutlich kommt in einem halben Jahr wieder ein Schreiben. Es tue einem so leid, aber die Kosten seien leider schon wieder gestiegen und man müsse jetzt schon die ganze Sau und nicht das Schnitzel kaufen. Dann kommt man sich vor, als würden zwei Ölscheichs die Verbraucherzentrale Bayern-Süd übernehmen und dort für billigen Diesel ihr Bestes tun. Marktwirtschaft ist immer interessant.