Lässt sich das Internet wirksam von autoritären Staaten kontrollieren?
Ein Bericht über die Kontrolle des Internet in China und Kuba will den Glauben widerlegen, dass das Internet eine demokratisierende und subversive Wirkung hat, aber geht auf vergleichende Weise vereinfacht vor
Medien und Telekommunikation sollen die Klammer von autoritären Regimes aufbrechen und deren Zensur unterlaufen. Gesehen habe man das beim Zusammenbrechen des Ostblocks. Medien sollen nicht nur Löcher in die Mauern geschlagen haben, so dass der Blick der "Eingesperrten" auf die verlockende Güter- und Freizeit- oder Freiheitswelt gehen konnte, sondern auch durch Schneeballeffekte die Freiheitsbewegungen im eigenen Land verstärkt haben. Viele sehen im Internet ein nicht letztlich zu bändigendes Medium der Meinungsfreiheit und des freien Informationsflusses, das allmählich Herrschaftsstrukturen in Ländern aufbricht, die sich hinter Mauern einschließen wollen. Falsch, zumindest mittelfristig, meint ein Bericht provokativ, der die Verhältnisse in China und Kuba untersucht. Aber was will er uns letztlich sagen?
Richtig schlau wird man aus dem Arbeitspapier "The Internet and State Control in Authoritarian Regimes: China, Cuba and the Counterrevolution" der Journalistin Shanti Kalathil und von Taylor Boas, Mitarbeiter des Carnegie Endowment for International Peace, das die Studie auch veröffentlicht hat, nicht werden. Ziemlich banal heißt die These, dass man zwar nicht wissen könne, wie sich das Internet auf die Politik langfristig auswirkt, aber dass es nicht schlagartig geschlossene Gesellschaften mit eingeschränkten Menschenrechten und mangelnder Meinungsfreiheit öffnet. Aber wer hat dies auch so gesagt? Die autoritären Staaten versuchen entweder den Gebrauch des Internet möglichst zurückzudrängen, wie das unlängst wieder das Internetverbot in Afghanistan gezeigt hat, oder ihn zu kontrollieren. Sicher machen sie das, die interessante Frage aber ist, mit welchem Erfolg? Und lassen sich schon jetzt, nachdem das Internet bestenfalls erst ein paar Jahre lang Eingang in die meisten autoritär regierten Staaten gefunden hat, Schlüsse ziehen? Ist überdies das Internet nicht nur für autoritäre Systeme, sondern für jedes System gefährlich? Kommunizieren und organisieren können sich damit jedenfalls nicht nur Befürworter der Demokratie und der Meinungsfreiheit, sondern auch die Feinde der Demokratie oder Kriminelle.
Aber auch wenn man nur bei der wohl zu einfach gestrickten These der Autoren bleibt, die sich gegen die Blauäugigkeit der Interneteuphoriker wenden und zeigen, welche Kontrollbemühungen autoritäre Regimes durchführen, so bleibt auch auf andere Weise der "Beweisgang" äußerst fraglich bzw. nur eine Provokation. Beispielsweise haben sowohl in China, das eine offensive Internetpolitik betreibt, als auch in Kuba, das den Zugang möglichst beschränken will, erst eine verschwindend geringe Zahl an Bürgern überhaupt die Möglichkeit, das Internet zu benutzen. In China sind nach amtlichen Schätzungen um die 26 Millionen Menschen von mehr als einer Milliarde Internetbenutzer, die erste Verbindung mit dem Internet wurde über eine Universität 1993 eingerichtet. Die Internetcafes, durch die viele Menschen und vor allem Jugendliche einen schwierig zu kontrollierenden Internetzugang erhalten, sind eine späte Erscheinung und werden im Augenblick dementsprechend kontrolliert. Gerade erst wurden wieder Tausende von Internetcafes nach einer landesweiten Überprüfung wegen angeblicher Sicherheitsmängel geschlossen. Das ist ein Zeichen für die (noch) bestehende Macht, zeigt aber auch, dass sich untergründig hier einiges tut und die Regierung auf Einschüchterung setzt. In Kuba haben wahrscheinlich nur 60.000 Menschen von insgesamt 11 Millionen Einwohnern einen Internetzugang. Erst 1996 wurde die erste Verbindung mit dem Internet eingerichtet. Es gibt kaum Internetcafes, die noch dazu scharf kontrolliert werden.
Ein Massenmedium wie in den westlichen Ländern ist das Internet hier wie in den meisten anderen autoritären Ländern nicht, was mit der technischen Rückständigkeit und des geringeren Wohlstands, aber eben auch mit der Politik des Regimes selbst zu tun hat. Zumindest scheint es eine Verbindung zwischen der Angst der Machthaber vor den neuen Medien und der tatsächlich möglichen Benutzung des Internet zu geben. Je autoritärer ein Staat ist, desto geringer ist normalerweise auch die Internetnutzung (Burma, Irak, Laos, Afghanistan ...). Man könnte also vermuten, dass den Autoren des Berichts, wenn sie provokativ sicher die oft ebenfalls überzogenen Erwartungen an die Technik kritisieren - die vereinfachte Gleichung Internet=Demokratie ähnelt nicht nur der altbekannten Gleichung Marktwirtschaft=Demokratie, sondern wird auch meist im Sinne dieser neoliberalen Ideologie gebraucht -, ein Wunschdenken eigen ist, das schnell in Frustration umschlägt und unserer Konsum- und Mediengesellschaft innewohnt: Wenn etwas nicht gleich seine Wirkung zeigt, ist es zu nichts nutze.
Letztlich läuft die technikutopische Vorstellung darauf hin, dass die globalen Informationsflüsse Grenzen niederreißen und dadurch autoritäre Strukturen untergraben, dass dem Internet eine demokratisierende und auch individualisierende Macht innewohnt, die sich, einmal wie der Geist in der Flasche befreit, durchsetzen wird. Die Autoren des Berichts sagen, dass politische Studien bislang "diese herkömmliche Meinung" kaum gestützt haben, während "eine Reihe von Fallstudien aus der ganzen Welt zeigt, dass autoritäre Regimes Möglichkeiten finden, den politischen Einfluss der Internetbenutzung zu steuern und diesem Widerstand zu leisten". Mit Strategien wie der Beschränkung des Internetzugangs, der Überwachung der Internetnutzung, der Installation von Filtern oder der Benutzung des Internet, um die eigenen Interessen durchzusetzen und zu verbreiten, können, so die These, autoritäre Regierungen die Probleme, die mit dem Internet für sie einher gehen, nicht nur lösen, sondern auch die eigene Macht über das Internet ausbauen.
Wenn die unterschiedlichen Versuche in China und Kuba geschildert werden, das Internet unter Kontrolle zu halten und für die eigenen Zwecke zu nutzen, so stimmt diese Darstellung sicher weitgehend, sagt aber nichts darüber aus, ob und wie tatsächlich durch die kontrollierten und unkontrollierten Informationsflüsse und Kommunikationen nicht längerfristig eine neue Dynamik und eine größere Öffnung eindringt, als dies vor dem Internet der Fall war. Es ist richtig, dass autoritäre Regimes, wenn sie die Möglichkeit dazu hatten, von Anfang an versucht haben, die Einführung des Internet zu kontrollieren. Beide Länderbeispiele zeigen jedoch, dass die Kontrolle des Internet nicht nur unermüdliche Überwachung voraussetzt, sondern dass diese auch bei ansteigender Menge der Internetbenutzer sowie den technischen Möglichkeiten, Filter zu umgehen und anonym zu bleiben, immer schwieriger wird, während beispielsweise politische Organisationen, Menschenrechtsgruppen oder auch Einzelne im Land sowie außerhalb vermutlich immer Wege finden werden, Informationen zu empfangen und zu versenden, auch wenn sie relativ kompliziert sind.
China versucht, die Opposition oder Gruppen wie Falun Gong im Land zu zerschlagen und den Zugang zu Websites von ausländischen Medien oder oppositionellen Gruppen zu blockieren, aber das ist und bleibt eine Sisyphus-Arbeit, die keine vollkommene Zensur erreicht, während die Möglichkeiten der schnellen, unaufwändigen und grenzüberschreitenden Informations- und Kommunikationsflüsse auf jeden Fall größere Löcher in die Grenzen schlagen, als dies mit anderen Medien zuvor möglich war. Auch das Buch hat nicht kausal die Revolution bewirkt, aber die Möglichkeiten, die etwa die Drucktechnik eröffnet hat, waren maßgeblich für die Zirkulation der Ideen und die Ausbreitung einer bestimmten Kultur.
Überdies muss eine Unterminierung autoritärer Regime nicht notwendigerweise mit einer expliziten politischen Opposition einhergehen. Allein die durch das Internet, beispielsweise durch Email, Chats oder Newsgroups eröffneten Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten, die den familiären und lokalen Zwängen entgehen, können eine Sprengkraft entfalten, die letztendlich eine zu starke Kontrolle individueller Freiheiten aufbricht. Deswegen haben gerade Kulturen, in denen wie in manchen islamischen Ländern oder eben in China das soziale Leben noch stark reglementiert ist, am meisten Angst vor dem Internet. Und hier könnten es vor allem die Frauen sein, die das Internet zur eigenen Befreiung benutzen. Auch die permanente Möglichkeit alleine zu sehen, dass es anderswo anders ist, bricht Traditionen und Herrschaftsgefüge langfristig auf.
Die Autoren haben denn auch bei der Aufzählung der Regierungsaktivitäten versäumt nachzufragen, welche Wirksamkeit diese wirklich haben, zumal das, was Menschen trotz Verbote und Zensur machen, nicht gerade in aller Öffentlichkeit geschieht. Und wenn beispielsweise auf das Vorgehen gegen Falun Gong Anhänger oder Lin Hai verweisen wird, der 1999 wegen angeblicher Weitergabe von Emailadressen an Regimegegner in den USA zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, die Nachrichten über Email versenden, dann könnten diese Einzelfälle durchaus nur die Spitze des Eisbergs darstellen.
Sowohl China als auch Kuba zeigen, dass bei allen Kontroll-, Einschüchterungs- und Zensurversuchen die Einführung des Internet zwar aus dem Eigeninteresse des Regimes heraus geschieht, Anschluss an die globale Wirtschaft, Technik und Wissenschaft zu finden, dass aber dieses individualisierte und zweikanalige Massenmedium weitaus schwieriger als die herkömmlichen einkanaligen Massenmedien zu kontrollieren ist und dass es sich verbreiten muss, will man den Anschluss wahren. An dieser Ambivalenz, die Verbreitung des Internet aus ökonomischem Interesse zu fördern und deren Benutzung im Detail kontrollieren zu wollen, werden vermutlich autoritäre Regimes langfristig zerfallen, was ja nicht unbedingt heißen muss, dass aus einem solchen Zerfall demokratische Strukturen entstehen müssen. Lösen sich autoritäre Regimes auf, so lockert sich oft auch, wie man am Fall der Sowjetunion oder Jugoslawiens sehen konnte, die geographische Klammer, die den Staat zusammen hält.
Das Internet ist nur ein, wenn auch mächtiger und wegen seiner Optionen für die Menschen verführerischer Einfluss, der von außen auf Machtstrukturen in einem Land einwirkt. Versuchen autoritäre Staaten eher bestimmte Ideen oder Werte zu kontrollieren, so haben demokratische Staaten zumindest ähnliche Probleme, wenn es um die Zirkulation verbotener Inhalte geht. Solange die Welt plural bleibt und es unterschiedliche Rechtsordnungen gibt, wird man das Internet nicht ganz kontrollieren können, ohne es lahm zu legen oder sich von ihm auszuklinken.
Vermutlich verwirklicht Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban die absolute Kontrolle nicht durch die Kontrolle des Zugangs (Kubas) oder der Nutzung (China), sondern eben gleich durch Abschaffung des Internet, zusammen mit der möglichst weitegehenden Isolierung des Landes und der bis in Einzelheiten gehende Regulierung des Lebens der Menschen (Taliban bauen weiter an der Abschließung des Landes). Fernsehen und Satellitenschüsseln sind schon länger verboten, Telefone gibt es kaum. Um das Böse aus der heiligen Insel zu verbannen sind mittlerweile auch Musikinstrumente, Computer, Videos, Filme und Abspielgeräte für Videos, Filme und Tonbänder, aber auch Bilder von Menschen oder Spielkarten verboten. Unterhaltung ist, wie Machthaber erkannt haben, für ein autoritäres Regime auch subversiv, während diese kapitalistische Systeme mit großen sozialen Ungleichheiten durchaus stützen kann. Jedes System, das eine panoptische Kontrolle zu realisieren sucht, wird notwendigerweise zum geschlossenen Gefängnis, das sich von der Außenwelt und ihren Einflüssen abkoppeln muss. Abgekoppelt ist Afghanistan folglich auch von der globalen Wirtschaft. Nicht nur wegen der Dürre wird das Land immer ärmer und sind immer mehr Menschen mit dem Hunger konfrontiert. Das religiöse Experiment der Taliban ist (hoffentlich) langfristig zum Scheitern verurteilt. Der fehlende Fluss der Waren und Informationen wird zunächst durch den der aus der Armut und dem Gefängnis fliehenden Menschen ersetzt, bis intern die Konflikte explodieren.