Lauschangriff auf den Big Bang

NASA-Sonde MAP soll das Flüstern des Urknalls dechiffrieren und fotografieren

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Nach ihrem Bilderbuchstart am letzten Samstag benötigt die Forschungssonde MAP (Microwave Anisotropy Probe) noch drei Monate, bis sie ihr "Zielgebiet" erreicht. Dann beginnt eine 18-monatige intensive Suche nach dem Ursprung der Materie und den Anfängen des Seins. Genauer gesagt sucht MAP nach Fluktuationen im Urknallecho. Die chiffrierte Botschaft, die sie entschlüsseln muss, verbirgt sich in der Mikrowellenhintergrundstrahlung. Am Ende soll MAP ein genaues Abbild des Universums rekonstruieren, so wie die Welt 300.000 nach dem Urknall ausgesehen hat, als Sterne und Galaxien noch nicht existent waren. Da bisher noch kein so innovatives Observatorium dermaßen tief in die Vergangenheit blickte, sind Überraschungen vorprogrammiert.

Wohl selten hat ein populärer Wissenschaftler das Faszinosum und das Mysterium des Universums so treffend pointiert wie einst Albert Einstein. Sein Aphorismus, den er 1932 zu Papier brachte, gewinnt heute angesichts der kosmoslogischen Paradigmenwechsel, aber auch infolge des esoterischen Booms ungeahnte Aktualität:

Das schönste und tiefste Erlebnis, das der Mensch haben kann, ist das Gefühl für das Geheimnisvolle. Es ist das Grundprinzip der Religion ebenso wie aller ernsthaften Anstrengungen in Kunst und Wissenschaft...Wer diese Erfahrung nie gemacht hat, scheint mir tot oder mindestens blind sein.

In der Tat - es bedarf schon einer gehörigen Portion Ignoranz oder Arroganz, beim Anblick ferner Galaxien- und Sternhaufen, kosmischer Nebel- und Gaswolken, Quasare oder Supernovae und Planeten nicht ins Staunen und Grübeln zu geraten. Warum existiert der uns bekannte Kosmos überhaupt? Woher kam er - wohin geht er? Führt der Big Bang unweigerlich zum Big Crunch oder expandiert der Kosmos bis in alle Ewigkeit? Gibt es eine deterministische Konstante, einen ersten Beweger? Wer sich nicht schon einmal mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat, dürfte zumindest Einsteins Prämisse zufolge entweder völlig phantasielos sein oder nicht mehr unter den Lebenden weilen.

Zu dieser Sorte von Mensch gehören Kosmologen ganz gewiss nicht. Sie widmen sich den großen kosmischen Fragen. Ihr Fachbereich, der zwar philosophisch angehaucht, aber physikalisch geprägt ist, bisweilen sogar religiöse Grenzen streift, konfrontiert sie tagtäglich mit den Rätseln der Welt. Ähnlich ergehen wird es alsbald der NASA-Forschungssonde MAP (Microwave Anisotropy Probe Auch sie sieht sich demnächst einem ungelösten Rätsel gegenüber, das im wahrsten Sinne des Wortes weltbewegend ist - besser gesagt gewesen war.

MAP soll 3-K-Hintergrundstrahlung komplett kartieren

Seit ihrem erfolgreichen Start am Samstag (30. Juni 2001) mit einer dreistufigen Boeing-Delta-Rakete (Typ II-7425-10) vom US-Weltraumbahnhof Cape Canaveral im Bundesstaat Florida befindet sich das 145 Millionen Dollar (172 Millionen Euro/336 Millionen Mark) teure Mikrowellen-Observatorium im Anflug auf den so genannten zweiten Lagrange-Punkt. Dieser 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernte Punkt ist einer von fünf Stellen im All, an denen sich die Schwerkraft von Sonne und Erde dergestalt neutralisieren, dass ein Satellit dort seinen Abstand zur Erde problemlos halten kann.

Wenn MAP dort im Oktober Position bezieht, beginnt ein Lauschangriff der besonderen Art. Innerhalb fünf verschiedener Frequenzbänder, die von 22 bis 90 GHz reichen, wird das Mikrowellen-Teleskop während der nächsten 18 Monate bestimmte Schwingungsmuster des Urknallechos abhorchen. Dabei wird MAP eine detaillierte und komplette Karte der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung erstellen, jener Strahlung, die Astronomen gerne als das "Nachglühen" des Big Bang bezeichnen, der sich irgendwann vor 10 bis 15 Milliarden Jahren "ereignet" haben soll. Die Hoffnung, dass MAP seiner Mission gerecht wird, ist groß - ebenso die Vorfreude: "Wir freuen uns sehr über diese Mission, weil sie uns helfen kann einige der Fragen zu beantworten, die wir uns schon seit vielen Jahren stellen", erklärt Dr. Charles L. Bennett, der für die MAP-Mission am NASA Goddard Space Flight Center verantwortlich ist.

Die Genauigkeit der Messungen, die wir mit MAP erreichen können, wird es uns erlauben, Natur und Schicksal des Universums zu bestimmen.

MAP liefert Daten für Kosmo-Computermodell

Gelänge es MAP, die Mikrowellenhintergrundstrahlung um Nuancen genauer zu erfassen und zu analysieren, könnten die Forscher mit den Daten kosmologische Computersimulationen erstellen, die einige zentrale Fragen beantworten könnten: Wird sich das All für immer ausdehnen? Was geschah während des Urknalls? Und wie verteilten sich die Galaxien, die wir heute sehen?

Einig sind sich die Forscher darin, dass das Universum erst rund 300.000 Jahren nach dem Urknall auf sich aufmerksam machte. Damals emittierte es Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, die von allen Seiten kommend heute auf uns permanent niederprasselt. Ihr Herkunfts- und Geburtsort stellt Forscher vor eine unüberwindbare Grenze.

Je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, desto undurchsichtiger wird das Universum. Es gibt eine Grenze, von jenseits derer das Licht nicht mehr zu uns gelangen kann,

erklärt der weltweit anerkannte Astrophysiker Hubert Reeves "Dieser Horizont entspricht einem Zeitpunkt, in dem die Temperatur etwa 3000 Grad beträgt. Nach dem herkömmlichen Urknallmodell ist das Universum da bereits 300.000 Jahre alt."

Das Echo des Big Bang ist eine extrem kurzwellige Strahlung im Radiowellenbereich (Mikrowellenbereich) und liegt etwa bei 2,7251 Grad über dem absoluten Nullpunkt, weshalb sie oft als 3K-Hintergrundstrahlung bezeichnet wird. "Die Hintergrundstrahlung ist in der Tat ein Fossil", erläutert Professor David T. Wilkinson von der Princeton Universität.

Genauso wie wir Dinosaurierknochen studieren, um das Leben dieser Tiere zu rekonstruieren, können wir dieses urzeitliche Licht messen und ermitteln, wie das Universum vor 14 Milliarden Jahren ausgesehen hat.

Urknallecho klingt nicht gleichmäßig

Da in früheren Epochen des Weltalls die Temperaturen wesentlich höher waren, war auch die kosmische Strahlung erheblich intensiver. Auch heute gilt noch: Je schneller der Kosmos expandiert, desto kälter wird er. 300.000 Jahre nach dem Urknall konnten sich aber aufgrund der extrem hohen Temperatur Atomkerne und Elektronen nicht zu neutralen Atomen vereinigen; das ionisierte Gas (Plasma) war undurchsichtig. Was sich vor langer Zeit jenseits dieses Horizonts abspielte, bleibt uns heute verborgen.

Anfänglich "klang" die 3K-Strahlung noch absolut gleichförmig und schien aus allen Blickrichtungen des Himmels zu kommen. Doch seitdem die NASA-COBE-Forschungssonde (Cosmic Background Explorer winzige Temperaturunterschiede entdeckte (1992) und US-Astronomen im Rahmen der Boomerang-Ballon-Mission (1998) (Vgl.Die Harmonien des Urknalls) erstmals "Töne" des frühen Universums in der Hintergrundstrahlung hörten, befindet sich die Fachwelt in heller Aufregung. Vor allem wegen der Boomerang-Mission. In einer Höhe von 37 Kilometern trotzte der Ballon der eisigen Kälte und eröffnete dem balloninternen Mikrowellenteleskop 10 Tage lang beste "Sichtbedingungen". Das Ergebnis: Das Echo des Urknalls "klingt" nicht gleichmäßig - innerhalb der Hintergrundstrahlung gibt es "akustische Spitzen". Dass daraufhin insbesondere Kosmologen ihre Ohren spitzten, kann nicht verwundern. Deren Aufmerksamkeit fokussiert sich nunmehr auf diese Unregelmäßigkeiten, die zwar minimaler Natur sind, aber gravierende Konsequenzen haben können.

Temperatur variiert nur um Millionstel Grad

Just diese Schwankungen und Temperaturunterschiede soll MAP mit bislang unerreichter Genauigkeit messen, um daraus ein Wärmemuster zu errechnen. Für eine komplette Abtastung des gesamten Himmels braucht MAP sechs Monate. "Die Temperatur variiert nur im Bereich von Millionstel Grad, aber diese winzigen Unterschiede sind der Schlüssel zu allem", verdeutlicht Bennett.

Anhand der Temperatur lässt sich aufzeigen, welche "DNA" sich in der kosmischen "Ursuppe" nach dem Urknall zusammenballte, aus der Sterne und Galaxien erwuchsen. "Uns interessiert nicht, welche Punkte wärmer oder kälter sind, sondern die Verteilung im All", so Bennett.

Wenn die Wissenschaftler über die MAP-Daten verfügen, können sie die verschiedenen kosmologischen Theorien über Entstehung und weiteres Schicksal des Universums prüfen, von der jede eine bestimmte Verteilung der Masse voraussagt. Denn aus der Masseverteilung am Beginn lässt sich ablesen, ob das Universum sich in alle Ewigkeit ausdehnt oder irgendwann einmal wieder zusammenschrumpft. MAP könnte auch bei dem Problem der Dunklen Materie (Dark Matter helfen, die über 95 Prozent der Materie im All stellen soll: "Wenn wir die Hintergrundstrahlung sehr genau messen, können wir auch diese Frage klären", erläutert Bennett.

Äußerlich wirkt MAP recht unscheinbar. Mit einer Höhe von 3,80 Metern und einem Durchmesser von 5 Metern zählt die 840 Kilogramm leichte Sonde gewichts- und größenmäßig zur Raumsonden-Mittelklasse. Die Lebenszeit des Raumschiffes ist auf einen Zeitraum von 27 bis zu maximal 36 Monaten ausgelegt. Für den Fall der Fälle ist MAP in der Lage, sich selbst zu navigieren. Ein Solarstromantrieb (400 Watt) hilft dabei.

Für den Weg zum 1,5 Millionen Kilometer weit entfernten Lagrange-Punkt fliegt die Sonde den Mond an und nutzt nach einigen lunaren Umkreisungen den Swing-by-Effekt, um das richtige Tempo und die korrekte Flugbahn zu finden. Vorgesehen ist, dass die Sonde sich nach ihrem Start täglich einmal mit der Erde in Verbindung setzt.

Unterdessen ist schon die nächste Mission in Vorbereitung. Auch sie soll die Hintergrundstrahlung auf Herz und Nieren prüfen. Sofern alles nach Plan verläuft, wird der Planck"-Satellit der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) 2007 ebenfalls am zweiten Lagrange-Punkt Position beziehen und einen Lauschangriff auf den Nachhall des Urknalls starten.