Leben 2.0: Durchbruch bei der Synthetischen Genomik

US-Wissenschaftlern ist es gelungen, das ganze Genom einer Bakterienart auf eine andere zu übertragen: Grundlage für die Herstellung von künstlichen Mikroorganismen

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Die Synthetische Biologie, also der Versuch, neues Leben herzustellen oder Organismen umzugestalten, macht Fortschritte – zumindest versuchen die beteiligten Wissenschaftler, größere Aufmerksamkeit für ihre Forschung zu wecken, während Kritiker die möglichen Risiken ausmalen (Leben 2.0 oder die Herstellung von "Einzellerfabriken"). Kürzlich erst hatte das J. Craig Venter Institute als Pionier des Synthetischen Lebens im Rahmen des Minimalgenomprojekts einen Patentantrag für ein künstliches Bakterium eingereicht. Jetzt beschreibt es in einem Artikel in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science (Science DOI: 10.1126/science.1144622) einen weiteren Erfolg.

Nach der Darstellung der Wissenschaftler ist es ihnen gelungen, in einem Bakterium nicht nur einzelne Genstränge zu verändern oder einzufügen, sie haben ein ganzes Genom mit 1,08 Millionen Basenpaaren aus einem Bakterium herausholen und in ein anderes einpflanzen können. Als Spender fungierte Mycoplasma mycoides, als Empfänger Mycoplasma capricolum. Mycoplasma-Bakterien haben den Vorteil, relativ kleine Genome und keine Zellwände zu besitzen. Erleichtert hat die aufwändige Transplantation sicherlich, dass die Genome der Bakterienarten sich in hohem Maße gleichen. Über 76 Prozent der Basenpaare sind praktisch identisch.

Kolonien des durch Genomtransplantation veränderten Bakteriums Mycoplasma mycoides. Bild: J. Craig Venter Institute

Die Wissenschaftler geben selbst zu, dass sie den Mechanismus noch nicht wirklich verstanden haben, wie die Transplantation geschieht. John Glass, einer der Wissenschaftler, geht davon aus, dass beide Genome zunächst im Empfängerbakterium vorhanden sind und sie erst durch fortlaufende Teilung getrennt werden. Sonderlich effizient ist das Verfahren bislang jedenfalls nicht. Nur in eine Empfängerzelle von 150.000 konnte das vollständige Genom eingefügt werden. Unklar ist auch, ob das zwischen anderen Bakterien funktionieren würde. Für den Beweis der Transplantation wurden zwei Gene als Marker eingeführt, eines bewirkt Resistenz gegenüber Antibiotika, das andere lässt die Bakterien blau werden.

Die aus der Genomtransplantation hervorgegangenen Zellen seien phänotypisch identisch mit Mycoplasma mycoides-Bakterien gewesen. Die Genomtransplantation geht weit über die bislang realisierten Möglichkeiten hinaus, DNA in bakterielle Genome einzuführen, wo sie "nur" rekombiniert wird, und ist vergleichbar mit der Einführung eines Zellkerns in eine entkernte Ei- oder Körperzelle, wie dies beim Klonen gemacht wird.

Im Rahmen der Forschung, künstliche Bakterien mit gewünschten Eigenschaften und einem minimalen, auf das notwendige zugeschnittene Genom zu schaffen, wäre die Möglichkeit, künstliche zusammengebaute Genome in einem Zelle einzubauen, ein entscheidender Schritt. Daher ist die Übertragung eines ganzen Genoms von einem Bakterium in ein anderes eine wichtige Voraussetzung. Die Wissenschaftler sprechen von der Grundlage des neuen Feldes der synthetischen Genomik, die die Herstellung von "nützlichen Mikroorganismen" ermöglicht, um "drängende gesellschaftliche Probleme in der Energieproduktion, dem Umweltschutz und der Medizin zu lösen".

Davon sind die Wissenschaftler des J. Craig Venter Institute sicherlich bei allen Einschränkungen der Methode noch weit entfernt, auch wenn sie ihre Erfindung natürlich anpreisen:

Wir haben eine Form der DNA-Übertragung entdeckt, die es ermöglicht, dass Empfängerzellen zu Grundlagen für die Produktion von neuen Arten werden, indem veränderte natürliche Genome oder von Menschen mit den von Synthetischen Biologen entwickelten Methoden veränderte Genome verwendet werden.

Die Frage ist, ob die Übertragung auch bei Bakterien gelingen kann, die nicht so eng verwandt sind, und vor allem, ob es auch bei Bakterien mit Zellwänden und mit größeren Genomen gelingt. Allein aber schon die Meldung dieses Erfolgs dürfte die Aktien der Synthetischen Biologie ebenso weiter steigen lassen wie die Bedenken. Im Sommer wollen Venter und sein Institut zusammen mit dem Center for Strategic & International Studies (CSIS) und Massachusetts Institute of Technology (MIT) einen Bericht über die Risiken und Möglichkeiten der Synthetischen Biologie veröffentlichen, worin auch die Schutzmaßnahmen ausgeführt werden sollen, um Gefährdungen, beispielsweise durch Bioterrorismus, zu verhindern. Darauf darf man gespannt sein.