Leben in der Platte

Seite 2: Der Weg zum Ziel: Fordismus

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Ideelle Ansätze dieser Provenienz bildeten eine neue Basis, wobei das Auto zum Inbegriff und Katalysator eines übergreifenden Zukunftsmodells wurde. Etwa zu dieser Zeit hatte Henry Ford mit seiner Unternehmensphilosophie einen weltweiten Prozess angeschoben, der auch und gerade auf der Ebene des (Städte)Bauens seinen Niederschlag fand. Der ‘Fordismus’ wurde, zumindest in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, enthusiastisch aufgenommen. Als Fords Buch "Mein Leben und Werk" 1923 in Deutschland erschien, galt es in der von Verarmung und Inflation gekennzeichneten Nachkriegszeit vielen als eine Heilslehre. Das ging soweit, dass in der Weimarer Zeit fast prinzipiell sozialer und technischer Fortschritt, wie Kurt Tucholsky es formulierte, mit weichem ‘d’ geschrieben wurde.

Nahezu synchron entwickelten sich sektorale Bezugsfelder des Fordismus und entfalteten in vielen gesellschaftlichen Bereichen enorme Wirkung. Die Analogie der Stadt oder der Wohnung "als Maschine" ging dabei auf den Ford-Verehrer Le Corbusier zurück. Wobei in diesem Assoziationsbereich insbesondere zwei Aspekte eine ganz wesentliche Rolle spielten: Die schleichende Randwanderung der Stadt, die sich auch in den Stichworten Funktionstrennung und Siedlungsbau ausdrückt, und das Durchsetzen der sozialen Massenwohnung.

Dammerstocksiedlung in Karlsruhe. Bild: Andreas Schwarzkopf / CC-BY-SA-3.0

Die Vorstellung, Häuser wie Autos zu produzieren - der übrigens viele führende Köpfe anhingen -, war ebenso ein fordistischer Analogismus wie die Idee eines "fordistischen Sozialstaates". Eine ihrer Manifestationen - die Siedlung Dammerstock in Karlsruhe, die 1929 als Ausstellungs- und Mustersiedlung in rigider Zeilenbauweise angelegt wurde - hat Adolf Behne schon damals sarkastisch aufs Korn genommen:

Die ganze Siedlung scheint auf Schienen zu stehen. Sie kann auf ihrem Meridian rund um die ganze Erde fahren, und immer gehen die Bewohner gegen Osten zu Bett und wohnen gegen Westen ... Hier in Dammerstock wird der Mensch zum abstrakten Wohnwesen.

Adolf Behne

Die Avantgarde war strikt darauf bedacht, dass ihre Häuser und Siedlungen so aussahen, als seien sie rationell erstellt. Sie sollten Emblem sein für den Fortschritt. Und das Bauhaus? Seine Akteure und Epigonen schwankten; ging es der einen Seite vornehmlich darum, die Industrialisierung ästhetisch neu zu orientieren, zu kultivieren und die Menschen, insbesondere die angestellten Mittelschichten, auf die neue Welt im Sinne einer Formkultur einzustimmen, so zielte die andere Seite darauf, Lebensreform-Versuche und deren wissenschaftliche Bezugsfelder für die Krisenbewältigung weiter zu entwickeln. Das Ergebnis spiegelt dabei eine größere Einheitlichkeit, als tatsächlich vorhanden war.

Immerhin: Die symbolträchtige Sprache der "Sachlichkeit" vermittelte den Glauben an Zukunft, den Sieg der Rationalität, Mindestwohlstand für alle und kulturelle Emanzipation durch die Technik werdenden Menschen. Indem das Bauhaus damals, einer Ästhetik des Konstruktiven und Funktionalen folgend, seine "Erfindungen" mittels Präzision und Transparenz sachlich gestaltete, suggerierte es die Mach- und Beherrschbarkeit gesellschaftlicher Entwicklung.

Rationalisierung in der NS-Zeit

Ganz davon gelöst hat sich auch der nationalsozialistische Wohnungsbau nicht, obgleich man sich einen anderen Anschein zu geben trachtete. Dabei ist es durchaus überraschend, dass ein vermeintlich nebensächliches Politikfeld sich als heiß umkämpft erweist. Machtträger wie Robert Ley mit seiner "Deutschen Arbeitsfront" (DAF), der Parteiideologe und Siedlungs‘experte’ Gottfried Feder, der "Generalbevollmächtigte für die Bauwirtschaft" und Rüstungsminister Fritz Todt, "Hitlers Architekt" Albert Speer, schließlich auch Martin Bormann und andere rivalisierten mit ganz unterschiedlichen Konzepten um ihren Einfluss auf die angestrebte "totale" Wohnungspolitik.

Die Auseinandersetzungen im Vorfeld des Führererlasses vom 15. November 1940 "zur Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaues nach dem Kriege" markierten dabei eine der wichtigsten Weichenstellungen überhaupt. Denn hier vollzog sich schließlich ein gewissermaßen "modernisiertes" Konzept technokratischer Sozialstaatlichkeit im Wohnungsbau, in dem die Konturen der wohnungspolitischen Weichenstellung der 50er Jahre bereits vorgezeichnet waren. Der oftmals in Szene gesetzte "einheitliche Wille im neuen deutschen Bauschaffen" war offenbar nicht viel mehr als eine bloße Propagandafloskel.

Robert Ley spricht zur Grundsteinlegung der Wohnsiedlung Charlottenburg-Nord (1939). Sitzend (ganz links): Albert Speer. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-E09437 / CC-BY-SA-3.0

Die Erkenntnis, dass man es unterhalb einer Ebene exemplarischer, gewissermaßen parteioffizieller und damit dominierender Architektur mit einer Vielfalt konkurrierender und koexistierender Stilrichtungen zu tun hatte, wird man auch auf den Wohnungs- und Siedlungsbau übertragen müssen, der häufig allzu pauschal dem "Heimatschutzstil" zugeschlagen wird. Was die eingehendere Betrachtung zu Tage bringt, ist nicht mehr und nicht weniger, als der Wandel vom Siedlungsideal zu den Konzepten eines normierten und rationalisierten Massenwohnungsbaus. Um Architektur ging es dabei allenfalls um eine Art Verpackungsmaterial, um diejenigen Inhalte, die nicht mit den proklamierten Idealen von der "eigenen Scholle" übereinstimmten, zu verkleistern.

Mitunter wurde man aber auch sehr deutlich. So formulierte der Finanzexperte Mössner 1943 in einer Denkschrift: "Eine Rekordproduktion zu sinkenden Kosten bei niedrigen Reinerträgen ist aber praktisch nur auf dem Wege rücksichtsloser Rationalisierung und Einspannung aller Eigenenergien der in der Wohnungswirtschaft lebendigen Kräfte erreichbar."

In diesem Punkt herrschte - ausnahmsweise einmal - Einigkeit bei den beteiligen Stellen, wobei Speer weitaus kompromissloser noch als Ley die Rationalisierung als Kern des neuen Wohnungsbaus definierte. Und im gleichen Maße, wie Modernisierungsbestrebungen die Oberhand bekamen, erfolgte eine Demontage der Kleinsiedlung, der völkischen Angeridylle als propagiertem Modell. Solche Ideale schien man nun lediglich zu bemühen, um die ideologische und programmatische Wende zu einem industriell gefertigten Wohnungsbau zu flankieren.

Zwar blieben, wegen der Folgen des Luftkrieges, die unmittelbaren Wirkungen der Rationalisierung sehr beschränkt. Gleichwohl beförderten und befestigten diese Ansätze im Wohnungs- und Siedlungswesen eine Zielsetzung, die das dezidiert Antimoderne und programmatisch Rückwärtsgewandte ablösten. Bei einem maßgeblichen Teil der NS-Elite setzen sich nach und nach Positionen durch, die auf die Förderung des Massenwohnungsbaus und von rationalisierten Formen der Bauproduktion drängten.