Leben wie die Maden im Speck
Seite 2: Die Herrschaft der Beamten
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Ein Beamtenparlament ist aber auch nicht gerade die geeignete Institution, die in der Lage wäre, der weiter fortschreitenden Verzahnung und Vermischung von exekutiven und legislativen Funktionen Einhalt zu gebieten. Der für Beamten charakteristische Hang zu Konformität, Vorschriftentreue, Risikoscheu und Detailversessenheit steht in krassem Gegensatz zur Flexibilität, Innovativität und Kreativität, die ein lebendiges Parlament braucht.
Zieht man die Bilanz von Theorie und Praxis der Repräsentation, so kommt man mit dem Politikwissenschaftler Udo Bermbach zu der ernüchternden Schlussfolgerung: Repräsentation ist nicht viel mehr als eine "Technik zur Besetzung von Herrschafts- und Führungspositionen"1, auf gar keinen Fall jedoch ein Modell zur Abbildung des Volkswillens.
Befürworter des repräsentativen Systems meinen denn auch, es sei gar nicht erstrebenswert, dass jede größere Berufsgruppe durch einen oder mehrere Abgeordnete repräsentiert sei. Wichtig sei es vielmehr, dass sich im gesamten Parlament die Vielfalt der politischen und gesellschaftlichen Strömungen der Gesellschaft widerspiegele. Das lässt sich im Prinzip auch gar nicht so leicht von der Hand weisen.
Allerdings ist das auch ein prekäres Argument; denn um bloß verbreitete Strömungen der Gesellschaft ein bisschen widerzuspiegeln, bräuchte man nicht zwangsläufig den riesigen Apparat eines Parlaments mit 631 Abgeordneten. Da würden auch 50 bis 60 Leute ausreichen, wahrscheinlich sogar noch viel weniger, nämlich 4 bis 5 Leute. Denn mit wachsender Zahl der Abgeordneten wächst auch der Koordinierungsaufwand immens, der erforderlich ist, um diese große Menge von Menschen zusammenzuhalten.
So spiegeln sich im Verhältnis der politischen Parteien zueinander, wie es durch eine Wahl hergestellt wird, zweifellos die Größenordnungen der politischen Strömungen in der Bevölkerung. Wie kann es dann jedoch geschehen, dass die breite Bevölkerung selbst mit diesem Resultat der Spiegelbildlichung inzwischen unzufrieden ist? Sie fühlt sich ja von allen politischen Parteien verraten und verkauft. Ganz so einfach scheint die Chose also nicht zu sein, wenigstens nicht aus Sicht der Bevölkerung.
Doch darüber hinaus ist dies ein irreführendes und rein von der Logik her höchst zweifelhaftes Argument. Es besagt ja: Die politischen Strömungen der Bevölkerung werden einigermaßen getreu repräsentiert, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse jedoch nicht. Und das ist ohne jeden Zweifel korrekt.
Bundestag als Selbstbedienungsladen des öffentlichen Dienstes
Bei politischen Entscheidungen kommt es jedoch häufig nicht auf die parteipolitischen, sondern auf die sozialen und wirtschaftlichen Kraftfelder an. Wenn das Parlament über Beamtengesetze zu befinden hat und die bei weitem stärkste Berufsgruppe der Entscheider Beamten sind, dann ist nicht daran zu denken, dass andere als von höchstpersönlichen Interessen der Abgeordneten geleitete Entscheidungen getroffen werden.2 Und daher dienen denn auch viele politische Entscheidungen den persönlichen wirtschaftlichen Interessen der Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst.
So hat auf dem Höhepunkt der Euro-Staatsschuldenkrise der Bundestag im Haushalt 2012 das Weihnachtsgeld für Beamten ausgerechnet zu einem Zeitpunkt erhöht, als die Neuverschuldung des Bundeshaushalts gesenkt werden sollte. Sie wurde jedoch nicht gesenkt, sondern um vier Milliarden Euro erhöht. Dafür strich die Koalition beim Arbeitslosengeld II und bei den Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeitslosen jeweils eine Milliarde Euro. So sieht die Realität der Vertretung der Interessen des ganzen Volkes aus. Der parlamentarische Robin Hood kämpft für sein eigenes Weihnachtsgeld, nämlich das der Beamten…
Und genau das ist der springende Punkt: Bei allen Entscheidungen, die sich auf allgemeine politische Orientierungen beziehen wie etwa die Frage, ob die Bundesrepublik ihre Truppen in ein fremdes Land schicken soll, ob der Tierschutz für Haustiere gestärkt oder der Anbau von Yamswurzelgewächsen in Burkina Faso mit Entwicklungshilfe gefördert werden sollte, reicht es völlig hin, wenn im Parlament die großen Strömungen der Bevölkerung so einigermaßen repräsentiert werden - obwohl auch dies komplizierter ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag; denn in der Regel sind die einen dafür, die anderen dagegen und der Rest ist unentschieden. Sollen diese drei "Strömungen" nun im Parlament ihre Widerspiegelung erfahren? Und wenn ja: Wem wäre damit geholfen?
Wenn das Volk keinen Krieg will und seine Vertreter doch…
Die grobe Repräsentation der verschiedenen Strömungen in der Bevölkerung ist durch die unterschiedliche Stärke der Fraktionen im Parlament ja tatsächlich auch so einigermaßen gewährleistet. Aber - Bemerkung am Rande: Auch dies ist eine Form der spiegelbildlichen Repräsentativität, wie sie durch parteipolitische Wahlen ausdrücklich hergestellt wird.
Doch selbst hier ist die Repräsentativität in einer entscheidenden Lebensfrage höchst zweifelhaft: So hat die Mehrheit des Bundestags das Mandat der Bundeswehr in Afghanistan mehrfach verlängert, als die Mehrheit der Bevölkerung längst gegen den Einsatz der Truppen am Hindukusch war. Während 70 Prozent der Bevölkerung den Krieg in Afghanistan ablehnen, stimmten im Januar 2011 stolze 72 Prozent der Abgeordneten im Bundestag einer weiteren Verlängerung zu.
420 von 579 Abgeordneten sprachen sich in der namentlichen Abstimmung für das neue Mandat aus, 116 dagegen. 43 enthielten sich. Im Vorjahr hatten 429 von 586 Parlamentariern für das damalige Mandat gestimmt, 111 waren dagegen und 46 enthielten sich. Übrigens eine Konstante der Politik: Die Politiker führen Kriege, während die Bevölkerung gegen den Krieg ist.
Auch dies ist ein deutlicher Hinweis auf eine im Laufe von Jahrzehnten gewachsene Diskrepanz zwischen dem, was Politiker für richtig halten, und dem, was die Bevölkerung meint. Die Bevölkerung kennt den Preis von Kriegen und weiß, wer ihn bezahlt. Politiker sind dem nicht so ausgesetzt. Sie demonstrieren ihre Macht, wenn sie Kriege führen, und das ist ihnen wichtiger, als viel Elend und Leid von den Menschen abzuwenden. Und sie können sich auch noch durch medienwirksame Truppenbesuche in Begleitung von Fernsehteams und Talkshowmoderatoren wichtig tun.
Politiker sind ähnlich wie Beamten und Manager eine Berufsgruppe, die ständig über die Verwendung von Geldern bestimmt, das ihnen nicht selbst gehört - und die außerdem durch geltendes Recht und Gesetz vor Strafe oder Verlust geschützt sind, wenn sie dieses Geld völlig sinnlos verschleudern.
Jeder Unternehmer bezahlt die Folgen seiner finanziellen Fehlentscheidungen selbst und geht daher grundsätzlich behutsam damit um, um Fehlinvestitionen und im schlimmsten Fall den Konkurs zu vermeiden. Politiker können ungestraft Milliardenbeträge verpulvern und sich anschließend auch noch als Manager der durch eigene Fehler entstandenen Krise zu produzieren.
Wider jede Vernunft und die informierte Warnung aller Fachleute hat die europäische Politik aller Couleurs so die Einführung des Euro durchgeboxt, anschließend alle damit verbundenen Regeln gebrochen und lastet auf dem Höhepunkt der Krise den Steuerzahlern die finanzielle Bürde bei der Bewältigung der durch ihr schuldhaftes Versagen entstandenen Krise auf.
Repräsentierten die Repräsentanten tatsächlich die wirtschaftlichen Interessen derjenigen, die sie zu repräsentieren vorgeben - nämlich die Mehrheit der Bevölkerung -, dann könnten und dürften sie das gar nicht tun. Doch die Mehrheit derjenigen, von deren Arbeit die Politiker leben, kommt in ihrem Kalkül überhaupt nicht vor.
Bei allen politischen Entscheidungen, die mit handfesten wirtschaftlichen, sozialen und auch kulturellen Interessen zu tun haben, ist es für das demokratische System fatal, dass ein sattes Drittel der Bevölkerung ohne jede Vertretung ist. Da käme es sehr wohl darauf an, dass sich in den Parlamenten die realen Kräfteverhältnisse der Gesellschaft widerspiegeln, sonst nämlich klafft ein krasses Missverhältnis zwischen Repräsentanten und Repräsentierten. Und das klafft ja längst; denn diese Kluft öffnet sich im Verlauf der Zeit immer stärker und stärker, weil sich die Fülle der auf Grund des Missverhältnisses entstandenen Verzerrungen kumuliert.
Die Kluft zwischen den Repräsentanten und denen, die sie repräsentieren sollten, aber nicht mehr repräsentieren, wächst von Jahr zu Jahr und von Legislaturperiode zu Legislaturperiode. Dieser Prozess ist in repräsentativen Demokratien unaufhaltsam und auch unumkehrbar.
Herrschaft der Betonköpfe
Die Strukturen verfestigen sich. Diejenigen, die sich an die Schalthebel der politischen Macht gekämpft haben, verteidigen ihre einmal errungenen Positionen. Und es gibt keine Kraft, die sich dagegen stemmen könnte. Die Herrschaft der politischen Kaste betoniert sich immer stärker ein und ist inzwischen unumkehrbar in Stahlbeton gegossen.
Da hatten sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestags zunächst eine überaus moderate Aufwandsentschädigung gewährt, für die jedermann Verständnis hatte. Nach 1949 bekamen die Bundestagsabgeordneten eine steuerfreie Aufwandsentschädigung von 600 DM, ein Tagegeld von 400 DM, einen Unkostenersatz von 300 und einen Reisekostenersatz von 300 DM. Bescheiden.
Im Laufe der 65 Jahre, die seither vergingen, kamen stattliche Beträge hinzu. Heute bekommen die Abgeordneten als finanzielle Entschädigung für ihr Mandat zunächst einmal 8.252 Euro. Sie soll Verdienstausfälle ausgleichen, die dem Abgeordneten durch die Ausübung seines Mandats entstehen, und seine Unabhängigkeit garantieren. Seit 1977 ist die Abgeordnetenentschädigung steuerpflichtig, aber von Rentenbeiträgen befreit. Das ist sozusagen das Grundgehalt. Auch nicht gerade zu viel.
Aber sie dürfen natürlich neben ihrem Mandat noch einen Beruf ausüben. Darüber hinaus sitzen viele Abgeordnete in Aufsichtsräten, Verwaltungsräten und Beiräten und werden dafür reichlich vergütet.
Geld fließt aus vielen Quellen
Im Laufe von Jahrzehnten sind immer neue Beträge hinzugekommen. Zusätzlich zur Diät erhält jeder Abgeordnete eine steuerfreie Kostenpauschale von 4.123 Euro (Stand 2013), die jährlich den gestiegenen Preisen angepasst und unabhängig von den tatsächlichen Kosten gezahlt wird. Anders als jeder Steuerzahler muss ein Parlamentarier seine Kosten also nicht nachweisen. Das ist ein Privileg. Hinzu kommt, dass Abgeordnete schon nach einem Jahr eine monatliche Altersversorgung von 192 Euro erwerben (ein normaler Rentner bekommt nur 26 Euro pro Beitragsjahr).
Jedem Bundestagsabgeordneten stehen 16.019 Euro (seit August 2013) im Monat für die Beschäftigung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Berlin und im Wahlkreis zur Verfügung. Bis zu 12.000 Euro werden im Jahr für Büromaterial, Software, technische Ausstattung, Handy, Internet, Briefpapier, etc. gegen Einzelnachweise vom Bundestag bezahlt. Bei Dienstreisen zahlt der Bundestag innerdeutsche Flüge im Rahmen der Abgeordnetentätigkeit, jeder Abgeordnete hat darüber hinaus eine Netzkarte der Deutschen Bahn (1. Klasse) und kann den Bundestagsfahrdienst in Berlin kostenfrei nutzen.
Hat ein Abgeordneter dann auch noch ein Fraktionsamt und ist zum Beispiel stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Fraktionsvorsitzender, parlamentarischer Geschäftsführer oder Vorsitzender eines der vielen Ausschüsse, zahlt ihm die Partei zusätzlich ein Gehalt. Die Partei greift alles Geld natürlich auch bei den Steuerzahlern ab. Die Beträge unterscheiden sich von Fraktion zu Fraktion und werden öffentlich meist nicht bekannt gegeben. Ein stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion bekommt im Monat beispielsweise zusätzlich 3.713 Euro, der Vorsitzende 3.906 Euro.
Auf diese wundersame Weise wächst die Zahl der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ständig. Im 17. Bundestag hat die CDU-Fraktion zehn, die SPD neun stellvertretende Vorsitzende. Darüber hinaus hat die CDU-Fraktion 42 Vorstandsmitglieder, darunter Arbeitskreisvorsitzende und weitere Würdenträger, die allesamt unzulässige Zulagen kassieren. In manchen Landtagen hat fast die Hälfte aller Abgeordneten irgendein Amt und kassiert damit Zulagen.
In den Länderparlamenten gelten grundsätzlich ähnliche Regelungen. So bekommt ein Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg zum Beispiel monatlich 7.199 sowie eine Pauschale von 1.507 Euro für die private Altersvorsorge, die die steuerfinanzierte Pension ablöst. Der Landtagspräsident sowie die einzelnen Fraktionschefs bekommen zusätzlich das 1,25-fache der Abgeordnetendiät, also rund 15.000 Euro im Monat.
In Nordrhein-Westfalen haben die Abgeordneten beispielsweise geradezu schamlos hingelangt. So verdoppelten sie 2005 ihre Diäten von monatlich 4.807 Euro auf 9.500 Euro und erhöhten im Januar 2012 noch einmal auf 10.726 Euro. Das ist besonders deshalb skandalös, weil Landtagsabgeordneter sein bestenfalls ein Halbtagsjob ist, keinesfalls aber eine hauptberufliche Tätigkeit.
Wenn es darum geht, mal eben großzügig hinzulangen, kennen Abgeordnete aller Ebenen keinerlei Hemmungen. Einige Zeit nach der Wende wurde den Abgeordneten im neuen Landtag von Sachsen-Anhalt schmerzlich bewusst, dass viele von ihnen in der nächsten Legislaturperiode nicht wiedergewählt werden würden. Anspruch auf eine Abgeordnetenpension, so bestimmt es das Abgeordnetengesetz, besteht erst nach sechs Jahren Zugehörigkeit. Und so beschloss der Landtag im April 1993 eine Regelung, die den nicht wiederkehrenden Mitgliedern eine Altersentschädigung ab dem 55. Lebensjahr sicherte.
Über die "Diäten" wird in der Öffentlichkeit meist völlig irreführend diskutiert. Viele Beobachter kritisieren, dass die Abgeordneten sich ihr "Gehalt" gewissermaßen selbst bewilligen können - das verdient auch jede Kritik, ist aber nicht das Hauptproblem. Die Abgeordneten selbst halten dem stets entgegen, dass ihre Aufwandsentschädigung sich im Vergleich zu Managergehältern im unteren Bereich bewegt, und das stimmt sogar. Aber was managen die schon? Doch absolut gar nichts.
Es stimmt eben auch, dass mit allen zusätzlichen Einnahmen denn doch ein ordentlicher Gesamtbetrag zusammenkommt. Alles in allem verfügen die Abgeordneten im Schnitt über Geld und geldwerte Vorteile in Höhe von gut 30.000 Euro im Monat. Das verdient nicht unbedingt sehr viel Mitgefühl der arbeitenden Menschen, die mit wesentlich weniger über die Runden kommen müssen.