Leere Versprechen, Wirtschaftskrise und schwere Menschenrechtsverletzungen

Ein Jahr Fox in Mexiko

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Am ersten Dezember vor einem Jahr übernahm Vicente Fox als erster Kandidat der Opposition nach mehr als 70 Jahren die Präsidentschaft im Mexiko und beendete die Dauerherrschaft der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI). Der ehemalige Coca-Cola-Manager weckte große Hoffnungen. Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Frieden, so sein Programm.

Auf dem Gipfel lateinamerikanischer Staaten Ende November in Peru äußerte er nun zwar, es fehle nur noch die Unterschrift der EZLN unter ein Friedensabkommen, doch mit der Realität hat dies wenig gemein. Während Zehntausende Flüchtlinge immer noch darauf warten, in ihre Gemeinden zurückzukehren, haben Polizei, Militär und Paramilitärs immer noch freie Hand. Mitte November, keine vier Jahre nach dem Paramilitärmassaker in der chiapanekischen Gemeinde Acteál, das 45 Menschen das Leben kostete, wurden sogar zwei der hauptverantwortlichen Paramilitärführer aus dem Gefängnis entlassen.

Da das von der Fox-Regierung verabschiedete Autonomiegesetz sowohl den Forderungen der indianischen Gemeinden wie auch vorherigen Vereinbarungen mit der EZLN widerspricht, zapatistische Gefangene weiterhin inhaftiert sind und keine Entmilitarisierung sondern lediglich eine Umstrukturierung der Truppen erfolgt ist, herrscht seit Monaten Funkstille zwischen EZLN und Regierung (Institut CIEPAC auf Englisch und Spanisch). Die Menschenrechtssituation hat sich nach verschiedenen Berichten im ersten Jahr der Fox-Regierung erheblich verschlechtert (Englisch). Im der zweiten Novemberhälfte präsentierte amnesty international der Öffentlichkeit einen umfassenden Bericht über die Straflosigkeit in Mexiko in dem schwere Vorwürfe gegen die Regierung erhoben wurden.

Im Fall der im Oktober ermordeten Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa gibt es keine neuen Erkenntnisse. Digna Ochoa vertrat die seit Jahren inhaftierten Öko-Bauern Rodolfo Montiel und Teodoro Cabrera, die gegen illegale und maßlose Waldrodungen in ihrer Region aktiv waren. Armee und Großgrundbesitzer werfen ihnen vor, Verbindungen zur Guerilla und zum Drogenhandel zu unterhalten, während Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen der Armee wiederum vorwerfen, im Dienste der Großgrundbesitzer zu stehen und in den illegalen Edelholzhandel verwickelt zu sein. Die beiden Öko-Aktivisten wurden nach der Ermordung ihrer Anwältin frei gelassen, ein Schritt den viele Menschenrechtsorganisationen zwar für überfällig hielten, im aktuellen Kontext jedoch als Versuch der Regierung werten, Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Schließlich haben die offiziellen Ermittlungen über einen Monat nach dem Verbrechen immer noch keine Spur, geschweige denn ein Ergebnis präsentieren können.

Das Menschenrechtszentrum Miguel Augustín Pro, in dem die Anwältin bis vor kurzem arbeitete, geht von einer Tatbeteiligung der Armee aus, doch die Staatsanwaltschaft versucht, ein politisches Tatmotiv auszuschließen und verkündete, eine mögliche Spur seien interne Meinungsunterschiede innerhalb der Menschenrechtsorganisation. Fox hält den Fall gar für ein "gewöhnliches Verbrechen" und ließ verlauten, Mexiko sei "beispielhaft in der Wahrung der Menschenrechte". Die allgemeine Unzufriedenheit mit Fox ist deutlich, seine konservative Partei PAN verzeichnete in allen regionalen und lokalen Wahlen des vergangenen Jahres massive Stimmenverluste. PAN-Senator Carlos Medina Plascencia kritisiert, die errungene Präsidentschaft "vergifte die Partei", sie habe "die Gesellschaft vergessen" und mit den Prinzipien gebrochen, die zu ihrer Gründung führten. Dem eigenen Präsidenten wirft die PAN "Erpressung" vor und verkündete ihre Ablehnung gegenüber der von der Fox-Regierung zur Abstimmung vorgelegten Steuerreform.

Tatsächlich blieb das alte klientelistische System der ehemaligen Staatspartei PRI weitgehend unangetastet. Hinter Fox stehen die gleichen Unternehmer mit transnationaler Reichweite, die auch den vorangegangenen Präsidenten Ernesto Zedillo an die Macht gebracht und gestützt hatten, doch macht sich gleichzeitig ein gefährliches Machtvakuum breit, von dem die autoritäre Rechte um das Militär profitiert. So ist der von Fox ernannte Generalstaatsanwalt Mexikos, der Ex-General Rafael Macedo - der als erster Militär der mexikanischen Geschichte den Posten besetzt - das einzige Mitglied der Führungsmannschaft des Präsidenten dessen Amt unberührbar scheint. Wie weit die Macht der Militärs reicht, zeigt jüngst auch der Fall des seit 1993 inhaftierten General José Francisco Gallardo, dessen Freilassung die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte fordert. Der Verleumdung der Armee angeklagt und schließlich wegen vermeintlichem Missbrauch von Armeegeldern und Vernichtung von Archiven von einem Militärgericht zu 28 Jahren und 8 Monaten verurteilt, bestand sein einziges Vergehen darin, sich immer wieder gegen Menschenrechtsverletzungen und Amtsmissbrauch innerhalb der Streitkräfte zu wenden. Obwohl die Entscheidung der Interamerikanischen Kommission gemäß internationaler Abkommen bindend ist, hat Präsident Fox den Beschluss ignoriert und Innenminister Santiago Creel empfahl dem General, sich an ein Zivilgericht zu wenden. Dies entspricht der Position der Militärs, die sich strikt gegen seine Freilassung ausgesprochen haben. Vorneweg Generalstaatsanwalt Rafael Macedo, der zum Zeitpunkt der Verurteilung Gallardos oberster Verantwortlicher der Militärjustiz war.

Je größer die Probleme in Mexiko selbst werden, desto mehr Zeit verbringt Fox außer Landes. Fast drei seiner ersten zwölf Monate als Präsident verbrachte er im Ausland, mit eher bescheidenem Ergebnis. Spöttisch verzeichnen Presse-Kommentatoren das deutlichste Resultat sei die kontinuierliche Präsenz des Präsidenten und seiner Ehefrau und ehemaligen Sprecherin Martha Sahagún auf den Titelseiten der weltweiten rosa Presse. Die Analysten des Sistema de Información Regional de México (Sirem) warnen davor, dass sich die mexikanische Wirtschaft in der gleichen Situation wie Ende 1994 befände, als Investoren ihr Kapital aus Mexiko abzogen und den Tequila-Crash provozierten, der zu einer drastischen Entwertung des mexikanischen Peso, dem Zusammenbruch kleiner und mittlerer Unternehmen und zu einer massiven Verarmung der Bevölkerung führte.

Die wirtschaftliche Situation ist desolat. Betrug das Wirtschaftswachstum im letzten Jahr vor der Machtübernahme fast 7% und versprach Fox noch zu Beginn seiner Legislaturperiode ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von 4,5%, sank das BIP im laufenden Jahr rapide, und stagniert im Jahresdurchschnitt etwa bei Null, im dritten Quartal betrug es gar -1,6%. Finanzminister Fracisco Gil Díaz musste Ende Oktober zugeben das seit dem Amtsantritt Fox in Mexiko etwa 500.000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Und selbst in den Maquiladoras, den vornehmlich entlang der Grenze in Freihandelszonen angesiedelten Billiglohnfabriken, die für den Weltmarkt produzieren, sieht es schlecht aus. Erstmals in der Geschichte mussten hier im Laufe des Jahres über 150.000 der über 1,5 Millionen Beschäftigten entlassen werden. Dennoch verkündete die Regierung, an den umstrittenen Unternehmen (in denen Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen systematisch missachtet werden) als "zentrale Achse der Entwicklung der mexikanischen Wirtschaft" festhalten zu wollen. Arbeitsminister Carlos Abascal Carranza, der bereits bei Amtsantritt mit der Aussage glänzte Frauen sollten nicht arbeiten, verstieg sich zu der Aussage die Maquiladora-Industrie Mexikos sei "ein Modell der neuen Arbeitskultur auf das wir stolz sein können".

Selbst Picard del Prado, Vorsitzender des größten Unternehmerverband Mexikos CANACINTRA , der 30.000 Firmen des verarbeitenden Gewerbes vertritt, äußerte sich besorgt: "Unter den Industriellen herrscht die Ansicht vor, dass es in der Regierung keine klaren Erkenntnisse über die aktuelle Situation und das, was wirklich vor sich geht gibt." Da Steuereinnahmen drastisch gesunken sind, wurden die laufenden Kosten in diesem Jahr bereits dreimal reduziert und das ursprüngliche vorgesehene Budget um insgesamt ca. 1,5 Milliarden Dollar gekürzt. Jede Kürzung hat jedoch direkte Konsequenzen für den Binnenmarkt und heizt so einen Teufelskreis an.

Die Auslandsschuld Mexikos beträgt mittlerweile 77,3 Milliarden Dollar, ein Prozent mehr als bei Fox Amtsantritt und die Binnenverschuldung etwa 649 Milliarden Peso (ca. 60 Milliarden Dollar), satte 3,6% mehr als im vergangenen Dezember. Die Lösung sieht die Regierung im IWF, dessen Richtlinien die Wirtschaftsplanung der Regierung für die verbleibenden fünf Jahre ihrer Amtszeit bestimmen. Das Programm sieht auch mögliche weitere Kredite des IWF in Höhe von 16 Milliarden Dollar vor. IWF und Weltbank haben die Vergabe der Kredite mittlerweile zwar bestätigt, jedoch als Bedingung einen weiteren Abbau der Arbeitnehmerrechte gestellt, darunter auch die weitere Einschränkung oder Annullierung des existierenden Kündigungsschutzes und Rentenkürzungen. Kürzungen im sozialen Sektor für das Jahr 2002 sind ohnehin vorgesehen, "die Staatseinnahmen reichen nicht aus, um alles abzudecken," so Fox kürzlich, sein Monatsgehalt betrifft dies aber nicht, das wurde, so erfuhr die Öffentlichkeit erst Ende November, ausgerechnet am ersten Mai auf umgerechnet etwa 25.400 $ erhöht, fast das Doppelte dessen, was sein Vorgänger bezog.