Lehren aus dem rechten Terror

Kränze, Blumen und Kerzen am Tatort Heumarkt in Hanau 2020. Bild: Lumpeseggl, CC BY-SA 4.0

Amoklauf in Hanau offenbarte grundsätzliche Probleme des Staates, bei der Wahrnehmung von Demokratiefeinden und der Haltung gegenüber einem Viertel der Bevölkerung. Ein Kommentar

Wer heute des rechtsextremen Terroranschlags vor einem Jahr in Hanau gedenkt, darf das grundlegende Problem nicht ausblenden: Die Bundesrepublik war von jeher mit rechtsextremen Gedankengut und Personal durchsetzt. Trotz aller Gegenmaßnahmen, Reformbewegungen, trotz aller Antifaschisten von Willy Brandt bis Rudi Dutschke, ja sogar Beate Klarsfeld, hat der strukturelle und institutionelle Rassismus überlebt.

Der Mehrfachmord an Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Hamza Kurtovic, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Paun und Fatih Saracoglu war kein Einzelfall. Seit 1990 sind in Deutschland bis zu 208 Menschen aus rassistischen Motiven getötet worden. Anders als in Hanau ist es ein stiller und ständiger Terror, der vom Staat nie ernsthaft bekämpft wurde.

Sicherlich könnte man dagegen nun die zahlreichen Initiativen von Ministerien- und Regierungsseite "für Toleranz" anführen. Aber welchen Effekt hatte Gerhard Schröders im Oktober 2000 ausgerufene "Aufstand der Anständigen" und die folgenden Initiativen "Jugend für Toleranz und Demokratie", "Kompetent für Demokratie" sowie "Vielfalt tut gut"?

Der Kommunikationspsychologe Wolfgang Frindte und der Professor für Pädagogische Psychologie, Siegfried Preiser, kamen schon 2007 zum Schluss, dass sich die sichtbaren Erfolge der bis dahin umgesetzten Präventionsmaßnahmen gegen Rechtsextremismus in Grenzen hielten. "Zahlreiche Projekte standen bislang auf instabilem Fundament. Ihre Wirksamkeit war häufig weder theoretisch begründet noch empirisch überprüft", so ihr Resümee.

Rechtsextreme Strukturen unbehelligt

All das nährt die Vermutung, dass der staatliche Nachwende-Antirassismus mehr Lippenbekenntnis denn politischer Wille ist. So auch nach der Bluttat von Hanau. Die Bundesregierung stuft dieses Verbrechen inzwischen zwar als rassistisch und islamfeindlich motivierten Terrorakt ein. Die 900 islamfeindlichen Straftaten im vergangenen Jahr hatten aber kaum Konsequenzen, weil dieses Problem – anders als Antisemitismus – kaum wahrgenommen wird.

Während die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern die Opfer rassistischer Gewalt weitgehend alleine lassen, werden die Täter und ihre Unterstützer kaum behelligt. Die rechtsextremen Netzwerke in Polizei und Sicherheitsbehörden sind weitgehend intakt. Hier und da werden niedere Polizeibeamte suspendiert, aber nach wie werden Personendaten antirassistischer Akteuren aus Polizeidatenbanken abgerufen und rechtsextremen Kreisen zugespielt, werden interne Ermittlungsakten mit Bezug auf rechtsextreme Strukturen öffentlich.

Zugleich bleibt "die Antifa" – ein unscharf verwendeter Begriff, der irgendwie irgendeine Linke meint – das Feindbild rechter und bürgerlicher Kräfte von Donald Trump bis hin zu den Christdemokraten im Thüringer Landtag, Hamburg, Leipzig und Rheinland-Pfalz. Selbst der sozialdemokratische Innenminister von Niedersachsen, Boris Pistorius, denkt über das Verbot von Antifa-Gruppen nach.

Zwar mag Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Blick auf den Jahrestag des Terroraktes von Hanau Rassismus und Hass als "Gift" bezeichnen und die Bluttat als "Einschnitt für das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft und für den Zusammenhalt der Menschen in Deutschland". Strukturell hat sich aber kaum etwas geändert.

Merkels Parteifreund und NRW-Innenminister Herbert Reul sieht in rechten Chatgruppen der Polizei kein behördentypisches Problem, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verhindert eine Untersuchung rechter Strukturen in den ihm unterstellten Sicherheitsbehörden – und die Angehörigen der Mordopfer von Hanau bleiben in ihrer Trauer und Fassungslosigkeit weitgehend sich selbst überlassen.

Ein Viertel der Bevölkerung kann auf diesen Staat nicht vertrauen

Was die politischen Entscheidungsträger nicht verstehen, ist die unterminierende Wirkung des strukturellen und institutionellen Rassismus für eine Gesellschaft, in der inzwischen gut ein Viertel der Menschen einen Migrationshintergrund hat. Das bedeutet: 21,2 Millionen Menschen müssen einem Staat und den Sicherheitsbehörden tendenziell mit Argwohn begegnen, weil diese Strukturen zunehmend von rassistischen Gruppen unterwandert sind.

Und weil ein Mann an die Spitze eines Geheimdienstes gelangen kann, der sich echauffiert, er sei nicht vor 30 Jahren in die CDU eingetreten, damit "dann irgendwann 1,8 Millionen Araber ins Land kommen".

Wenn heute also des rechtsradikalen Terroranschlags von Hanau gedacht wird, dürfen diese Fragen und Verhältnisse nicht übergangen werden. Denn in einer Gesellschaft, in der Ausländer von staatlichen Sicherheitskräften drangsaliert werden und Journalisten sich nicht mehr trauen, bei Anfeindungen die Polizei zu Hilfe zu rufen, weil sie davon ausgehen müssen, dass ihre Daten abgerufen und gewaltbereiten Kritikern zugespielt werden, läuft etwas falsch.

Jahrestage wie der heutige werfen ein Schlaglicht auf sonst ausgeblendete Missstände. Sie bieten der Bundesregierung und den Landesregierungen die Chance, kompromissloses gegen Rechtsradikalismus und Neofaschismus vorzugehen. Dies würde im Übrigen auch dem Geist des Grundgesetzes entsprechen, das Zusammenschlüsse für illegal erklärt, "deren Zwecke oder deren Tätigkeit […] sich […] gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten" und das einen Staat anstrebt, der darauf ausgerichtet ist, "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen".

Die Grundlagen dafür müssten freilich zunächst im Inneren geschaffen werden.

Harald Neuber ist Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis

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