Leider doch kein Beat Surrender
Seite 2: "The world is your oyster, but the future`s a clam"
- Leider doch kein Beat Surrender
- "The world is your oyster, but the future`s a clam"
- "Bullshit is bullshit, it just goes by different names"
- "Walls come tumbling down"
- Der "Modfather"
- Auf einer Seite lesen
Erst das im November 1978 erscheinende Album "All Mod Cons" (welches von vielen Fans auch als das gelungenste angesehen wird) zeigte, welches künstlerisches Potential der Band tatsächlich innewohnte. Das Lied "Down In The Tube Station At Midnight" bedeutete sowohl inhaltlich als auch formal einen Quantensprung. Die Geschichte eines jungen Mannes, der in der Londoner U-Bahn von Faschisten ausgeraubt und erschlagen wird, kommt mit seinem sowohl realistisch und brutalen als auch sehr subtilen und lyrischem Text und der brillanten, eindringlich gespielten und sich steigernden Musik einem modernen sozialen Drama in einem Popsong (!) gleich, deren Exposition und Ausführung dem Hörer buchstäblich vor Augen stehen.
1979 war vielleicht das beste Jahr von The Jam. Beginnend mit den Singles "Strange Town" und "When You're Young" , welche bewiesen, dass die Band nun im Stande war, ihre eigenen Standards zu setzen, war die LP "Setting Sons" mit ihrem ersten Top 5-Hit "The Eton Rifles" der kommerzielle Durchbruch. Von der Band selbst als das "schlechteste Album" bezeichnet (die Lieder wurden in einem so großen Zeitdruck eingespielt, dass Lieder wie "Private Hell" nicht mehr geübt, sondern sofort im Tonstudio aufgenommen wurden), ergibt die schneidend scharf eingespielte Musik mit den exzellenten und poetischen, aber auch sehr missmutigen und sarkastischen Texten Wellers einen packenden Kontrast und zeichnet sowohl schonungslos als auch mit künstlerischem Feinschliff anhand bestimmter Typen das Bild der Niederlage der britischen Arbeiterklasse zu Beginn der Ära Thatcher. Z. B. wurde die Haltung eines Aufsteigers in "Burning Sky" wiedergegeben ("ideals are fine when you`re young"), das Los einer frustrierten Hausfrau der Mittelklasse in "Private Hell" besungen ("The shop windows reflect play a nameless host, To a closet ghost a picture of your fantasy - A victim of your misery and Private Hell") und der Stamm der englischen Beer-Boys in "Saturdays Kids" ("Their mums and dads smoke Capstan non filters/ Wallpaper lives 'cause they all die of cancer") untersucht.
Das erstaunlichste Lied ("sowohl eingängig als auch kompliziert". so Diedrich Diederichsen seinerzeit) ist allerdings die Single-Auskoppelung "The Eton Rifles". Der Text - sowohl eine grandiose Beschimpfung der englischen Oberklasse als auch eine wundervolle Schmähung des akademischen Linksradikalismus - hat die zunehmenden Klassenauseinandersetzungen zum Thema: 1978 begaben sich Langzeitarbeitslose aus Nordengland in einem "Right To Work"-Marsch nach London, wo sie in Eton, Standort des berühmten Elite-Colleges, von wohlhabenden Passanten ausgepfiffen und beschimpft wurden, worauf sie in diesem Lied mit ätzenden Spott und bitterem Hohn übergossen wurden.
1980 hatten The Jam mit ihrem ersten Nr.1-Hit "Going Underground" (im Verbund mit der psychedelischen Westcoast-Nummer "The Dreams Of The Children" mit deutlichen Joy Division-Referenzen) in England einen Gipfel an Popularität erklommen, der sie nahe an die Beatlemania brachte.
Damit begann aber auch der Anfang vom Ende der Band. Denn die Plattenfirma Polydor hatte in dieser Zeit nichts Besseres zu tun, als den Druck auf ihre Schützlinge nochmals zu erhöhen. The Jam hatten in drei Jahren vier LPs und 10 Singles herausgebracht und als die drei für die Arbeiten an der fünften LP "Sound Affects" eine kreative Pause erbaten, wurde von Polydor folgende Rechnung aufgemacht: Ihre neben den Jam profitträchtigsten Acts, nämlich die Bee Gees und Eric Clapton waren beide mit ihren geplanten Alben für 1980 in Verzug geraten. Wenn sich nun auch die Jam mit ihrem Album verspäteten, würden die Plattenverkäufe um 25 Prozent heruntergehen und das Label müsste dementsprechend ein Viertel seiner Mitarbeiter entlassen. Dieser Wink brachte die überanstrengte Band in das Aufnahmestudio zurück und im November war die neue LP (welche sich auf dem Rückcover mit der letzten Strophe des Gedichts "The Mask of Anarchy" von Percy Bysshe Shelley zierte) auf Platz 2 der Charts geklettert. Während bislang die Reminiszenzen an die 60er Jahre sehr deutlich zu hören waren, wurde mit "Sound Affects" der Sprung in die New-Wave-Gegenwart vollzogen. Gruppen wie Joy Division, Siouxie And The Banshees, The Pop Group, Wire, Gang Of Four, leichte Soul- und Funkeinflüsse (z. B. von Michael Jacksons brillanten "Off The Wall"-LP) wie auch ein massiver Hang zur 60s-Psychedelia ( mit deutlichen Anleihen bei den Beatles zu Zeiten von "Revolver") waren die Haupteinflüsse, wobei Musik und Texte sich zu einer komplexen Einfachheit verdichteten.
Die Akustiknummer"That's Entertainment", eine schonungslose Montage verschiedener Szenarios im Alltag der Arbeiterklasse im England des Jahres Zwei nach der Wahl Margaret Thatchers, die allesamt wie Film-Szenen funktionieren und ein realistisches graues Bild zeichnen, wurde das bekannteste Jam-Stück. Leider ist die Michel Foucault-Beschimpfung "Scrape Away" ("Your twisted cynicism makes me feel sick/ Your open disgust for 'Idealistic naive'/ You're talking like some fucking hardened MP/ You're saying power's all! And it's power you need") längst nicht so wirkungsvoll geraten wie "Eton Rifles".