Lesen mit Nebenwirkungen
Weil das neue Harry Potter Buch so dick ist und einige Kinder vom unentwegten Lesen Kopfschmerzen bekamen, verschrieb ein US-Arzt Kopfschmerztabletten und warnt vor einer "Epidemie der Hogwarts Kopfschmerzen"
Bücherwürmer waren noch nicht vor allzu langer Zeit oft nicht gut angesehen. Sie zogen sich in die Welt des Geschriebenen zurück und verloren den Kontakt mit der Welt und den anderen Menschen. Danach kamen dann mit dem Fernsehen die Warnungen vor den Couch Potatoes auf. Jetzt stehen vor allem Internet und Computerspiele auf der Liste der Medienwarner. Doch in Washington will nun ein Kinderarzt bei Kindern, die Harry Potter - mit seiner Brille auch an einen Bücherwurm erinnernd - lesen, vermehrt Migräne und andere Leiden entdeckt haben.
Howard Bennett darf sogar im angesehenen New England Journal of Medicine von seinen Beobachtungen veröffentlichen. In "Hogwarts Headaches - Misery for Muggles" berichtet er von drei Kindern im Alter zwischen 8 und 10 Jahren, die zu ihm nach tagelang anhaltenden Kopfschmerzen in die Praxis kamen. Der Kopfschmerz sei dumpf und habe den ganzen Tag über fluktuiert. Ein Patient berichtete zusätzlich über Nackenschmerzen. Alle Kinder seien ansonsten gesund gewesen, gemeinsam aber war ihnen, dass sie alle stundenlang das letzte Harry Potter Buch gelesen hatten - zwei davon auch noch auf dem Bauch liegend.
Für Bennett war also bald klar, dass das Lesen die Ursache der Leiden ist. Das fünfte Harry Potter Buch: "Harry Potter und der Orden des Phönix" ist wegen seiner Länge von 870 Seiten in der amerikanischen Ausgabe besonders geeignet, für Kopfschmerzen zu sorgen. Nicht das Lesen, die Länge der Bücher ist ein Problem, aber natürlich auch das Verhalten der Leser, die möglichst schnell das gesamte Buch durchlesen wollen:
Die mutmaßliche Diagnose für jedes Kind waren Anspannungskopfschmerzen, die durch die Anstrengung entstanden, sich durch ein 870 Seiten langes Buch zu wühlen. Die offensichtliche Behandlung für dieses Leiden, eine Lesepause einzulegen, wurde von zwei der Patienten abgelehnt, die stattdessen Acetaminophen erhielten.
Hier steht ärztliche Kunst offenbar an einem Scheideweg, auch wenn dies sicher nicht außergewöhnlich ist. Weil zwei der kleinen Patienten angeblich nicht willens waren, ihre Lektüre hin und wieder zu unterbrechen, nehmen sie, was nahe liegt, lieber Kopfschmerztabletten, um das vermeidbare Leiden zu unterdrücken. Die Lust ist stärker als die Einsicht. Und es war zudem auch die Zeit, als die amerikanische Ausgabe des Potter-Buches gerade auf den Markt gekommen war und alle Fans sich beeilten, es möglichst schnell gelesen zu haben und so auf dem aktuellen Stand der Dinge zu sein, wie es sich für einen Fan gehört. Der gutwillige Kinderarzt schickte seine uneinsichtigen Patienten nicht fort, sondern empfahl ihnen Kopfschmerztabletten, wahrscheinlich, um sie als Patienten sich zu erhalten.
Bei allen sind die Kopfschmerzen nach dem Ende der Lektüre wieder verschwunden. Aber Bennett mit seinen drei Fällen gibt sich besorgt, wenn die Tendenz von J.K. Rowling anhält, jedes Mal dickere und schwerer konsumierbare Bücher zu schreiben. Der fünfte Band hatte immerhin etwa drei Mal so viele Seiten wie der erste. Und Rowling hat noch zwei weitere angedroht. Werden also die Leser von Rowling weiter überfordert, könnten sich, so der Arzt aus Washington, die "Hogwarts Kopfschmerzen" gar zu einer "Epidemie" auswachsen (wodurch Bennett als Entdecker denn auch zu Ruhm käme). In Deutschland startet der Verkauf des fünften Bandes am 8. November mit 1.024 Seiten.
Natürlich will der Bennett Rowling nicht kritisieren, doch Ärzte, zu denen Kinder mit Kopfschmerzen kommen, können nun Dank Bennett auch schneller entdecken, dass diese von der alten Kulturtechnik verursacht werden. Eigentlich gibt es freilich keinen Anlass zur Besorgnis, schließlich lesen die Kinder immer weniger und holen sich ihre Kopfschmerzen lieber vom Starren auf die Bildschirme (Fast immer läuft der Fernseher).