Lettland: Verkauf der Citadele-Bank
Notizen aus der marktkonformen Demokratie
In der Finanzkrise 2008/09 beschloss die lettische Regierung, die private Pleite-Bank Parex auf Kosten des Steuerzahlers zu retten. Die zweitgrößte Bank des Landes galt als "systemrelevant", kurz nach dem Lehman-Crash fürchteten die Finanzleute den Domino-Effekt. Die lettische Regierung geriet dabei selbst in Zahlungsschwierigkeiten, sie musste beim IWF, der EU, Schweden und Dänemark einen 7,5 Milliarden-Kredit aufnehmen. Die verordnete Austeritätspolitik verursachte in Lettland die EU-weit tiefste Rezession, die Regierung senkte die Gehälter drastisch, entließ Arbeitnehmer, die fortan noch häufiger abwanderten.
Inzwischen hat sich das Land wieder etwas erholt, gehört aber nach wie vor zu den Armenhäusern der EU. Der "gute" Teil des verschuldeten Geldhauses hieß ab 2010 Citadele. Die neu eingesetzten Manager wirtschafteten erfolgreich. Die Geschäftsbank im staatlichen Besitz macht inzwischen wieder Gewinn. Doch die EU-Kommission schrieb vor, den staatlichen Anteil, der 75 Prozent der Citadele-Aktien umfasste, bis Ende 2014 an private Investoren zu verkaufen. Ein entsprechendes Angebot sollte die lettische Regierung bis Ende September in Brüssel vorlegen.
Am 5.11.2014 unterzeichnete die lettische Privatisierungsagentur den umstrittenen Vertrag mit zwölf Käufern, unter ihnen Tim Collins, Chef der US-amerikanischen Ripplewood Holdings. Den Aktienerlös für den lettischen Staat bezifferte die Presse damals auf 74 Millionen Euro - weitaus weniger als die dreistellige Millionensumme, die die Regierung sich zuvor erhofft hatte.
Bis heute rätseln Journalisten über den Verkaufspreis, der sich je nach Ertragslage der Citadele-Bank im letzten Quartal 2014 noch ändern kann. Ebenso rätselhaft sind die Vertragsbedingungen. Diese dürfen ohne Einverständnis der Investoren nicht veröffentlicht werden. Die Geheimniskrämerei nährt Korruptionsvorwürfe und Zweifel an der Seriosität der Käufergruppe.
Eigentlich wollte Laimdota Straujumas alte Ministerriege den Citadele-Verkauf noch auf ihrer letzten Sitzung am 30.10.2014 unter Dach und Fach bringen. Doch der Vorstandsvorsitzende der lettischen Privatisierungsagentur (PA), die den staatlichen Citadele-Besitz verwaltet, stellte sich quer. Der damalige PA-Chef Ansis Spridzāns und PA-Vorstandsmitglied Guntis Lausks weigerten sich, den Verkaufsvertrag zu unterschreiben. Spridzāns kritisierte die Vertragsbedingungen. Die Citadele-Käufer könnten ihre Anteile bereits nach zwei Jahren weiterverkaufen. Das Veräußerungsverbot betreffe nur den Aktienbesitz und nicht die Aktiva, also Guthaben und Vermögen der Bank. Zudem wurde kein Mindestpreis für den Aktienverkauf festgelegt.
Spridzāns schlug vor, bis zum Jahresende weiter zu verhandeln. Doch Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma lehnte ab und bezweifelte ihrerseits die Professionalität des PA-Chefs. Sie begründete ihre Eile mit der Befürchtung, dass die EU Lettland die Verkaufsvollmacht entziehen könne und danach ein noch schlechterer Preis erzielt werde. Die beiden PA-Manager traten zurück. Flugs wurden die vakanten Stühle wieder besetzt. Die wichtigste Qualifikation von Spridzāns' und Lausks' Nachfolgern war offenbar ihre Bereitschaft, den Vertrag zu unterzeichnen. Dazu kam es dann am 5.11.2014.
Erst zwei Tage danach erfuhren die lettischen Bürger, wer außer Ripplewood-Chef Collins sonst noch Dreiviertel der Citadele-Aktien übernommen hatte. Zehn der übrigen elf Investoren sind Nordamerikaner, beispielsweise Blackberry-Mitbegründer James Balsillie und andere Vermögende, die mit Hedgefonds und Private-Equity-Geschäften Geld machen. Zu den Käufern gehört auch ein Ägypter, Nassef Sawiris. Sein Vermögen wird auf 6,2 Milliarden Dollar geschätzt. Collins' "Ripplewood-Advisors LLC", die neueste Tochter seines Beteiligungsgeflechts, übernahm 22,4 Prozent der Citadele-Aktien, die übrigen elf insgesamt 52,6 Prozent. Ein Viertel bleibt im Besitz der öffentlichen Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.
Vor der Parlamentswahl vom 4.10.2014 zeigte sich Straujuma von den damals unbekannten Investoren überzeugt. Es seien Finanzleute von Weltniveau, alle aus Übersee. Bei der japanischen Shinsei-Bank habe sich Ripplewood erfolgreich engagiert. Tim Collins versicherte der Presse im September, sein Fonds habe "wohlhabende ehemalige Regierungsleute und erfolgreiche Unternehmer" als Partner ausgewählt. Diese investierten längerfristig.
Doch das Interesse der Aktienkäufer an einer möglichst kurze Sperrfrist für einen möglichen Wiederverkauf lässt an Collins' hehren Worten zweifeln. Zudem ist sein eigenes Private-Equity-Unternehmen ins Gerede gekommen. Die investigative Webseite Pietiek.com nennt die Bedenken der Staatskanzlei, die die Geschäfte der Amerikaner weniger rosig sieht. Eine Ripplewood-Beteiligung bei Reader's Digest führte den Medienkonzern beinahe in die Pleite. Zudem missfällt der Kanzlei, dass Ripplewood in einer US-amerikanischen Steuersparenklave, in Delaware, registriert ist. Die Financial Times habe Ripplewood als "einer der geheimniskrämerischsten Fonds der Welt" eingestuft. Die Deutschen machten ihre speziellen Erfahrungen mit Collins' Ableger Ripplewood Holdings Japan International. Nachdem der Investor die Firma Honsel in Meschede gekauft hatte, bürdete sie dem Automobilzulieferer den Kaufpreis als Schulden auf. Die Westfalen gerieten ebenfalls in Zahlungsschwierigkeiten und wurden von einem kanadischen Konkurrenten übernommen.
Ivars Zariņš, Abgeordneter der oppositionellen Partei Saskaņa, veröffentlichte am 14.12.2014 sein Schreiben an die Ministerpräsidentin. Zuvor hatten seine Fraktionskollegen Straujuma gefragt, wie viele Aktien die einzelnen Investoren denn nun unter welchen Bedingungen erworben hätten. Der Vertrag werde vertraulich behandelt und eine Bekanntmachung erfordere die Zustimmung der Investoren, lautete die Antwort. Die Käufer verweigern die Erlaubnis, den Vertrag zu veröffentlichen. Zariņš legte nach, wollte von der Regierungschefin wissen, auf welche Punkte sich die Geheimhaltung beziehe und bezweifelte die demokratische Rechtmäßigkeit. Zudem hielt er ein solches Gebaren für unvereinbar mit der Reputation, die die Citadele-Käufer für sich beanspruchten.
Doch es bleibt dabei, der lettische Bürger bleibt unaufgeklärt: Am 9.1.2015 sprach Evita Urpena, Pressesprecherin des Wirtschaftsministeriums mit der Nachrichtenagentur BNS. Sie bedauerte, dass die Investoren weiterhin auf der Geheimhaltung bestehen. Journalisten stellen sich die Frage, wieso ausgerechnet Tim Collins' Fondsgesellschaft den Zuschlag erhielt. Sie spekulieren über Korruption im Umfeld der Regierungspartei Vienotība, doch Beweise dafür fehlen bislang. Die lettische Öffentlichkeit bleibt außen vor. Für die "Bad Bank" Reverta muss der Steuerzahler noch Schulden von mehr als 700 Millionen Euro tragen tragen.
Auch die "gute" Citadele bleibt für ihn nach dem frühzeitigen Verkauf ein Verlustgeschäft. Jetzt, wo das Geldhaus wieder Gewinne macht, sollen wieder Private daran verdienen, der Staat und die Steuerzahler bleiben auf den Schulden sitzen. Wenn es ans Eingemachte geht, wird dem Bürger vorenthalten, welcher Rechte er beraubt wird und für wen er zahlen soll. In der intransparenten und marktkonformen "Demokratie" darf er nicht erfahren, wie und von wem er über den Tisch gezogen wird.