Libanesen, Syrer und Israelis streiten sich wie verrückt, aber sie chatten miteinander

Interview mit Ramzi Dada, dem Besitzer eines "Web Cafe" in Libanon

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Beirut - bei der Erwähnung dieses Namens denkt der touristische Erstling an zerschossene Häuser, Kalaschnikows und bärtige Gotteskrieger. Doch schon die Ankunft am neu gebauten und kleinen, aber feinen Flughafen der libanesischen Hauptstadt lässt ahnen, dass derartige Assoziationen barer Unfug sind. Mit dem Rückzug der israelischen Besatzungstruppen aus dem Süden des Landes, der Mitte Mai vonstatten ging, ist ein weiterer Störfaktor verschwunden, der Land und Leute jahrelang geschunden hatte.

Der Bürgerkrieg ging vor 10 Jahren zu Ende. Wer heute als Ausländer durch Beirut stolziert, wird sich nicht nur über die Frankophilie vieler Libanesen wundern. Auch die Neugier auf neue Technologien, die ganz und gar unkriegerische Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen, scheint grenzenlos zu sein.

Interview mit Ramzi Dada, Besitzer von "The Web Cafe" in der Makhoul Street unweit der Amerikanischen Universität in Beirut/Libanon.

In Beirut schießen offenbar nicht nur die Web-Cafes wie die Pilze aus dem Boden. Auch private PC-Besitzer bieten für wenig Geld die Nutzung ihrer Internet-Anschlüsse an. Seit wann geht das so rasant voran ?

Ramzi Dada: Die Internet-Manie begann vor ziemlich genau vier Jahren. Bis dahin hatten nur ein paar libanesische Webfreaks eine leise Ahnung, wohin der Zug gehen würde. In den vergangenen drei Jahren hat sich die Zahl der Nutzer verdoppelt. Viele Privatwohnungen haben einen Zugang, und wer das nicht kann, geht in ein Web-Cafe. Jeden Tag werben neue Provider, und der E-Commerce dehnt sich rasch aus.

Verraten Sie doch mal ein paar Namen...

Ramzi Dada: Groß sind etwa Terra.Net, Links und Cyberia. Wer sich deren Sites anschauen will, muss sich schon selbst auf die Suche machen. .lb steht für Libanon, soviel sei verraten.

Nehmen wir einfach Cyberia - die haben wohl die größten riesige Werbeflächen in Beirut ...

Ramzi Dada: Ja, sie werben zur Zeit volle Kanne, und sie sind zur Zeit der Renner im Nahen Osten. Cyberia war anfangs eine Ansammlung von drei, vier smarten Burschen Mitte Zwanzig. Inzwischen haben sie Tausende von Abonnenten, und die Nachfrage übersteigt das Angebot. Sie sind aber nicht die einzigen. Darüber hinaus existieren Dutzende von Subunternehmen, die von großen Providern wie Cyberia Zugang erhalten.

In jedem einigermaßen aktuellen Libanon-Reiseführer liest man von Ihrem "Web Cafe". Wie kommt das ?

Ramzi Dada: Wir waren zwar nicht die ersten, aber eines der ersten Web-Cafes im Libanon. Wir starteten vor viereinhalb Jahren, und wir liegen gleich an der Amerikanischen Universität, also in Reichweite von Studierenden aus dem In- und Ausland. Anfangs standen die Leute Schlange, um überhaupt zu erfahren, wie das Internet funktioniert. Wir haben regelrechte Kurse gegeben. In den ersten Monaten saßen unsere Anfänger täglich drei oder vier Stunden vor dem Bildschirm. Und auf einmal waren sie weg. Damit wussten wir - die haben jetzt ihre eigene Connection.

Litt das Cafe-Geschäft darunter ?

Ramzi Dada: Doch, ja. Trotzdem geht es wieder aufwärts, denn ein immer größerer Kundenteil besteht aus Touristen, die ihre PCs und Labtops nicht mitschleppen, aber trotzdem Emails abrufen und schreiben wollen. Ganz am Anfang hatten wir uns grundsätzlich gefragt, ob sich ein Internetzugang überhaupt verkaufen würde. Essen und trinken läuft immer gut - das war klar. Und wir waren schockiert. Denn die Libanesen sind fürchterlich neugierig und wollen alles so schnell wie möglich wissen, auch die Funktionsweise des Internet. Heute bringen wir manchen Leuten immer noch bei, was "delete" oder "paste" heißt. Lustig ist es, wenn alte Leute zur Tür hereinkommen und sagen: "Meine Tochter hat Email. Wie geht das ? Ich will eigentlich nur elektronisch schreiben lernen."

Haben Sie im Libanon Zensurprobleme?

Ramzi Dada: Von Zensur, die über das europäische oder amerikanische Maß hinausginge, kann keine Rede sein. Der Zugang ist unbegrenzt. Probleme existieren bei den Telefonverbindungen. Bei manchen Privatfirmen konnte man Ferngespräche vorausbezahlen, und dann werden die Verbindungen unglaublich billig - vom Libanon in die USA für 10 Cent zum Beispiel. Doch die libanesische Regierung funkte dazwischen mit der Begründung, dass die staatliche Telefongesellschaft dadurch Einbussen hinnehmen müsse. Aber trotzdem existieren natürlich weiterhin Hunderttausende von Web-Sites, über die man telefonieren kann. Zensur erfolgt über die Telefonleitungen und bei den Dial-Up-Connections. Außerdem kann eine Firma rechtlich davon abgehalten werden, Einheiten zu verkaufen. Aber die Polizei kann nicht in Privatwohnungen gehen und sagen "put a proxy on this, mach Deine Website unzugänglich".

Und der Einfluss des syrischen Regimes im libanesischen Telekommunikationsbereich?

Ramzi Dada: Selbst in Damaskus hält das Internet Einzug. Bislang dürfen es zwar nur Regierung, Botschaften und regimenahe Geschäftsleute nutzen. Aber der neue syrische Präsident Baschar Assad war unter seinem Vater Hafiz Chef der syrischen Computergesellschaft, und alle erwarten heute, dass Baschar die Freiheitsspielräume erweitert. Beirut ist völlig anders als Damaskus. Wir haben hier immer wieder Syrer, die extra nach Beirut reisen, um hier frei zu internetten, zu chatten, zu emailen und so weiter. Andere Syrer kauften Einheiten von Cyberia und wählten sich aus Syrien telefonisch im Libanon ein. Aber das wurde schnell illegal.

Chatten Libanesen und Syrer auch mit Israelis, dem Erzfeind?

Ramzi Dada: Aber hallo, wie die Wilden! Sie können sich kaum vorstellen, was hier im Cafe manchmal los ist. Sie streiten sich wie verrückt, aber sie chatten. Gelegentlich nimmt das ganze Cafe teil, wenn Israelis auf der anderen Seite ihre Meinung sagen. Das syrische Regime will diese Kontakte gerne unterbinden, aber was kann es schon dagegen machen?

Ich würde umgekehrt gerne wissen, ob nicht auch die israelische Regierung die virtuellen Kontakte mit feindlich eingestuften Arabern lieber unterbinden wollte. Vor Kurzem trafen sich Palästinenser aus den Flüchtlingslagern Libanons und aus der israelisch besetzten Westbank am Grenzzaun zwischen Libanon und Israel. Aber inzwischen unterbindet die israelische Grenzpolizei diese Zusammenkünfte. Virtuell dürfte das kaum möglich sein. Gut so.