Libyen: Aussichtslos gegen die "militärische Lösung" Haftars?
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Nach einem Flugzeugabschuss droht die Ausweitung der Kriegszone. Reaktionen auf Proteste in Algerien stellen weitere schwierige Fragen zur Stabilität in Nordafrika
Die Chancen, dass der kriegerische Konflikt in Libyen politisch gelöst wird, stehen derzeit nicht gut. Gestern meldeten verschiedene Berichte, dass ein Mig-Kampfflugzeug der LNA-Milizen mit einem MAN-Pad abgeschossen wurde. Die LNA untersteht dem Befehl des Feldmarschalls Haftar. Dieser strebt eine militärische Lösung in Libyen an. Er will die Hauptstadt von "Terroristen" säubern. Allerdings ist es ihm nicht geglückt, die Hauptstadt Tripolis in einem Überraschungscoup zu erobern.
Beobachter des Geschehens in Libyen befürchten, dass Verbündete Haftars Milizen nun militärisch weiter aufrüsten, da der Widerstand gegen ihn stärker ist als angenommen, und sich damit die kriegerischen Auseinandersetzungen auf längere Dauer fortsetzen. Da Haftars Einheiten wesentlich über zwei Städte, Gharyan und Tarhouna, die etwa 80 Kilometer südlich von Tripolis liegen, versorgt werden, könnten dem Vormarsch der LNA weitere Schwierigkeiten bereitet werden.
Flüchtlinge
Die UN zählt bisher 13.500 Binnenflüchtlinge durch die Kämpfe im Großraum Tripolis. Laut der Außenstelle der Weltgesundheitsorganisation in dem Land werden dort aktuell 147 Tote und 614 Verwundete verzeichnet. Über 800.000 Menschen in Libyen brauchten humanitäre Hilfe, so das OCHA. In den Lagern bei Tripolis, wo sich laut der Hilfsorganisation 1.500 Flüchtlinge und Migranten aufhalten, sind durch die Kämpfe einem "größeren Risiko" ausgesetzt.
Dass dies ziemlich konkret werden kann, führt der eingangs erwähnte Flugzeugabschuss vor Augen. Er geschah angeblich in unmittelbarer Nähe eines Flüchtlingslagers. Auch die Versorgung dürfte inmitten von Kriegswirren schwieriger werden. Einige Hilfsorganisationen sollen zudem ihre Aktivität eingestellt haben. Das Kriegschaos macht die Lage auf jeden Fall nicht einfacher, wie dies an den Einblicken der irischen Journalistin Sally Hayden abzulesen ist.
Haftar trifft Verabredungen
Im Hintergrund der Kämpfe gibt es diplomatische-politische Aktivitäten. Feldmarschall Haftar war jetzt beim ägyptischen Regierungschef al-Sisi zu Besuch. Der ist als Gegner der Muslimbrüder einer der stärksten Unterstützer Haftars. Offiziell gab es von al-Sisi auch keine Verurteilung der Offensive von Haftars LNA auf Tripolis. Allerdings gab es auch keine offizielle Ankündigung einer Verstärkung der Unterstützung. Experten meinen, dass sich dies erst im Fortgang der Militäroperation zeigen würde.
Haftar soll, wie mancherorts berichtet wird, den Vormarsch in Gesprächen mit auswärtigen Verbündeten, genannt werden in diesem Zusammenhang die Vereinigten Arabischen Emirate wie auch Saudi-Arabien und Frankreich vorbereitet haben. Auch in Libyen soll der General und dessen Vertraute das Terrain in Absprachen mit wichtigen Milizen- und Stammesführern abgesprochen haben.
War die größere Öffentlichkeit über den Zeitpunkt der Offensive überrascht, da zu dieser Zeit der UN-Generalsekretär im Land war und ein Friedenstreffen auf nationaler Ebene vorbereitete, so gehen manche, ihm nicht sonderlich gewogene, Analysten von der Annahme aus, dass es gerade deswegen ein guter Zeitpunkt für Khalifa Haftar war, um eine militärische Lösung voranzubringen.
Denn er habe sowohl von der Konferenz wie auch von der eigentlich für dieses Jahr angesetzten Wahl nichts zu erwarten gehabt, was seinen Vorstellungen und Wünschen nach Einfluss in Libyen entsprechen würde. Der politische Prozess drohte, gegen seine Interessen zu verlaufen.
Frankreich und Italien
Dieser Aspekt reflektiert sich auch in der Begründung Frankreichs, wo die Regierung, besonders Außenminister Le Drian, betont darauf verweist, dass Haftar bei der künftigen Führung bzw. Neuordnung Libyens eine herausragende Rolle innehaben sollte.
Wie diese Rolle aber genau aussehen soll, dazu hält sich die Regierung in Paris zurück. An diesem Punkt zeigt sich sowohl eine Überschneidung mit den Interessen Italiens, wenn man eine gemeinsame Basis zu Haftars künftiger Rolle finden könnte, wie auch die Möglichkeit, dass sich die beiden europäischen Länder noch mehr zerstreiten. Denn sie haben unterschiedliche Vorstellungen und vor allen Dingen eine unterschiedliche Gewichtung bei der Bündnisarbeit. Angeblich schließen sich derzeit Italien und Deutschland enger zusammen, um Frankreichs Einfluss entgegenzutreten. Beide sind Unterstützer der Regierung von Sarradsch.
Italien hat sich sehr viel stärker als Frankreich dabei engagiert, die nationale Einheitsregierung GNU zu unterstützen. Deren Chef Sarradsch zog 2016 mithilfe Italiens an seinen Stützpunkt im Hafen der Hauptstadt. Ohne die italienische Hilfe wäre das gar nicht gegangen. Seither versuchte Sarradsch, wiederum unterstützt von Italien, wichtige Milizen in Tripolis auf seine Seite zu ziehen.
Das Kartell
Genannt werden hierzu die Tripoli Revolutionaries Brigade, geführt von einer gangsterähnlichen Figur namens Haitham al-Tajuri, die Nawasi Brigade, die von der "Qaddur Familie" geführt wird; die Special Deterrence Force (SDF, häufig Rada-Miliz genannt), unter Führung von Abdel Rauf Kara, und eine Abu Slim-Einheit des zentralen Sicherheitsapparates.
Diese vier Milizen haben sich in der Folge seit 2016 zu einem "Kartell entwickelt", das laut einer Recherche von Wolfram Lacher (Stiftung Wissenschaft und Politik) mit Mitteln arbeitet, wie man sie aus Mafiafilmen kennt, Entführungen und betrügerische Manöver mit Banken, die über Korruption, Erpressungen und Tricks mit Kreditpapieren und Devisen laufen.
Diese Milizen stellen zusammen mit Milizen aus Misrata die Gegner der Militäroperation Haftars. Sie verfügen über ein weitgefächertes Beziehungsgeflecht, das nicht nur mit Muslimbrüdern vernetzt ist, sondern auch mit Islamisten, die mit al-Qaida in Verbindung gebracht werden.
Zu den Besonderheiten dieser wenig vertrauenswürdig zusammengesetzten Front gegen Haftar gehört, dass in einer der großen Milizen - der Rada-Miliz - Madchali-Salafisten eine dominierende Rolle spielen. Da Madchali-Salafisten auch Verbündete von Khalifa Haftar sind, ergeben sich Anschlussmöglichkeiten der Art, wie sie der Feldmarschall wohl in seinem Kalkül hatte, als er sich entschloss, seine Macht auf Tripolis auszuweiten.
Jedenfalls kommt dem Verhalten der Salafisten, die eine Nähe zu Saudi-Arabien haben und die Muslimbrüder zum Gegner, eine Schlüsselrolle zu.