Libyen taumelt erneut

Symbolbild Libyen

Grafik: shutterstock

Zwischen Tripolis und Tobruk ist der Streit um die Öleinnahmen erneut entbrannt. Es kommt zu Lieferstopps. Wird sich der zerstörte und besetzte Staat je wieder erholen?

Wie Reuters meldet, fällt seit Ende August mehr als die Hälfte der libyschen Ölförderung aus. Das sind etwa 700.000 Barrel pro Tag. Auch wurden die Exporte aus mehreren Häfen gestoppt. Das ist immerhin knapp ein Prozent des täglichen Weltverbrauchs von rund 97 Millionen Barrel.

Ein Patt zwischen rivalisierenden politischen Fraktionen über die Kontrolle der libyschen Zentralbank und die Verteilung der Öleinnahmen droht eine jetzt vier Jahre andauernde Periode relativen Friedens zu beenden. Und es geht praktisch um alles, denn die Öleinnahmen machen 68 Prozent des Bruttonationaleinkommens und 95 Prozent der Staatseinnahmen aus.

Es geht um alles

Die Ölproduktion lag am Mittwoch, dem 28. August, bei 591.024 Barrel. Im Juli hatte Libyen noch etwa 1,18 Millionen Barrel täglich gefördert. Die Gesamtverluste in den ersten drei Tagen nach Schließung der Ölfelder beliefen sich demnach auf über 1,5 Mio. Barrel im Wert von etwa 120 Millionen Dollar.

70 Prozent der libyschen Ölfelder liegen im dem Osten des Landes. Dort herrscht seit zehn Jahren der einstmals von der CIA unterstützte Khalifa Haftar, Befehlshaber der Libysch Nationalen Armee.

2014 wandte Haftar sich jedoch an Russland, um Militärhilfen zu bekommen. Die ARD berichtete im Frühjahr sogar von möglichen Plänen einer russischen Marinebasis in Tobruk im Nordosten des Landes.

Nun haben die Fraktionen unter Führung von Haftar beschlossen, die Ölförderung so lange zu unterbrechen, bis der vom Westen anerkannte Präsidialrat und die Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis im Westen den langjährigen Zentralbankgouverneur Sadiq al-Kabir wieder in sein Amt einsetzen. Offensichtlich sieht Haftar Kabir als Garanten für eine faire Verteilung der Öleinnahmen.

Eine neue Phase der Instabilität

Deshalb droht dem nordafrikanischen Land jetzt eine neue Phase der Instabilität. Kurz nach den Nato-geführten Angriffen von 2011 war Libyen de facto in einen östlichen und einen westlichen Teil auseinandergebrochen. Der Militäreinsatz war seinerzeit mit der Schutzverantwortung (responsibility to protect, R2P) der internationalen Gemeinschaft gegenüber der libyschen Zivilbevölkerung begründet worden.

Während Russland im Osten Libyens aktiv ist, wird der vom Westen favorisierte Präsidialrat in Tripolis militärisch vor allem von der Türkei unterstützt. Und es sieht so aus, als wolle Ankara die Okkupation auf unabsehbare Zeit verlängern.

Gerade wurde ein Memorandum of Understanding vereinbart, in dem eine vertiefte militärische Zusammenarbeit zwischen Tripolis und Ankara sowie die Straffreiheit türkischer Armeeangehöriger in Libyen festgeschrieben worden sind.

Straffreiheit türkischer Armeeangehöriger in Libyen

Die Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt die Zustände denn auch als "Unsichtbare Besatzung". Der Hauptunterschied zwischen den türkischen und den russischen Kombattanten scheint demnach darin zu bestehen, dass die türkischen Soldaten ganz offen in Uniform auftreten, die Wagner-Söldner dagegen in Zivilkleidung.

Die längste Ölblockade bisher wurde übrigens erst im Jahr 2020 im Rahmen eines umfassenderen Abkommens aufgelöst, nachdem Haftars Angriff auf Tripolis am Widerstand türkischer Truppen gescheitert war. Damals hatte Haftar die gesamte Produktion fast acht Monate lang stoppen lassen.

Unter Bürgerkriegsbedingen laufen Geschäfte bekanntermaßen schlecht – insbesondere solche wie die Ölförderung, die erhebliche Investitionen benötigt und deren Installationen leichte Ziele darstellen.

Investitionsstau aufgrund des Bürgerkrieges

Im Jahr 1970, auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung, erreichte die Ölproduktion Libyens fast 3,4 Millionen Barrel pro Tag (mb/d), ein Wert, der die aktuelle Förderung um den Faktor sieben übertrifft. Seit 1975 hat dieser Wert kaum noch einmal zwei mb/d erreicht.

Nun aber sind die Anlagen sanierungsbedürftig und neue Ausschreibungen für Explorationsaktivitäten überfällig. Die nationale Ölgesellschaft plant, in diesem Jahr eine Lizenzvergaberunde für Öl und Gas zu starten, die erste derartige Runde in den letzten 17 Jahren. Doch für internationale Ölgesellschaften sind lediglich Explorationslizenzen vorgesehen, die Ölförderung will man selber in die Hand nehmen.

Übrigens gehen über 70 Prozent der libyschen Ölexporte in die EU. Und seit Beginn des Ukrainekrieges ist deren Bedeutung noch gestiegen.

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