"Lieber ein Frankreich mit Schulden als von Le Pen regiert"

Flagge zeigen außerhalb der EU-Kommission; Bild: Xavier Häpe/CC BY 2.0

Frankreich vs. EU-Kommission: Die französische Regierung kämpft gegen drohende Sanktionen und EU-Haushaltsvorgaben

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Wo liegt die Grenze der Sparpolitik? Von "Austeritätspolitik" spricht man nicht mehr, das Wort hat nach den wirtschaftlichen Abstürzen in Griechenland und Spanien, die mit Austeritätspolitik verbunden werden, einen "peinlichen" Beigeschmack bekommen. Wie viel Freiheiten hat ein EU-Mitglied, wenn es, wie Frankreich, als tragende Säule der EU-Architektur gilt? Die dortige Regierung hat einen Budgetplan vorgelegt, der den EU-Verschuldungskriterien nicht genügt. Nun drohen Eingriffe der EU-Kommission in den französischen Haushaltsplan, möglicherweise ein Bußgeld in Milliardenhöhe. Aus Paris heißt es, dass mehr sparen nicht möglich sei, ohne zu riskieren, dass das zärte Pflänzchen, das man als Wirtschaftswachstum in Aussicht stellt, vorzeitig eingeht und die Krise nur noch schlimmer wird.

Die EU-Kommission werde den französischen Haushaltsplan für 2015 ablehnen und auf Veränderungen drängen, weil die darin vorgesehene Neuverschuldung in Höhe von 4,3 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes (BIP) über der 3-Prozent-Defizitgrenze liegt. Dies wird seit Tagen in mehreren Medienberichten, die sich auf Quellen aus Brüssel berufen, kolportiert.

"Das Gewebe der französischen Gesellschaft schädigen"

Auch dem französischen Wirtschaftsminister Michel Sapin ist dies zu Ohren gekommen. Darauf angesprochen, dementierte er das "Gerücht" nicht, stattdessen reagierte er mit einem Gegenangriff. Frankreich habe seine Verantwortung übernommen, jetzt sei es an Europa, die seine zu übernehmen. Gemeint ist, dass die EU die "außergewöhnliche Situation" akzeptieren solle, die Frankreich geltend macht, um das erneute Überschreiten der Verschuldungsgrenzen zu rechtfertigen.

Frankreich müsse die Haushaltspolitik an die gegenwärtige wirtschaftliche Situation anpassen, sonst riskiere man, dass man "lange, allzu lange mit einem sehr schwachen Wirtschaftswachstum zu tun habe", so Sapin.

Sein Kabinettsoberhaupt. Premierminister Valls, seit einiger Zeit auf Tournée in Europas Haupstädten, kürzlich in Berlin und gestern in London, um für Verständnis für die französische Wirtschaftspolitik zu werben, formuliert es eindringlicher: Sollte die EU härtere Einschnitte von Frankreich verlangen, dann würde dies das "Gewebe der französischen Gesellschaft schädigen und ein selbst zugefügtes Scheitern bedeuten."

Valls baut darauf, dass das Land mit der traditionell hohen Staatsquote durch einen langsameren Schuldenabbau als ursprünglich vorgesehen, die Konjunktur wieder beleben kann. Große Teile der französischen Bevölkerung, vor allem der für Wahlen interessante Mittelstand, klagen über zu hohe Belastungen. Die parlamentarische Regierungsmehrheit wurde in den letzten Monaten immer schwächer, die Regierung sieht sich dazu gezwungen, vorsichtig zu agieren. Für unpopuläre Maßnahmen wie Steuererhöhungen ist kein Spielraum, nachdem man schon Einsparungen bei den Sozialkassen vorgenommen hat und auch Familienzuschüsse gekürzt wurden.

Auch heute beteuerte Sapin, dass es keine Steuererhöhungen geben wird. Dazu versicherte er erneut, dass an den vorgesehenen Einsparungen im Budget 2015 von 21 Milliarden nichts verändert werde. Es werde keine neuen Einsparungen geben. Das Klima ist nervös.

Dazu kommt, dass die Regierung Valls die ohnehin niedrig angesetzten Wachstumsaussichten für die nächsten Jahren noch weiter nach unten korrigieren musste. Statt Für 2014 war man von einem 1-prozentigen Wachstum ausgegangen, musste sich dann aber auf 0,4 Prozent einstellen. Für 2015 rechnete zunächst man mit 1,7 Prozent; jetzt glaubt man an 1 Prozent Wachstum. Und selbst davon sind nicht alle überzeugt.

Aussichten auf geringes Wirtschaftswachstum "zu optimistisch"

So bemängelte der Hohen Rat der öffentlichen Finanzen (Haut Conseil des finances publiques), dass die Haushaltspolitik die nach wie vor hohe Verschuldungsrate mit der Aussicht auf ein Wirtschaftswachstum begründet, "zu optimistisch" sei. Für eine schnelle Erholung, die sich die Regierung erhoffe, gebe es derzeit keine Anzeichen (Budget 2015: Frankreich spart bei den Zuschüssen für Familien und Kinder).

Der Haut Conseil war Ende 2012 geschaffen worden, damit er auf die Kohärenz der französischen Wirtschaftspolitik mit den Vorgaben des europäischen Stabilitäts-und Wachstumspaktes achtet. Er spricht aber lediglich Empfehlungen aus oder gibt Warnsignale.

Vier Milliarden Euro Bußgeld

Anders die EU-Kommission. Sie kann nach den Ende letzten Jahres verschärften Regelungen einen revidierten Haushaltsentwurf verlangen - und Sanktionen erheben. In acht Tagen, am 15. Oktober, werden die Haushaltspläne der EU-Kommission vorgelegt. Französische Medien rechnen schon mal vor, dass das Bußgeld bei 0,2 Prozent des BIP im Fall Frankreich etwa vier Milliarden Euro betragen würde.

Frankreich werde es schwer haben, Sanktionen zu vermeiden, warnt La Tribune, eine Tageszeitung mit Schwerpunkt Wirtschaft. Denn die Sanktionen könnten nur mehrheitlich vom Europäischen Rat abgelehnt werden. Falls Deutschland und "seine engen Allierten" - dazu zählt La Tribune die Niederlande, Österreich, die baltischen Staaten, Finnland und Spanien - sich für eine Sanktion entscheiden, dann wäre eine Mehrheit von 101 Stimmen gegeben.

EU: Kriterien durchsetzen oder politische Rücksichten nehmen?

Angesichts des schwachen französischen Einflusses und des starken deutschen seien Sanktionen so gut wie beschlossen, zumal Kanzlerin Merkel bereits mehrfach betont habe, dass Deutschland der Entscheidung der EU-Kommission folgen werde. Und diese werde darauf beharren, die Durchsetzungsfähigkeit ihrer Kriterien am Beispiel Frankreich zu demonstrieren.

Nun hängt es davon, ab ob die EU-Kommission die "außergewöhnliche Situation", die Wirtschaftsminister Sapin geltend macht, als Ausnahme für das zeitweilige Überschreiten der Defizitgrenze akzeptiert. Ab 2017 will Paris die Regelungen wieder einhalten. So ist es geplant. Da Frankreich ein solches Versprechen bereits für dieses Jahr gemacht hat, dürfte die Wirkung der Ankündigung auf die EU-Kommission beschränkt sein.

Aber möglicherweise gibt der Kommission zu denken, was der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi zur politischen Hintergrundgefahr in Frankreich äußerte: Er ziehe Frankreich mit einem 4,4-Prozent-Defizit (2014) einem Frankreich vor, das von Marine Le Pen regiert wird.