Lieferengpässe bei Medikamenten: Wenn die "Einschläge" näher kommen

Jedes benötigte Medikament zeitnah in der verschriebenen Dosierung zu bekommen, ist nicht mehr selbstverständlich. Pexels auf Pixabay (Public Domain)

Bundesgesundheitsminister Lauterbach glaubt Herstellern nicht und verweist auf gestiegene Gewinne – Firmenvertreter sagen, sie seien unsicher, auf welcher Grundlage sie planen sollen.

Legt sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gerade zu Recht mit der profitorientierten Pharmaindustrie an – oder verkennt er die Lage und gefährdet die Versorgungssicherheit mit wichtigen Medikamenten?

Kaum hat Lauterbach den Kabinettsbeschluss für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes vorgestellt, "hagelt es von allen Seiten Kritik", wie die Pharmazeutische Zeitung berichtet. Weder Krankenkassen und Ärzte noch die Pharmaindustrie lassen demnach ein gutes Haar am Gesetzentwurf.

Das geplante Finanzstabilisierungsgesetz für die gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, kurz GKV-FinStG) sieht für 2023 unter anderem eine Verlängerung des Preismoratoriums für Arzneimittel vor, während die Herstellungskosten steigen.

Warnungen vor Lieferengpässen nimmt Lauterbach nicht allzu ernst und verweist laut einem Bericht des Branchenportals apotheke adhoc auf zuletzt gestiegene Umsätze: Selbst ohne Corona-Sondereffekte - also Impfstoffe und Covid-Medikamente – seien die Ausgaben 2021 um 13 Prozent gestiegen. Für dieses Jahr wird von mindestens acht Prozent ausgegangen.

Empirisch gebe es keine Hinweise, dass die Industrie die aktuellen Belastungen nicht schultern könne: "Wir sehen keine Abwanderung. Wir sehen keine Insolvenz. Aber wir sehen weiter Gewinne", so Lauterbach.

Erfahrungswerte pandemiebedingt für Tonne?

Laut Ratiopharm-Geschäftsführer Andreas Burkhardt kommen jedoch "die Einschläge näher". Die Lieferketten seien heute "deutlich labiler" als noch vor einigen Jahren. Auch habe die Corona-Krise wichtige Grundlagen für die Planung auf den Kopf gestellt:

Als produzierender Betrieb sind wir derzeit mit extremen Herausforderungen konfrontiert. In den vergangenen zwei Jahren gab es massive Schwankungen bei der Nachfrage. So etwas haben wir – genauso der Großhandel und Apotheken – noch nie erlebt. Normalerweise plant man auf der Grundlage des Vorjahresbedarfs, doch solche Erfahrungswerte, auf die man zurückgreifen kann, gibt es pandemiebedingt aktuell einfach nicht mehr.


Andreas Burkhardt, Geschäftsführer des Generika-Herstellers Ratiopharm im Gespräch mit dem Branchenportal apotheke adhoc

Im März und im April 2020 habe die Firma die doppelte bis dreifache Menge verkauft, dann sei die Nachfrage plötzlich abgerissen und die Wintersaison komplett ausgefallen. Dies betraf etwa die Bevorratung mit Paracetamol-Säften und Kindernasensprays.

"Wir mussten unsere Produktionsprozesse also erneut anpassen und runterfahren, weil die Lager immer voller wurden und wir angesichts von Verfalldaten nur bedingt ‚auf Halde produzieren‘ können", so Burkhardt. Ein Engpass bei Fiebersaft für Kinder sei schlimm – bei anderen Arzneimitteln, wie etwa dem Brustkrebsmedikament Tamoxifen, werde ein "Abriss" für Betroffene lebensgefährlich.

Der Tamoxifen-Schock

Der Östrogenhemmer war bereits im Februar nur eingeschränkt lieferbar - ein Beispiel dafür, was mit "Einschlägen" gemeint ist.

Die Gründe waren strukturell bedingt: Nachdem die Patentrechte für das seit 1962 gebräuchliche Medikament ausgelaufen waren, hatten mehrere Zulieferer die Produktion wichtiger Inhaltsstoffe eingestellt, die für sie nicht mehr wirtschaftlich erschien. Generikafirmen, die andere Zulieferer unter Vertrag hatten, konnten die Ausfälle für eine Weile überbrücken, ihre Bestände wurden dann aber schnell leergekauft.

Am 11. Februar hatte das Bundesgesundheitsministerium für Tamoxifen offiziell den Versorgungsmangel nach Paragraph 79 Abs. 5 Arzneimittelgesetz (AMG) erklärt. Dadurch wurde es möglich, das Medikament aus dem Ausland zu importieren.